JUST-Redaktion|

AVL sieht Poten­zi­al in Brenn­stoff­zel­len

Die Brenn­stoff­zel­le ist einer der Hoff­nungs­trä­ger bei der Ener­gie­ver­sor­gung umwelt­freund­li­cher Elek­tro­au­tos. Bisher kon­zen­trier­te sich die ent­spre­chen­de Ent­wick­lung auf Pkw. Beim Grazer Entwicklungs‑, Prüf- und Simu­la­ti­ons­spe­zia­lis­ten AVL sieht man aber eine brei­te­re Anwen­dungs­pa­let­te: Auch Lkw, Schiffe, Loko­mo­ti­ven und Flug­zeu­ge könnten mit Brenn­stoff­zel­len betrie­ben werden. Großes Poten­zi­al liegt auch in dezen­tra­len Klein­kraft­wer­ken, die ganze Sied­lun­gen mit Strom ver­sor­gen.

Wir stehen bei der Brenn­stoff­zel­len-Tech­no­lo­gie vor einer Trend­wen­de“, ist der Leiter des welt­wei­ten Fuel-Cell-Com­pe­tence-Teams bei AVL, Jürgen Rech­ber­ger, sicher. Bis vor Kurzem habe man vor allem an den Einsatz der Tech­no­lo­gie, bei der Was­ser­stoff und der Sau­er­stoff in der Luft an zwei von einer Membran getrenn­ten Elek­tro­den zu Wasser reagie­ren und dabei Strom erzeu­gen, im Pkw gedacht. „Da hat die durch­schnitt­li­che Lebens­dau­er einer Zelle, die bei 5.000 bis 6.000 Stunden liegt, aus­ge­reicht.“ Jetzt fasse man aber auch andere Anwen­dun­gen ins Auge, bei denen die not­wen­di­ge Lebens­dau­er fünf- bis sechs­mal so hoch liege.

Die Lebens­dau­er einer Brenn­stoff­zel­le wird unter anderem vom Kata­ly­sa­tor begrenzt, mit dem die Elek­tro­den beschich­tet sind. Meist ver­wen­det man dafür Platin. Das Edel­me­tall Platin ist relativ teuer, so kostet ein Gramm Platin auf dem Welt­markt derzeit rund 40 €. ­Aller­dings ist Platin gut recy­cel­bar – mehr als 90 Prozent des Edel­me­talls können aus gebrauch­ten Brenn­stoff­zel­len zurück­ge­won­nen werden.

Kern­for­schungs­the­ma bei AVL sind im Moment lang­le­bi­ge Brenn­stoff­zel­len, die im Lkw zum Einsatz kommen können. „Es geht dabei vor allem darum, den Kon­flikt zwi­schen hoher Leis­tungs­dich­te und hoher Lebens­dau­er zu lösen. Dazu glauben wir, mit unserer Gen 0 Stack­tech­no­lo­gie einen ent­schei­den­den Durch­bruch erzielt zu haben“, ist Rech­ber­ger stolz.

Der Leiter des Fuel-Cell-Teams sieht in der Brenn­stoff­zel­len­tech­no­lo­gie eine kos­ten­ef­fi­zi­en­te Mög­lich­keit, E‑Autos lang­stre­cken­taug­lich zu machen. „Das ist für den Trans­port­sek­tor unab­ding­bar. Ich bin sicher, dass sich das Prinzip bei Lang­stre­cken-Lkw durch­set­zen wird. Und mit den Brenn­stoff­zel­len-Elektro-Lkw wird das Was­ser­stoff-Tank­stel­len­netz kommen, das dann auch für Pkw zur Ver­fü­gung stehen wird.“

