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Grüne Groß­mo­to­ren: Weg­be­rei­ter kli­ma­neu­tra­ler Energie- und Trans­port­lö­sun­gen

Öster­rei­chi­sche For­schungs- und Indus­trie­un­ter­neh­men nehmen bei der effi­zi­en­ten Umset­zung von E‑Fuels in Groß­mo­to­ren eine inter­na­tio­na­le Vor­rei­ter­rol­le ein: grüne Tech­no­lo­gie aus Öster­reich, mit der die Ener­gie­wen­de rascher vor­an­ge­trie­ben werden kann.

Sie ver­tre­ten heute die öster­rei­chi­sche Groß­mo­to­ren­bran­che. Was sind Groß­mo­to­ren, wofür braucht man Sie?

Andreas Wimmer: Tech­nisch defi­nie­ren wir Groß­mo­to­ren als Hub­kol­ben­ma­schi­nen, deren Hub­vo­lu­men größer als 2,5 Liter pro Zylin­der ist. Die zwei Haupt­an­wen­dungs­be­rei­che sind die Ener­gie­er­zeu­gung und der Trans­port­sek­tor, wo sie für den Antrieb von Schif­fen, Loko­mo­ti­ven und Son­der­fahr­zeu­gen wie zum Bei­spiel im Bergbau ein­ge­setzt werden. Etwa die Hälfte aller Motoren in der Leis­tungs­klas­se von über 1 MW werden für die Ener­gie­er­zeu­gung ein­ge­setzt. 40 Prozent ent­fal­len auf den Mari­ne­be­reich und der Rest teilt sich auf Loko­mo­ti­ven und andere Antrie­be auf.

Andreas Kunz: Was außer­halb der Branche kaum jemand weiß: In Öster­reich gibt es eine sehr starke Indus­trie im Groß­mo­to­ren­be­reich. Das sind unter anderem INNIO mit seinen Jen­ba­cher Groß­mo­to­ren – das Unter­neh­men, für das ich tätig bin –, MIBA, AVL, Bosch, Geis­lin­ger, Hoer­bi­ger oder Lukoil, aber auch wis­sen­schaft­li­che Ein­rich­tun­gen wie das LEC oder TU Graz und TU Wien. Zusam­men beschäf­tigt die Branche rund 12.000 Mit­ar­bei­ter und Mit­ar­bei­te­rin­nen, der Gesamt­um­satz liegt bei rund 3 Mrd. Euro. Die Branche ist extrem export­ori­en­tiert – weit über 90 Prozent werden aus­ge­führt. Der Sektor ist auch Mit­glied im Dach­ver­band der welt­wei­ten Groß­mo­to­ren­bran­che CIMAC. Die natio­na­le Ver­tre­tung CIMAC NMA ist über den Fach­ver­band Metall­tech­ni­sche Indus­trie der WKO orga­ni­siert. Über diese Platt­form gibt es einen regen Aus­tausch.

Wir leben in einer Zeit der Elek­tri­fi­zie­rung, gleich­zei­tig fürch­ten wir Black­outs? Welche Rolle spielen Groß­mo­to­ren in diesem Zusam­men­hang?

Wimmer: Die große Her­aus­for­de­rung bei den mobilen Anwen­dun­gen von Groß­mo­to­ren wie etwa für den Antrieb von Con­tai­ner­schif­fen ist das Mit­füh­ren aus­rei­chend großer Ener­gie­men­gen, was heute prak­tisch aus­schließ­lich mit fos­si­len Kraft­stof­fen pas­siert. Die Energie, die für den Antrieb benö­tigt werden, ist riesig: Ein großes Con­tai­ner­schiff, das von Asien nach Europa fährt, ver­braucht pro Tag mehr als 300 Tonnen Schwer­öl – das sind etwa 7000 Tonnen für die ganze Strecke. Wenn man das durch Bat­te­rien erset­zen würde, würde das Schiff unter­ge­hen. Für solche großen Anwen­dun­gen können also keine bat­te­rie­elek­tri­schen Antrie­be ein­ge­setzt werden. Das heißt aber nicht, dass es nicht trotz­dem Nischen gibt, wo das Sinn macht – zum Bei­spiel bei Fähren für kurze Stre­cken. In Nor­we­gen sind bereits Fähren voll­elek­trisch unter­wegs: Nach der Über­fahrt werden die Bat­te­rien auf der anderen Seite des Fjords wieder nach­ge­la­den.

