JUST-Redaktion|

In Wochen statt Jahr­mil­lio­nen: Erdgas aus Was­ser­stoff

Nach­hal­tig­keit als For­schungs- und Ent­wick­lungs­schwer­punkt hat sich die Mon­tan­uni­ver­si­tät Leoben auf ihre Fahnen geschrie­ben. Eines der vielen Pro­jek­te, die bereits am Laufen sind, ist die Erzeu­gung von Erdgas aus Was­ser­stoff und CO2. Was im Unter­grund Mil­lio­nen Jahre dauerte, können die Wis­sen­schaft­ler in wenigen Wochen errei­chen. Dabei werden nicht das Labor, sondern natür­li­che Erd­gas­la­ger­stät­ten benutzt.

Wozu die Natur viele Mil­lio­nen Jahre gebraucht hat, das können öster­rei­chi­sche For­scher in wenigen Tagen oder höchs­tens ein paar Wochen voll­brin­gen: Erdgas erzeu­gen. Und das nicht etwa im Labor, sondern in den natür­li­chen Lager­stät­ten, zum Bei­spiel im Gasfeld Lehen bei Attnang-Puch­heim in Ober­ös­ter­reich.

„Under­ground Sun Con­ver­si­on“ nennt sich das zukunfts­wei­sen­de For­schungs­pro­jekt, das 2017 begon­nen wurde und mitt­ler­wei­le abge­schlos­sen ist. Unter der Feder­füh­rung der Rohöl-Auf­su­chungs AG RAG und unter­stützt vom Infra­struk­tur­mi­nis­te­ri­um und dem Klima- und Ener­gie­fonds wurden ganze Erd­zeit­al­ter quasi im Schnell­durch­lauf absol­viert. Betei­ligt an dem For­schungs­pro­jekt waren auch Exper­ten der Mon­tan­uni­ver­si­tät Leoben rund um das Team von Markus Lehner, der den Lehr­stuhl für Ver­fah­rens­tech­nik des indus­tri­el­len Umwelt­schut­zes in Leoben innehat.

„Was­ser­stoff wird für gewöhn­lich aus Erdgas, also Methan oder CH4, gewon­nen. Wir sind den umge­kehr­ten Weg gegan­gen“, schil­dert Lehner. Die For­scher haben Was­ser­stoff H2 und Koh­len­di­oxid CO2 in eine vor­han­de­ne Erd­gas­la­ger­stät­te gepumpt. Dort, in meh­re­ren Tausend Metern Tiefe, exis­tie­ren Mikro­or­ga­nis­men, die aus den beiden Stoffen CH4 und Wasser bilden.

Das Beson­de­re an dem Ver­fah­ren ist, dass soge­nann­ter grüner Was­ser­stoff ver­wen­det wird, der mittels Elek­tro­ly­se aus Wasser gewon­nen wurde. Das CO2 wie­der­um stammt aus der Indus­trie, wo es in Stahl­wer­ken oder bei der Zemen­ter­zeu­gung frei­ge­setzt wird.

„Die Mikro­or­ga­nis­men in den Erdgas füh­ren­den Schich­ten sind die­sel­ben, die auch in Bio­gas­an­la­gen zum Einsatz kommen. Sie sind dort schon vor­han­den. Sie sind sozu­sa­gen unter­ir­di­sche Reak­to­ren“, schil­dert Lehner. Der Prozess der Erd­gas­bil­dung dauere länger als im Labor. „Wir reden von maximal ein paar Wochen, also immer noch einem sehr über­schau­ba­ren Zeit­raum, wenn man es mit der natür­li­chen Bildung von Erdgas aus abge­stor­be­nem Pflan­zen­ma­te­ri­al ver­gleicht, das vor Jahr­mil­lio­nen unter dicken Gesteins­schich­ten begra­ben wurde.“

Mehrere Hun­dert­tau­send Kubik­me­ter Was­ser­stoff wurden im Rahmen des For­schungs­pro­jek­tes in die gas­füh­ren­den Schich­ten von Lehen gepresst. 30 bis 100 Bar Druck und rund 50 Grad Celsius herr­schen in dem porösen Gestein, in dem das Gas ein­ge­schlos­sen ist. „Das Deck­ge­bir­ge, also die Gesteins­schich­ten darüber, ver­hin­dern, dass das Erdgas aus­tritt. Das gilt auch für das von uns neu erzeug­te. Wir benut­zen den natür­li­chen Spei­cher, der schon das natür­lich ent­stan­de­ne CH4 über viele Mil­lio­nen Jahre sicher im Boden gehal­ten hat.“

Derzeit, so Lehner, sei das Ver­fah­ren noch nicht wirt­schaft­lich. „Natür­li­ches Erdgas ist sehr billig, ins­be­son­de­re, weil es darauf noch keine CO2-Beprei­sung gibt. Grüner Was­ser­stoff dagegen ist teuer, weil die Elek­tro­ly­se ener­gie­in­ten­siv ist und es gar nicht so viele Anlagen dafür gibt.“ Tech­no­öko­no­men hätten aller­dings berech­net, dass die grüne Art der Erd­gaser­zeu­gung ab 2030 oder 2040 eine wirt­schaft­li­che Option dar­stel­len könnte, wenn es bis dahin zu einer CO2-Besteue­rung kommt.