Zwar werde der Akku bei den Pkw den Markt domi­nie­ren, so Rech­ber­ger, aber man werde wohl alle Alter­na­ti­ven ebenso nutzen. Die Brenn­stoff­zel­le werde bei hoher Nut­zungs­fre­quenz, dem Fehlen von Lade­infra­struk­tur oder häu­fi­gen Lang­stre­cken­fahr­ten zum Einsatz kommen. „Elek­tro­fahr­zeu­ge werden für viele Kon­su­men­ten eine ideale Lösung sein. Um der Elek­tro­mo­bi­li­tät zum kom­plet­ten Durch­bruch zu ver­hel­fen, wird es aber eine zweite Tech­no­lo­gie­op­ti­on brau­chen.“, sagt Rech­ber­ger. „Schnell­la­den ist inzwi­schen rein tech­nisch gut möglich, nur die nötige Infra­struk­tur fehlt. Und das werde wohl auch lang­fris­tig so bleiben, denn: „Wenn man in Öster­reich alle Pri­vat­fahr­zeu­ge elek­trisch betreibt und nur jeweils ein Prozent davon gleich­zei­tig an einen Schnell­la­der hängt, bräuch­te man dreimal so viel Strom, wie derzeit hier­zu­lan­de im Schnitt erzeugt wird.“

Enormes Poten­zi­al sieht der AVL-Team­lei­ter in der Fest­oxid-Brenn­stoff­zel­le (SOFC). Diese sei beim Kraft­stoff fle­xi­bel, Was­ser­stoff könne ebenso ver­stromt werden wie Erdgas oder jeg­li­ches Gemisch der beiden. Auch ein Betrieb mit Metha­nol oder Äthanol – also Alkohol – sei möglich. „Dieser Typ ist ideal für die dezen­tra­le Ener­gie­ver­sor­gung. Wir ent­wi­ckeln bei AVL gerade Geräte mit einer Leis­tung von 250 Kilo­watt, die natür­lich auch in Gruppen bis in den Mega­watt­be­reich ska­liert werden können. Weil die SOFC mit sehr hohen Tem­pe­ra­tu­ren zwi­schen 500 und 800 Grad Celsius arbei­tet, kann die Wärme aus­ge­kop­pelt und zum Heizen ver­wen­det werden.“

Bei der Mobi­li­tät eignen sich Brenn­stoff­zel­len nicht nur für die Straße, sondern auch für die Schiene und vor allem für Schiffe. Loko­mo­ti­ven mit Brenn­stoff­zel­len würden wahr­schein­lich mit­tel­fris­tig eher im Per­so­nen­ver­kehr Anwen­dung finden, glaubt Rech­ber­ger. Dort seien die Nutz­las­ten nicht so groß und Loko­mo­tiv­leis­tun­gen von bis zu 400 Kilo­watt aus­rei­chend. Im Mari­ne­sek­tor würden wohl Kreuz­fahrt­schif­fe die ersten Anwen­der sein. Aber auch der Fracht­ver­kehr zu Wasser sei ein Thema. So ent­wi­ckelt der Verbund mit zahl­rei­chen euro­päi­schen Part­nern ein Projekt, bei dem in Rumä­ni­en erzeug­ter Was­ser­stoff über die Donau ver­schifft werde. „Wir als AVL arbei­ten an dem Schiffs­an­trieb, der auf Brenn­stoff­zel­len basiert. Wenn grüner Was­ser­stoff quer durch Europa trans­por­tiert wird, kann das ja nicht mit kon­ven­tio­nel­len Die­sel­an­trie­ben gemacht werden.“ Die nötige Leis­tung von Schiffs­mo­to­ren, die zwi­schen einem und 60 Mega­watt liegt, sei für Brenn­stoff­zel­len kein Problem, schil­dert Rech­ber­ger: „Man schal­tet einfach genug Module zusam­men.“

Knack­punkt beim Thema Brenn­stoff­zel­le ist für Rech­ber­ger die Erzeu­gung des nötigen Was­ser­stoffs. Der wird derzeit haupt­säch­lich aus Erdgas gewon­nen. „Wir müssen da aber kom­plett auf ‚grünen‘ Was­ser­stoff setzen, sonst macht das Ganze keinen Sinn und wäre auch nicht glaub­wür­dig.“ Inter­es­san­ter­wei­se ist hier die Umkehr­re­ak­ti­on der Brenn­stoff­zel­le auch die ent­schei­den­de Lösung.

