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Testen im Eilgang

Geht es nach den Mate­ri­al­wis­sen­schaf­tern an der Mon­tan­uni Leoben, könnten tage­lan­ge War­te­zei­ten bei Tests auf das Corona-Virus schon bald der Ver­gan­gen­heit ange­hö­ren. Mit bereits seit Jahren ein­ge­setz­ten kom­mer­zi­el­len Test­ge­rä­ten und neu­ar­ti­gen Fil­ter­röhr­chen, die in Leoben ent­wi­ckelt wurden, müsste man nur wie in einen Alko­ma­ten blasen und wüsste in ein paar Minuten, ob man infi­ziert ist oder nicht.

Wer derzeit auf das Corona-Virus getes­tet wird, muss einiges über sich ergehen lassen. Erst einmal muss er beim berühmt-berüch­tig­ten Gesund­heits­te­le­fon 1450 vor­stel­lig werden, gibt es dann grünes Licht für den Test, folgt das unan­ge­neh­me Pro­ze­de­re eines Nasen-Rachen-Abstri­ches. Und dann beginnt das Warten. Bis zu zehn Tage lang lebt man im Unge­wis­sen und in vor­sorg­li­cher Qua­ran­tä­ne – ein unzu­mut­ba­rer Zustand.

All das könnte schon bald der Ver­gan­gen­heit ange­hö­ren, wenn es nach den For­schern der Mon­tan­uni Leoben geht. Ein kleines Team unter Univ.-Prof. Dr. Chris­ti­an Mit­te­rer, Leiter des Lehr­stuhls für Funk­tio­na­le Werk­stof­fe und Werk­stoff­sys­te­me am Depart­ment Werk­stoff­wis­sen­schaft, und Dr. Niko­la­os Kos­to­glou vom glei­chen Lehr­stuhl arbei­tet an einer Methode, bei der man wie bei einem Alko­ma­ten nur in ein Fil­ter­röhr­chen hin­ein­bla­sen muss, um in ein bis zwei Minuten zu wissen, ob man mit Covid-19 infi­ziert ist oder nicht.
Möglich wird das durch Messung mit einem SERS-Gerät. SERS ist die Abkür­zung für „Surface Enhan­ced Raman Scat­te­ring“, zu Deutsch „ober­flä­chen­ver­stärk­te Raman-Streu­ung“, die nach ihrem Ent­de­cker, dem indi­schen Phy­si­ker und Nobel­preis­trä­ger Chandra­sek­ha­ra Raman benannt ist. SERS bezeich­net ein phy­si­ka­li­sches Phä­no­men: Werden Mole­kü­le mit elek­tro­ma­gne­ti­schen Wellen bestrahlt, so werfen sie ein cha­rak­te­ris­ti­sches Signal zurück, anhand dessen das Molekül ein­deu­tig iden­ti­fi­ziert werden kann. Nor­ma­ler­wei­se ist dieses Signal extrem schwach. Bringt man jedoch das Molekül in die Nähe einer metal­li­schen Ober­flä­che, wird das Signal so ver­stärkt, dass das Signal gemes­sen werden kann.

Die Methode ist lange bewährt

„Diese Methode ist seit vielen Jahren im Einsatz, mit ihrer Hilfe wird zum Bei­spiel auf Flug­hä­fen nach Spreng­stoff gesucht“, erläu­tert Chris­ti­an Mit­te­rer. „Wir haben das auf Covid-19 ange­wandt und ent­wi­ckeln die SER­S4­SARS-Methode.“

In der Praxis beschich­ten die Leo­be­ner For­scher winzige Glas­fa­sern mit Nano­par­ti­keln aus Edel­me­tall, die in ein Pro­be­röhr­chen ver­packt werden. Wenn jemand auf das Corona-Virus getes­tet werden soll, muss er nur wie bei einem Alko­ma­ten in das Röhr­chen blasen. Tröpf­chen aus der Atem­luft lagern sich an den Fasern an, die mit einem schwa­chen Laser beleuch­tet werden. Befin­den sich Covid-19-Viren in der Probe, werfen sie ein ganz bestimm­tes Signal zurück, das vom Gerät erkannt wird.