Kunz: Nicht nur im mobilen Bereich, sondern auch im Ener­gie­be­reich ist es vor allem die Leis­tungs­dich­te, die den Groß­mo­tor so inter­es­sant macht. Darüber hinaus ist auch die Dynamik von Groß­mo­to­ren wichtig: Als Anfang 2021 das Netz in Süd­eu­ro­pa wegen des Aus­falls einer Schalt­sta­ti­on in Kroa­ti­en fast zusam­men­ge­bro­chen ist, haben die Jen­ba­cher Anlagen von INNIO das euro­päi­sche Netz unter­stützt – das sind rund 4000 Aggre­ga­te in Europa, die halfen, ein Black­out in Europa abzu­wen­den. Noch wich­ti­ger werden dezen­tra­le Aus­gleichs­maß­nah­men, wenn mehr erneu­er­ba­re Energie ins Strom­netz ein­ge­speist wird und daher die Fluk­tua­tio­nen zuneh­men und das Strom­netz für die soge­nann­te „Dun­kel­flau­te“ oder Energie für zum Bei­spiel Win­ter­pe­ri­oden abge­si­chert werden muss: Hier ist es ent­schei­dend, dass der Aus­gleichs­strom rasch und wenn nötig auch lange zur Ver­fü­gung steht. Groß­mo­to­ren spielen daher als „Enabler“ für erneu­er­ba­re Ener­gien eine große Rolle.

Welche tech­no­lo­gi­schen Fort­schrit­te gab es in jüngs­ter Zeit bei Groß­mo­to­ren?

Wimmer: Die Wir­kungs­gra­de haben bei den Groß­mo­to­ren extrem zuge­nom­men. Sie liegen nun in einer Grö­ßen­ord­nung von bis zu 50 Prozent. Auch in Bezug auf Leis­tungs­dich­te und auf der Emis­si­ons­sei­te hat sich extrem viel getan. Nun stehen wir vor der Her­aus­for­de­rung, das Ganze auch CO2-frei bzw. kli­ma­neu­tral hin­zu­be­kom­men. Da eine bat­te­rie­elek­tri­sche Lösung bei den meisten dieser Anwen­dun­gen aus­schei­det, ist der einzige Weg, das zu schaf­fen, die Kraft­stoff­sei­te. Den Schlüs­sel dazu sehen wir im Bereich der E‑Fuels, das sind auf Basis von grünem Strom her­ge­stell­te Kraft­stof­fe. Auch Bio-Kraft­stof­fe werden eine wich­ti­ge Rolle spielen.

Kunz: Bei Kraft-Wärme-Kopp­lung liegt die Effi­zi­enz mitt­ler­wei­le bei bis zu 95 Prozent. Wir können den Brenn­stoff also zu einem sehr hohen Grad aus­nut­zen. Wenn man in Zukunft E‑Fuels nutzt, sind Groß­mo­to­ren eine sehr effi­zi­en­te Methode, dieses rare Gut zu nutzen.

Woran wird am LEC zurzeit geforscht?

Wimmer: Unser Schwer­punkt liegt und wird in den nächs­ten Jahren fast aus­schließ­lich bei E‑Fuels liegen. Ein großes Thema ist dabei Was­ser­stoff, aber auch Metha­nol und Ammo­ni­ak sind sehr viel­ver­spre­chen­de Ansätze, da sie bei Umge­bungs­tem­pe­ra­tur in flüs­si­ger Form gela­gert werden können und somit eine sehr gute Spei­che­rung von Was­ser­stoff ermög­li­chen. Auf der einen Seite geht es um die direkte Kon­ver­tie­rung der E‑Fuels im Motor, also um die Ver­bren­nung selbst, die opti­miert werden muss. Auf der anderen Seite spielt das Gesamt­sys­tem eine immer größer wer­den­de Rolle, da abhän­gig vom ein­ge­setz­ten Kraft­stoff zusätz­li­che Kom­po­nen­ten not­wen­dig sind, die auch Energie benö­ti­gen. So wird es zum Bei­spiel für fun­ken­ge­zün­de­te Brenn­ver­fah­ren not­wen­dig sein, dass ein Teil des Ammo­ni­aks vor der Ver­bren­nung wieder zu Was­ser­stoff gecrackt wird. Dieser Ammo­ni­ak-Cracker ist Teil des Gesamt­sys­tems und muss in die Effi­zi­enz­be­trach­tun­gen mit­ein­be­zo­gen werden. Auf der anderen Seite bedeu­ten die neuen Kraft­stof­fe auch sehr große Her­aus­for­de­run­gen für die Motor­me­cha­nik und das Schmier­sys­tem.