„Wenn man das System umdreht, also Wasser oder Was­ser­dampf in eine Brenn­stoff­zel­le (heißt dann Elek­tro­ly­se) leitet und Strom an die Elek­tro­den anlegt, kommen Was­ser­stoff und Sau­er­stoff heraus. Den Strom für den Betrieb gewinnt man aus erneu­er­ba­ren Ener­gie­quel­len, am besten aus der zeit­wei­li­gen Überschuss­erzeugung von Solar­zel­len und Wind­rä­dern.“ Beson­ders vor­teil­haft ver­läuft diese Reak­ti­on in einer von AVL ent­wi­ckel­ten Hoch­tem­pe­ra­tur­elek­tro­ly­se, bei der noch zusätz­lich Abwärme für die Ver­damp­fung des Wassers her­an­ge­zo­gen werden kann. Mit dieser Tech­no­lo­gie kann Was­ser­stoff mit einem Wir­kungs­grad von bis zu 90 Prozent erzeugt werden.

Der Was­ser­stoff aus Elek­tro­ly­se kann auch bei einem anderen großen Ent­wick­lungs­ge­biet von AVL ver­wen­det werden: der Erzeu­gung von syn­the­ti­schem Treib­stoff in Power-to-Liquid-Anlagen. In diesen wird der Was­ser­stoff mit Koh­len­mon­oxid zu Benzin ver­schmol­zen. Weil es sich nicht um einen fos­si­len Brenn­stoff handelt, ist der syn­the­ti­sche Treib­stoff bei der Ver­bren­nung CO2-neutral.

AVL, so Rech­ber­ger, habe in Graz eines der welt­weit größten Was­ser­stoff-Test­cen­ter in Betrieb genom­men. Bis zu zwei Mega­watt Kapa­zi­tät seien auf den Prüf­stän­den testbar. „Wir können in beide Rich­tun­gen unter­su­chen – sowohl die Ener­gie­er­zeu­gung als auch die Was­ser­stoff­ge­win­nung.“

Ins­ge­samt, so der AVL-Fuel-Cell-Team­chef, ist der Bereich Brenn­stoff­zel­le in der For­schung und Ent­wick­lung stark wach­send. Sein Team umfasst derzeit rund 100 Mit­ar­bei­ter an drei Stand­or­ten: Graz, wo mit 50 Mit­ar­bei­tern der Löwen­an­teil der For­schung statt­fin­det, dem unga­ri­schen Kec­s­ke­met und dem kana­di­schen Van­cou­ver. „Wir sind dabei nur ein Teil der gesam­ten Was­ser­stoff-Mann­schaft von AVL, die rund 350 Mit­ar­bei­ter umfasst.“

Auch in der Corona-Krise wächst das Brenn­stoff­zel­len­team bei AVL. Auch heuer erwar­ten wir einen wei­te­ren Bedarf an Fach­ex­per­ten im Brenn­stoff­zel­len­be­reich.“

Kontakt
Jürgen Rech­ber­ger
Manager Global Fuel Cell Com­pe­tence Team
AVL List GmbH

Foto: Jürgen Rech­ber­ger, Leiter des Fuel-Cell-Teams von AVL

Foto­credit: Jorj Kon­stan­ti­nov

 

Science wird mit finan­zi­el­ler Unter­stüt­zung von AVL, Joan­ne­um Rese­arch, MUL, MCL, LEC, ZWI in redak­tio­nel­ler Unab­hän­gig­keit gestal­tet.

Weitere Beiträge

Arosa auf den Spuren des Lang­wie­ser Via­dukts

Anläss­lich des 111-jäh­ri­gen Jubi­lä­ums des Lang­wie­ser Via­dukts – einst die größte und weitest gespann­te Stahl­be­ton-Eisen­bahn­brü­cke der Welt – hat das neue Viadukt Museum Lang­wies eröff­net. Direkt beim Bahnhof Lang­wies gelegen, lädt das Museum alle Inter­es­sier­ten an Eisen­bahn­ge­schich­te, Archi­tek­tur, Technik und alpiner Kultur ein, die fas­zi­nie­ren­de Geschich­te des Via­dukts und der Chur-Arosa-Bahn­li­nie zu ent­de­cken.

Story lesen