JUST-Redaktion|

Für den Green Deal gehen uns die Roh­stof­fe aus

Für eine umfas­sen­de­re Explo­ra­ti­on und vor allem stär­ke­re Nutzung euro­päi­scher Roh­stof­fe tritt der Leiter des Lehr­stuhls für Geo­lo­gie und Lager­stät­ten­leh­re an der Mon­tan­uni­ver­si­tät Leoben, Frank Melcher, ein. Nur so könne Europa die Abhän­gig­keit von Roh­stoff­im­por­ten zumin­dest abmil­dern.

Frank Melcher geht es nicht nur um die gefrag­ten Sel­te­nen Erden, das rare Kobalt und das begehr­te Lithium. Zumin­dest nicht nur. Völlig unter­schätzt werde, so der Wis­sen­schaf­ter, der Bedarf der EU an Mas­sen­roh­stof­fen für die Trans­for­ma­ti­on zu einer emis­si­ons­är­me­ren Wirt­schaft, wozu auch Grund­stof­fe wie Beton oder Stahl zählen. „Wir sollten Zement, Beton und Stahl in Zukunft nicht in großen Mengen impor­tie­ren müssen, wenn wir diese selbst her­stel­len können“, kri­ti­siert Melcher.

Er hat aus­ge­rech­net, welche Roh­stof­fe der geplan­te Ausbau der Wind­ener­gie auf eine Erzeu­gungs­ka­pa­zi­tät von zehn Tera­watt­stun­den allein in Öster­reich brau­chen würde. Die Zahlen sind gigan­tisch: 6 Mil­lio­nen Tonnen Beton, 2 Mil­lio­nen Tonnen Stahl, 160.000 Tonnen Glas und 400.000 Tonnen Eisen wären nötig. Dem­ge­gen­über würden „nur“ 2000 Tonnen Seltene Erden gebraucht. Letz­te­re müssten tat­säch­lich aus China ein­ge­führt werden, da es sie in Europa in abbau­fä­hi­ger Form schlicht und ergrei­fend nicht gibt. Ein Teil der Roh­stof­fe könnte aber sehr wohl aus dem eigenen Land kommen.

Während Eisen nach wie vor im großen Maßstab am stei­ri­schen Erzberg abge­baut und in Öster­reich zu Stahl wei­ter­ver­ar­bei­tet wird, sieht es bei vielen anderen Roh­stof­fen anders aus. „Wir haben eine hei­mi­sche Zement­in­dus­trie, aber deren Ausstoß wird ja bereits für andere Bau­vor­ha­ben wie Straßen oder Wohn­raum benö­tigt“, schil­dert Melcher. Eine Erhö­hung der Kapa­zi­tät könne es nur über umfang­rei­che Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren geben und hier greife die Men­ta­li­tät „not in my back­yard“. „Es ist wie mit Han­dy­mas­ten oder den Wind­rä­dern“, seufzt Melcher, „die Bürger wollen davon pro­fi­tie­ren, aber kei­nes­falls selbst betrof­fen sein.“

Endlos lange Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren kann sich in der Roh­stoff­ge­win­nung niemand leisten, weiß der Geologe. „Das ist einfach nicht finan­zier­bar.“ Dabei würden jene Men­schen, die sich gegen den Roh­stoff­ab­bau wehren, unter­schät­zen, „dass der Green-Deal-Anstren­gun­gen von allen erfor­dern wird“.

20 bis 30 Jahre kann es laut Melcher dauern, bis ein Bergbau so richtig ins Laufen komme. „Am Anfang steht eine Mach­bar­keits­stu­die, bei der durch Pro­be­boh­run­gen Menge und Qua­li­tät explo­riert werden müssen. Abbau- und Auf­be­rei­tungs­kos­ten müssen genau pro­gnos­ti­ziert werden. Dieser Prozess kostet sehr viel Geld und dauert gut zehn Jahre.“ Anschlie­ßend müsse sich das Projekt einer Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fung unter­zie­hen und schließ­lich müsse man sich mit den Grund­ei­gen­tü­mern einigen. Das alles brauche häufig noch einmal zehn Jahre. Dazu komme das Explo­ra­ti­ons­ri­si­ko: „Im Durch­schnitt wird aus einem von 1000 erkun­de­ten Roh­stoff­vor­kom­men tat­säch­lich ein Abbau.“

