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Von der Kunst, nicht zu reagie­ren

Die Her­aus­for­de­run­gen im Berufs­all­tag, aber auch im Pri­vat­le­ben nehmen ständig zu. Krisen stand­zu­hal­ten lässt sich lernen. Coach und Trainer Andreas Herz über Resi­li­enz und lehr­rei­che All­tags­si­tua­tio­nen, Stra­te­gien zur Kri­sen­be­wäl­ti­gung – und über geschenk­te Zeit.

Unsere Wider­stands­kraft wird seit gerau­mer Zeit stärker als sonst auf die Probe gestellt. Manche können damit besser umgehen als andere. Was macht uns resi­li­ent?

Andreas Herz: Resi­li­enz baut man im Leben schon vom Klein­kind an auf. Dafür wichtig ist zumin­dest eine Bezugs­per­son, die Gebor­gen­heit und Sicher­heit geben kann. Im Laufe der Zeit werden immer mehr Coping­stra­te­gien ver­mit­telt, wie man mit schwie­ri­gen Situa­tio­nen umgehen kann. Die der­zei­ti­ge her­aus­for­dern­de Lage rund um Corona kann auch zur Resi­li­enz bei­tra­gen – aber nur dann, wenn man sich bewusst damit aus­ein­an­der­setzt und darüber reflek­tiert, was gerade mit uns pas­siert und was man für sich per­sön­lich daraus lernen kann.

Macht eine Krise immer stärker?

Man kann an Krisen wachsen, man kann aber auch an ihnen zer­bre­chen – das betrifft eine massive Erkran­kung genauso wie eine schwie­ri­ge fami­liä­re Situa­ti­on. Grund­sätz­lich brau­chen wir Her­aus­for­de­run­gen im Leben schon, um mensch­lich zu reifen. Aber das muss weder eine Pan­de­mie noch sonst eine dra­ma­ti­sche Erfah­rung sein, der Alltag bietet genug Mög­lich­kei­ten dafür.

Sie waren selbst an Krebs erkrankt. Was hat Ihnen da Rück­halt gegeben?

Die Familie, die Freunde, ein gutes sozia­les Umfeld – und ich bin prin­zi­pi­ell ein posi­ti­ver Mensch. Nach den ersten Tiefs, die es natür­lich gibt, habe ich ver­sucht, einen Sinn zu erken­nen – frei­lich nicht einen Sinn darin, dass ich tod­krank war, sondern in dem Sinn, was mir das Leben even­tu­ell bei­brin­gen will. Wenn man den Dingen Sinn geben kann, findet man Mög­lich­kei­ten und Wege, damit umzu­ge­hen. Wenn nur die abso­lu­te Ver­zweif­lung bleibt, wird es schwie­rig. Ich war sehr dankbar für alles, was ich hatte, für jeden ein­zel­nen Tag. Die Erkran­kung hat sich über ins­ge­samt zehn Jahre erstreckt, fünf Jahre davon waren sehr inten­siv mit Strah­len­the­ra­pien und schwe­ren Ope­ra­tio­nen, die letzte 2009. Indem ich durch dieses Tal gegan­gen bin, habe ich viel an Gelas­sen­heit gewon­nen.

Sie haben sich schon vor Ihrer Erkran­kung inten­siv mit Zen-Bud­dhis­mus beschäf­tigt – aus welchen Gründen?

Was Gedan­ken mit uns machen, das hat mich schon immer inter­es­siert. Irgend­wann ist dann auch der Zen-Bud­dhis­mus dazu­ge­kom­men. Damals galt man noch als Spinner, wenn man sich mit Medi­ta­ti­on und Acht­sam­keit beschäf­tigt hat. Heute sind diese Themen bei uns in der Gesell­schaft ange­kom­men. Während meiner Erkran­kung war ich auf der welt­wei­ten Suche nach Mög­lich­kei­ten, um diese schwie­ri­ge Zeit besser aus­hal­ten zu können. Da bin ich auch auf das Thema Resi­li­enz gesto­ßen, 2005 war das noch kein geläu­fi­ges Wort. Die US-Eli­te­ein­heit Navy Seals hat aber bei­spiels­wei­se ein eigenes Resi­li­en­z­trai­ning, ich habe auch am Insti­tut des Dalai Lamas stu­diert. Der Begriff Resi­li­enz kommt ja eigent­lich aus der Technik und meint die Fähig­keit eines Werk­stof­fes, Druck von außen auf­zu­neh­men, aus­zu­hal­ten und in seine ursprüng­li­che Form zurück­zu­keh­ren, wenn der Druck nach­lässt. Ich habe suk­zes­si­ve ein eigenes Resi­li­en­z­trai­ning ent­wor­fen, das ich heute in Vor­trä­gen anderen nahe­brin­ge. Resi­li­enz ist ja relativ einfach zu trai­nie­ren und zu stei­gern.