Was bedeu­tet diese For­schung für die Praxis, welche Rolle spielen E‑Fuels?

Kunz: Ohne das LEC wären wir nicht da, wo wir heute sind. Die Jen­ba­cher Groß­mo­to­ren haben sich in den ver­gan­ge­nen Jahren eine Stel­lung als eine der füh­ren­den Tech­no­lo­gien bei Erd- und Bio­ga­sen sowie bei der Ver­wer­tung von Spe­zi­al­ga­sen wie etwa Syn­the­se­gas oder Depo­nie­gas erar­bei­tet. Das hilft uns jetzt bei den vielen neuen „grünen“ Kraft­stof­fen. Bei Was­ser­stoff sind wir zurzeit sogar die Ein­zi­gen, die das im grö­ße­ren Leis­tungs­be­reich rea­li­siert und auch demons­triert haben.

Die E‑Fuels sind in der Praxis unsere Zukunft: Wir arbei­ten bei­spiels­wei­se an Retro­fit-Lösun­gen, mit denen bestehen­de Anlagen im Feld und neue Anlagen, die derzeit noch mit Erdgas betrie­ben werden – weil noch kein Was­ser­stoff ver­füg­bar ist –, schnell umge­rüs­tet werden können, wenn dann Was­ser­stoff vor­han­den ist. Wenn der Was­ser­stoff „grün“ ist, ist das für unsere Kunden wie etwa Stadt­wer­ke oder Indus­trie­be­trie­be die Mög­lich­keit, ihre Anlagen zu dekar­bo­ni­sie­ren.

Die ver­schie­de­nen E‑Fuels – von Was­ser­stoff über Ammo­ni­ak bis zu Metha­nol – haben sehr unter­schied­li­che Eigen­schaf­ten. Was wird sich durch­setz­ten?

Wimmer: Was­ser­stoff in großen Mengen zu spei­chern, ist gar nicht so einfach. Daher werden Was­ser­stoff­de­ri­va­te, vor allem Metha­nol und Ammo­ni­ak, für mobile Anwen­dun­gen und die sai­so­na­le Ener­gie­spei­che­rung eine wesent­li­che Rolle spielen. Durch die Umwand­lung von Was­ser­stoff in diese Mole­kü­le ist eine lang­fris­ti­ge Spei­che­rung der Energie möglich. Jeder Kraft­stoff hat aber bei der Umset­zung im Motor sehr spe­zi­fi­sche Her­aus­for­de­run­gen. Es wird sicher kein Motor­kon­zept geben, das alles kann. Aber man ver­sucht, durch modu­la­re Kon­zep­te die Anpas­sun­gen mög­lichst gering zu halten. So können auch bestehen­de Anlagen nach­ge­rüs­tet werden.

Kunz: In Hamburg haben wir bei einem Kunden einen zu 100 Prozent was­ser­stoff­fä­hi­gen Motor rea­li­siert: Der Kunde wollte sowohl auf Erdgas als auch auf Was­ser­stoff in allen mög­li­chen Mischungs­ver­hält­nis­sen fahren. Diese Lösung gibt dem Kunden Fle­xi­bi­li­tät.