Um welches Edel­me­tall es sich bei der Beschich­tung handelt, verrät Mit­te­rer natür­lich nicht. Neben Kupfer, Silber, Gold und Platin kommen theo­re­tisch auch „exo­ti­sche­re“ Ele­men­te wie Osmium, Pal­la­di­um, Rhodium oder Iridium in Frage, die eben­falls zu den Edel­me­tal­len zählen.

„Unser Ziel war es, eine Test­me­tho­de zu ent­wi­ckeln, die nicht wahn­sin­nig viel neue Tech­no­lo­gie ver­wen­det“, schil­dert der Werk­stoff­spe­zia­list. „Der große Vorteil unserer Ent­wick­lung ist es, dass es die Test­ge­rä­te bereits auf dem Markt gibt und wir nur die Fil­ter­me­tho­de neu ent­wor­fen haben.“ Diese Geräte kosten laut Mit­te­rer „ein paar Tausend Euro“, sind aber dau­er­haft ver­wend­bar, weil ja nur das Fil­ter­röhr­chen ver­braucht wird.

Die SERS-Mess­tech­nik selbst ist seit mehr als 45 Jahren bekannt, ver­si­chert der Leo­be­ner Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor. Bisher sei aber niemand auf die Idee gekom­men, sie zur Detek­ti­on von Corona-Viren anzu­wen­den. „Theo­re­tisch können mit SERS4SARS auch andere Viren iden­ti­fi­ziert werden, man muss nur das cha­rak­te­ris­ti­sche Raman-Signal finden. Und die Proben müssen nicht unbe­dingt aus der Atem­luft gewon­nen werden, auch Blut­pro­ben kann man so unter­su­chen.“ Im Prinzip könne die Iden­ti­fi­zie­rung bei jeder Sub­stanz gemacht werden, die eine ein­deu­ti­ge Mole­kül­struk­tur besitzt.

Zusam­men­ar­beit mit Grie­chen­land

Ursprüng­lich haben die Leo­be­ner das Projekt SERS4SARS gemein­sam mit dem grie­chi­schen For­schungs­in­sti­tut Demo­kri­tos bei der EU ein­ge­reicht, die zu Ostern einen Wett­be­werb namens „EU versus Virus“ aus­ge­schrie­ben hatte. „Ver­spro­chen war eine Anschub­fi­nan­zie­rung für weitere For­schun­gen. Obwohl wir die Aus­schrei­bung gewon­nen haben, wurde dann aber leider nichts aus­be­zahlt“, erzählt Mit­te­rer.

Momen­tan arbei­ten die Werk­stoff­for­scher mit zwei Viro­lo­gen – einer in Graz, der andere in Alex­and­rou­po­lis in Grie­chen­land – zusam­men, um erste Tests mit Corona-Viren zu machen. „Wir sind in der Proof-of-concept-Phase. Ist die positiv, stehen Gesprä­che mit der Indus­trie und Wis­sen­schafts­part­nern auf dem Pro­gramm, damit unsere Idee in die Praxis umge­setzt werden kann.“ Mit­te­rer rechnet bis Ende dieses Jahres mit Ergeb­nis­sen.

Die Her­aus­for­de­rung werde die Her­stel­lung der Fil­ter­röhr­chen sein, glaubt der Werk­stoff­spe­zia­list. „Einer­seits tech­no­lo­gisch, weil die metal­li­schen Nano­par­ti­kel auf die Glas­fa­sern auf­ge­bracht werden müssen.“ Ande­rer­seits seien die Test­röhr­chen ein Weg­werf­pro­dukt und müssten in ent­spre­chend hoher Stück­zahl pro­du­ziert werden.
In Form und Kon­sis­tenz müsse man sich die Röhr­chen wie einen Ziga­ret­ten­fil­ter vor­stel­len, erzählt Mit­te­rer. Der Filter habe im Inneren eine sehr große Ober­flä­che. „Der beste Filter, den wir ent­wi­ckelt haben, hat pro Gramm eine Ober­flä­che von 2.000 bis 3.000 Qua­drat­me­ter.“ Aller­dings diene er nicht dem Testen auf Corona, sondern der Spei­che­rung von Was­ser­stoff.