Wie kann der Alltag da Lehr­meis­ter sein?

Da genügen schon Situa­tio­nen wie ein mor­gend­li­cher Stau, die Park­platz­su­che in der Stadt oder die Schlan­ge an der Super­markt­kas­sa. Der Alltag bietet so viele Mög­lich­kei­ten. Man kann sich gut selbst beob­ach­ten: Bleibe ich ent­spannt? Ist es mir möglich, die Situa­ti­on einfach aus­zu­hal­ten? Schaffe ich es in einem Stau, gelas­sen in der Spur zu bleiben? In der Stress­for­schung ist von „daily hassles“, von All­tags­wid­rig­kei­ten die Rede. Die Kunst liegt darin, eben nicht zu reagie­ren und den inner­li­chen Auto­ma­tis­men zu folgen, obwohl man nervös und unruhig wird. Neben den „daily hassles“ gibt es aber auch „daily gifts“ – wenn man bei­spiels­wei­se irgend­wo zu früh ankommt und auf etwas warten muss. Das ist geschenk­te Zeit, die es über den Tag ver­teilt immer wieder gibt. Man muss sie als solche wahr­neh­men und bewusst zur Erho­lung nutzen.

Wie gelingt Ihnen das per­sön­lich?

Mitt­ler­wei­le gut. Wir brau­chen auch einfach Phasen des Nichts­tuns, der Lan­ge­wei­le. Das bedeu­tet nicht, dass man das stun­den­lang macht, es geht nur um ein paar Minuten. Man kann sie auch gut nutzen, wenn wir öfter einmal die Stiegen nehmen oder nicht mit dem Auto über­all­hin bis vor die Haustür fahren, sondern ein Stück zu Fuß gehen. Ich mache das häufig. Unser vege­ta­ti­ves Ner­ven­sys­tem braucht die Mög­lich­keit, unser System aus­zu­schau­keln. Auch Ener­gie­tank­stel­len sind wichtig. Medi­tie­ren kann man auch bei einem Glas Wein, nicht nur mit ver­schränk­ten Beinen auf dem Boden. Denn es geht im Grunde darum, ganz bei sich und im Moment zu sein. Um die eigene Resi­li­enz zu stei­gern, muss man als Durch­schnitts­mensch nicht in Extrem­si­tua­tio­nen gehen, da reichen eben täg­li­che, kleine Übungs­ein­hei­ten und irgend­wann ist der Stau nicht mehr das große Problem.

Das klingt einfach und ist dennoch für viele eine große Her­aus­for­de­rung, nicht?

Manche Manager gehen leich­ter über glü­hen­de Kohlen als eine Stunde still­sit­zen zu können. Aber wie oft braucht man das im realen Arbeits­le­ben? Viel­mehr geht es darum, in langen Ver­hand­lun­gen kon­se­quent auf­merk­sam zu bleiben, Atmo­sphä­ren zu spüren. Mitt­ler­wei­le prak­ti­zie­ren aber immer mehr Men­schen auch in Lei­tungs­funk­tio­nen Zen. Will man Men­schen führen, muss man an sich selbst arbei­ten. Wenn man selbst undis­zi­pli­niert ist, kann man nicht das Gegen­teil von anderen erwar­ten. Corona hat den Stel­len­wert sozia­ler Kom­pe­ten­zen noch deut­li­cher gemacht.

Wie kann Lebens­be­ra­tung auf ver­schie­de­nen Ebenen unter­stüt­zen?

Lebens­be­ra­tung fußt auf drei Säulen: ernäh­rungs­wis­sen­schaft­li­cher, sport­wis­sen­schaft­li­cher und psy­cho­so­zia­ler Unter­stüt­zung. Um die Resi­li­enz auf allen diesen Ebenen zu stärken, braucht es nicht einen radi­ka­len Wandel der Lebens­wei­se, viel­mehr kann es mit­hil­fe der Beglei­tung durch Exper­ten gelin­gen, seinen Lebens­stil wirk­lich lang­fris­tig zu ver­än­dern.

Andreas Herz
hat im Alter von 38 Jahren die Herz GmbH gegrün­det. Zwei Monate später wurde bei ihm Darm­krebs im fort­ge­schrit­te­nen Stadium dia­gnos­ti­ziert. Nach einem mehr­jäh­ri­gen Kampf zurück ins Leben beschritt er die 810 Kilo­me­ter des Camino Francès auf dem Jakobs­weg in 21 Tagen. Heute ist er mit seinem Herz-Resi­li­enz-Konzept als Keynote-Speaker, Manage­ment­trai­ner und Coach tätig. Er ist Obmann der Fach­grup­pe Per­so­nen­be­ra­tung und Per­so­nen­be­treu­ung sowie Vize­prä­si­dent der Wirt­schafts­kam­mer Stei­er­mark.

Foto­credit: WKO Steiermark/Kanizaj

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