Wimmer: Was­ser­stoff ver­brennt sehr schnell und ist einfach zu ent­zün­den. Ammo­ni­ak ist das genaue Gegen­teil davon: Als Kraft­stoff ist er sehr träge und schwie­rig im Motor umzu­set­zen. Ammo­ni­ak hat aber den ent­schei­den­den Vorteil, dass es keinen Koh­len­stoff enthält – das heißt, dass man sich im Gegen­satz zu den koh­len­stoff­ba­sier­ten E‑Fuels wie Metha­nol keine Gedan­ken um den CO2-Kreis­lauf machen muss.
Für einen CO2-freien Prozess gibt es in diesem Fall grund­sätz­lich drei Mög­lich­kei­ten: Ent­we­der gewinnt man das CO2 aus der Umge­bungs­luft, trennt es aus dem Abgas ab oder gene­riert es bereits vor der Ver­bren­nung direkt aus dem Kraft­stoff. Letz­te­ren Prozess haben wir am LEC mit Metha­nol im Rahmen des großen EU-Pro­jekts HyMe­th­Ship erfolg­reich demons­triert: Das Metha­nol wird dabei in einem Mem­bran­re­ak­tor, der mit der Abgas­wär­me des Motors betrie­ben wird, in CO2 und Was­ser­stoff gespal­ten. Der Motor wird in wei­te­rer Folge mit Was­ser­stoff betrie­ben, das CO2 ver­flüs­sigt und an Bord gespei­chert. Aus dem abge­trenn­ten und an Land gebrach­ten CO2 wird mit­hil­fe von grünem Was­ser­stoff wieder Metha­nol her­ge­stellt.

Kunz: Im Augen­blick ist Ammo­ni­ak der kal­ku­la­to­risch char­man­tes­te Was­ser­stoff­trä­ger. Alles, was zum Bei­spiel in Aus­tra­li­en oder Kanada jemals an grünem Was­ser­stoff pro­du­ziert wird, ist deut­lich ein­fa­cher in Form von Ammo­ni­ak nach Europa zu ver­schif­fen. Hier kann man den Was­ser­stoff wieder abspal­ten und man kann auch die Schiffe direkt mit Ammo­ni­ak betrei­ben.

Wie sehen Sie die Zukunft von Groß­mo­to­ren?

Wimmer: Alle Sek­to­ren, in denen Groß­mo­to­ren ein­ge­setzt werden, werden sehr stark zulegen. Ins­be­son­de­re wird es auch so sein, dass mit dem ange­streb­ten hohen Anteil an erneu­er­ba­rer Energie im Netz der Bedarf an Aus­gleichs­ein­hei­ten zur Netz­sta­bi­li­sie­rung zuneh­men wird. Diese soge­nann­ten „Kraft­wer­ke der Zukunft“ müssen Energie sowohl spei­chern als auch hoch­dy­na­misch rück­ver­stromen können. Und sie müssen CO2-neutral sein: Per Elek­tro­ly­se wird mit­hil­fe von Über­schuss­elek­tri­zi­tät Was­ser­stoff pro­du­ziert, der vor Ort gespei­chert und im Bedarfs­fall, wenn es Nach­fra­ge im Netz gibt, rasch wieder ver­stromt wird.

Kunz: Eine Her­aus­for­de­rung dabei ist, Motoren für Was­ser­stoff auf die gleiche Leis­tungs­dich­te zu bringen wie derzeit bei Erdgas. Denn Was­ser­stoff hat im Ver­gleich zu Erdgas eine gerin­ge­re Ener­gie­dich­te im gas­för­mi­gen Zustand bei glei­chem Druck.

Unsere Indus­trie ist jeden­falls bereit für die schnel­le Ener­gie­wen­de. Aber wir stehen am Ende der Kette – die Frage ist, wo der „grüne“ Was­ser­stoff kos­ten­güns­tig her­kommt? Dafür müssen noch Rah­men­be­din­gun­gen gesetzt werden. Als Branche ist uns dabei Tech­no­lo­gie­of­fen­heit wichtig: För­der­ge­ber sollten unserer Meinung nach Ziele vor­ge­ben, und nicht Tech­no­lo­gien. Die beste Technik sollte gewin­nen. Wenn wir die Ener­gie­wen­de schaf­fen wollen, brau­chen wir alle Tech­no­lo­gien.

Mehr Infor­ma­tio­nen:
www.lec.at

Foto: Martin Kugler

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