Graphit ist für Melcher ein gutes Bei­spiel dafür, dass es in Öster­reich unge­nutz­te Poten­zia­le gibt. In der Böh­mi­schen Masse, einem Gebiet, das sich von Tsche­chi­en bis nach Ober­ös­ter­reich hinein erstreckt, sind reiche Lager­stät­ten von Graphit bekannt. „Früher hat man diesen Roh­stoff für die Stahl­er­zeu­gung in Linz ver­wen­det. In den 1980er-Jahren wurde das dann gestoppt, weil zu viel Schwe­fel emit­tiert wurde. Der Gra­phit­berg­bau ist dann ver­schwun­den, bis auf ein kleines Unter­neh­men, das ein Vor­kom­men bei Leoben aus­beu­tet.“

Graphit brauche man heute für ganz andere Dinge als für die Stahl­er­zeu­gung. So bestehen 30 bis 40 Gewichts­pro­zent eines Akkus aus dem Koh­len­stoff. Der Groß­teil des Gra­phits, der dabei zum Einsatz kommt, ist natür­li­chen Ursprungs, aller­dings wird zuneh­mend auch syn­the­ti­scher Graphit ein­ge­setzt. Wegen des E‑Mo­bi­li­täts-Booms, so Melcher, steige der Bedarf enorm: „Bis 2050 wird die Welt vier Mal so viel Graphit brau­chen, wie in den ver­gan­ge­nen 35 Jahren global abge­baut wurde. Es ist absolut unrea­lis­tisch zu glauben, dass diese Menge von den bestehen­den Abbauen gelie­fert werden kann.“ Öster­reich könnte mit einer Reak­ti­vie­rung seiner Gra­phit­för­de­run­gen helfen, den abseh­ba­ren Mangel zu mildern.

Ähnlich sieht es mit Lithium aus, das eben­falls für Akkus gebraucht wird. Melcher: „Auf der Koralm gibt es ein großes, abbau­wür­di­ges Vor­kom­men. Es ist seit 1981 bekannt, geför­dert wird noch nichts. Jetzt bemüht sich zwar ein Unter­neh­men um die Geneh­mi­gun­gen und Finan­zie­rung, wie lange das dauern wird, ist aber nicht abzu­se­hen.“ Bis 2050 wird welt­weit übri­gens 13 Mal so viel Lithium benö­tigt, wie in den letzten 35 Jahren gewon­nen wurde.

Sich aus­schließ­lich auf Importe zu ver­las­sen hält Melcher für gefähr­lich. „Viele Roh­stof­fe kommen aus China. Aber dort sind manche Lager­stät­ten immer schwie­ri­ger abzu­bau­en, andere wurden geschlos­sen, weil auch China den Umwelt­schutz ent­deckt hat und die schlimms­ten Aus­wüch­se suk­zes­si­ve abstellt.“ Andere Lie­fe­ran­ten seien afri­ka­ni­sche Länder, in denen die poli­ti­sche Situa­ti­on insta­bil sei und der Abbau oft unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen von­stat­ten­ge­he.

Der Leo­be­ner Wis­sen­schaf­ter plä­diert dafür, dass die Explo­ra­ti­ons­ak­ti­vi­tä­ten hoch­ge­fah­ren werden – gerade in Europa. „Ins­ge­samt pas­siert welt­weit zu wenig, außer bei Gold. Das Trau­ri­ge dabei ist nur, Gold benö­ti­gen wir für den Green Deal gar nicht.“

Recy­cling ist nur teil­wei­se eine Lösung, schil­dert Melcher. „Bei Kupfer, Blei oder Zink funk­tio­niert das ganz gut. Hier werden in der EU schon 33 bis 111 Prozent des Eigen­ver­brauchs wie­der­ge­won­nen. Schlech­ter sieht es hin­ge­gen bei Alu­mi­ni­um, Nickel oder Zinn aus, wo nur 35 bis 21 Prozent des Bedarfs aus Recy­cling gedeckt wird.“

Außer­dem sei die Wie­der­ge­win­nung von Roh­stof­fen aus alten Geräten nicht so einfach, wie man sich das vor­stel­le. Melcher nennt als Bei­spiel aus­ran­gier­te Handys: „Ein Smart­phone besteht aus rund 60 ver­schie­de­nen Stoffen. Wie­der­ge­won­nen werden können nur wenige Metalle. Die haben bei einem Handy einen Wert von knapp einem Euro. Davon sind 80 Cent Gold.“ Letz­te­res werde tat­säch­lich recy­celt – der Rest landet mangels Wirt­schaft­lich­keit auf der Deponie.

Kontakt:
www.unileoben.ac.at

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