Ein wei­te­res Projekt zur Nach­hal­tig­keit, das an der Mon­tan­uni betrie­ben wird, ist die Methan­py­ro­ly­se. Dabei wird CH4 in festen Koh­len­stoff C und Was­ser­stoff H2 zerlegt. 800 bis 1.100 Grad Celsius sind dafür not­wen­dig. „Wir leiten dafür das Methan durch ein flüs­si­ges Metall­bad und erzeu­gen so Was­ser­stoff. Der Koh­len­stoff kann für viele Dinge ver­wen­det werden“, beschreibt Lehner das Ver­fah­ren. Der Vorteil sei, dass man nur ein Viertel der Energie auf­wen­den müsse, der für die Was­ser­elek­tro­ly­se nötig sei. „Es müssen noch einige Pro­ble­me gelöst werden, zum Bei­spiel Koh­len­stoff­ab­la­ge­run­gen, die den Prozess stören, und wir brau­chen eine Ska­lie­rung vom Labor­maß­stab auf indus­tri­el­le Anwend­bar­keit.“

Ins­ge­samt setzt die Mon­tan­uni­ver­si­tät stark auf das Thema Nach­hal­tig­keit. „Die großen gesell­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen im Bereich Res­sour­cen­knapp­heit, Klima, Energie und Umwelt müssen über­wie­gend mit tech­nisch-natur­wis­sen­schaft­li­chen Metho­den bewäl­tigt werden. Die Mon­tan­uni­ver­si­tät Leoben sieht ihre Aufgabe darin, durch exzel­len­te Wis­sen­schaft und her­vor­ra­gen­de Bildung dazu signi­fi­kan­te Bei­trä­ge zu leisten“, heißt es einem Stra­te­gie­pa­pier, das die Aus­rich­tung im Jahr 2020 beschreibt.

Dabei kon­zen­triert man sich auf drei The­men­fel­der. Advan­ced Resour­ces beschäf­tigt sich mit mine­ra­li­schen Roh­stof­fen. „Die Erfor­schung der Ent­ste­hung, Gewin­nung und nach­hal­ti­gen Nutzung von festen, flüs­si­gen und gas­för­mi­gen Roh­stof­fen ist vor dem Hin­ter­grund des stei­gen­den Roh­stoff­be­darfs der Mensch­heit und wach­sen­der Res­sour­cen­knapp­heit von größter gesell­schaft­li­cher Rele­vanz“, ist man in Leoben über­zeugt. Ent­wi­ckelt werden sollen unter anderem neue Ver­fah­ren zum Auf­spü­ren von Roh­stof­fen, ener­gie­ef­fi­zi­en­te Berg­bau­me­tho­den, Tech­no­lo­gien zur inno­va­ti­ven Nutzung von Roh­stof­fen und bessere Metho­den der Ener­gie­ver­sor­gung.

Im Bereich Smart Mate­ri­als will die Mon­tan­uni smarte Werk­stof­fe und Werk­stoff­sys­te­me mit neuen Funk­tio­na­li­tä­ten und ver­bes­ser­ter Leis­tung bei gleich­zei­tig mög­lichst gerin­gem Res­sour­cen­ver­brauch und kleiner Umwelt­be­las­tung bei der Her­stel­lung ent­wi­ckeln. Dazu sei ein ver­tief­tes Ver­ständ­nis des inneren Aufbaus und der damit ver­knüpf­ten Eigen­schaf­ten von Werk­stof­fen wie Metal­len, Keramik oder Poly­me­ren not­wen­dig.

Der dritte Schwer­punkt ist Sus­tainable Pro­ces­sing. Hier sollen lineare Pro­zess­ket­ten in der Indus­trie durch geschlos­se­ne Kreis­läu­fe ersetzt werden. Die Kern­kom­pe­ten­zen der Mon­tan­uni­ver­si­tät Leoben, die sich entlang des gesam­ten Wert­schöp­fungs­kreis­laufs vom Roh­stoff zum fer­ti­gen Produkt bis zum Recy­cling erstre­cken, ermög­li­chen ein ganz­heit­li­ches Her­an­ge­hen an diese tech­no­lo­gi­schen Her­aus­for­de­run­gen“, ist man in Leoben über­zeugt. Gear­bei­tet wird hier an der Ver­net­zung von Recy­cling­sys­te­men, Dekar­bo­ni­sie­rung, der Opti­mie­rung von Pro­zes­sen, was den Ener­gie­ver­brauch anbe­langt, oder eben Was­ser­stoff als Ener­gie­trä­ger der Zukunft.

Mehr Infor­ma­tio­nen:
www.unileoben.ac.at

Foto: Die For­scher an der Mon­tan­uni Leoben beschäf­ti­gen sich auch mit der effi­zi­en­ten Gewin­nung von Was­ser­stoff aus Methan.

Foto­credit: MUL

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