Spei­chern und Trennen mit Spe­zi­al­ma­te­ri­al

Poröse Mate­ria­li­en für ver­schie­de­ne Anwen­dun­gen ein­zu­set­zen, ist ein wei­te­rer For­schungs­schwer­punkt an Mit­te­rers Lehr­stuhl. Nicht nur für die Was­ser­stoff­spei­che­rung, sondern auch zur Tren­nung von ver­schie­de­nen Gasen oder die Rei­ni­gung von Flüs­sig­kei­ten. „Mög­li­che Ein­satz­ge­bie­te sind die Tren­nung von Methan und Koh­len­di­oxid im Erdgas, die Ent­sal­zung von Meer­was­ser oder die Fil­te­rung von Mikro­plas­tik aus Abwäs­sern“, schil­dert Mit­te­rer.

Bei der Spei­che­rung von Was­ser­stoff wird Koh­len­stoff als poröser Werk­stoff ver­wen­det. „Der ist billig und der Spei­cher­schwamm ist leicht her­stell­bar.“ Mobi­li­tät auf Basis von Was­ser­stoff sei ohne solche Spei­cher nicht umsetz­bar, ist der For­scher über­zeugt. „Unter Nor­mal­be­din­gun­gen, also einem bar Druck und Raum­tem­pe­ra­tur, braucht ein Kilo­gramm Was­ser­stoff rund zwölf Kubik­me­ter Spei­cher­platz. Damit kann man viel­leicht 100 Kilo­me­ter weit fahren.“

Darum werden derzeit in Fahr­zeu­gen Über­druck­tanks ein­ge­setzt, in denen der Was­ser­stoff bei bis zu 800 bar gela­gert wird. „So ein Tank kostet 3.000 Dollar, ein her­kömm­li­cher Ben­zin­tank kommt auf 30 Dollar.“ Außer­dem benö­ti­ge jede Tank­stel­le einen Hoch­leis­tungs­kom­pres­sor, der den starken Über­druck erzeu­gen muss. „Weil der Druck nach jedem Tank­vor­gang wieder auf­ge­baut werden muss, kommt es zu relativ langen War­te­zei­ten.“

Mit einem Koh­len­stoff­spei­cher kann der Tank­druck auf 10 bis 20 bar ver­rin­gert werden. „Das sind dann Ver­hält­nis­se, wie sie in einer nor­ma­len Espres­so­ma­schi­ne herr­schen“, sagt Mit­te­rer. Aller­dings brauche es noch sehr tiefe Tem­pe­ra­tu­ren, damit sich der Was­ser­stoff an der Koh­len­stof­fober­flä­che anla­gert. „Wir arbei­ten mit minus 177 Grad Celsius, der Tem­pe­ra­tur von flüs­si­gem Stick­stoff“, erläu­tert Mit­te­rer. „Wir hoffen, dass wir den Prozess so opti­mie­ren können, dass er auch bei Raum­tem­pe­ra­tur funk­tio­niert.“ Schon in fünf Jahren, so der Wis­sen­schaf­ter, könnte es so weit sein, dass man mit einer Füllung des Koh­len­stoff­tanks mehrere Hundert Kilo­me­ter weit fahren könne.

Ins­ge­samt beschäf­tigt sich der Lehr­stuhl haupt­säch­lich mit Beschich­tun­gen. Dabei gibt es drei Schwer­punk­te. „Wir arbei­ten an Rei­bungs­re­duk­ti­on und Ver­schleiß­min­de­rung, das ist für Werk­zeu­ge, aber auch Moto­ren­kom­po­nen­ten inter­es­sant. Der zweite Bereich sind extrem dünne Schich­ten, zum Bei­spiel für Anwen­dun­gen in der Mikro­elek­tro­nik oder fle­xi­blen Dis­plays. Dazu kommen Spe­zi­al­be­schich­tun­gen zur Akti­vie­rung von Ober­flä­chen.“ 35 wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter sind an Mit­te­rers Lehr­stuhl tätig. Rund 40 Stu­die­ren­de wählen pro Jahr den Bereich Werk­stoff­wis­sen­schaft.

Kontakt

christian.mitterer@unileoben.ac.at

Foto­credit: Shut­ter­stock

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