JUST-Redaktion|

Demo­gra­fie & Gesund­heit als Stand­ort­fak­to­ren

Andreas Herz, Vize­prä­si­dent der WKO Stei­er­mark, über Wege aus  der demo­gra­fi­schen Falle und den Wandel des Gesund­heits­ver­ständ­nis­ses.

Die demo­gra­fi­sche Ent­wick­lung scheint immer mehr Unter­neh­men in ihrer Ent­wick­lung zu bremsen, ihnen auf ihrem Weg auf die Märkte ein Haxl zu stellen, um es salopp zu for­mu­lie­ren.

Andreas Herz • Faktum ist, dass die „Res­sour­ce Mensch“ für immer mehr Unter­neh­men zum limi­tie­ren­den Faktor wird. Das heißt: Viele Unter­neh­men können ihre Wachs­tums- und Inter­na­tio­na­li­sie­rungs­po­ten­zia­le nur mehr in ein­ge­schränk­tem Ausmaß nutzen, weil sie auf­grund der demo­gra­fi­schen Ent­wick­lung und diver­ser anderer damit kor­re­spon­die­ren­der Fak­to­ren einfach nicht mehr in aus­rei­chen­dem Ausmaß qua­li­fi­zier­te Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter finden. Dieser Umstand wiegt umso schwe­rer, als unsere inno­va­tions- und qua­li­täts­ge­trie­be­nen Unter­neh­men, die sich zu einem erheb­li­chen Teil im inter­na­tio­na­len Wett­be­werb zu bewäh­ren haben, ja in eine beson­ders hohen Ausmaß auf die Kom­pe­ten­zen und das Know-how von leis­tungs­be­rei­ten, moti­vier­ten Fach­kräf­ten ange­wie­sen sind.

Was tun?

Herz • Dass die soge­nann­te Baby­boo­mer-Gene­ra­ti­on sich suk­zes­si­ve dem Pen­si­ons­al­ter nähert oder sich bereits im Ruhe­stand befin­det, lässt sich nicht leugnen. Tat­sa­che ist auch, dass diesen letzten gebur­ten­star­ken Jahr­gän­gen nun eine lange Reihe immer gebur­ten­schwä­che­rer Jahr­gän­ge folgt. Die Fach­kräf­te sind also tat­säch­lich knapp – und sie werden sich noch weiter ver­knap­pen. In den kom­men­den Jahren wird eine dra­ma­tisch hohe Zahl von Beschäf­tig­ten in den Ruhe­stand treten und die Lücken, die ent­ste­hen, werden kaum zu füllen sein. Gemein­sam mit unseren Unter­neh­men müssen wir also alles dar­an­set­zen, um die Mit­ar­bei­ter mög­lichst lange gesund zu erhal­ten und ihnen damit die Mög­lich­keit zu geben, länger erwerbs­tä­tig zu bleiben.

Gibt es nicht eine gegen­läu­fi­ge Ent­wick­lung, dass Auto­ma­ti­sie­rungs­pro­zes­se, Roboter und künst­li­che Intel­li­genz immer mehr mensch­li­che Arbeit über­flüs­sig machen?

Herz • Bei aller Skepsis, die dieser Ent­wick­lung von mancher Seite ent­ge­gen­ge­bracht wird, bin ich doch über­zeugt davon, dass wir in vielen Berei­chen noch froh sein werden, für absolut not­wen­di­ge und wich­ti­ge Tätig­kei­ten Unter­stüt­zung von Robo­tern und künst­li­cher Intel­li­genz zu bekom­men, weil sich dafür einfach nicht aus­rei­chend Arbeits­kräf­te mehr finden. Und ich meine jetzt gar nicht den häufig zitier­ten Pfle­ge­ro­bo­ter.

Was kann man tun, um die immer knapper wer­den­den Arbeits­kräf­teres­sour­cen besser zu nutzen?

Herz • Es wird sicher­lich kein Wun­der­mit­tel, keine „ein­fa­che“ Lösung geben, keinen Schal­ter, den man einfach umlegen kann. Wollen wir nicht den Anschluss an die Märkte ver­lie­ren, werden wir an vielen Schrau­ben drehen müssen. Wirt­schaft und Unter­neh­men haben die demo­gra­fi­sche Her­aus­for­de­rung, der wir uns gegen­über­se­hen, ja bereits seit vielen Jahren im Blick. Mit unserer Initia­ti­ve „fit im job“ nehmen wir seit nun bald zwei Jahr­zehn­ten eine Vor­rei­ter­rol­le ein. Viele Hundert Unter­neh­men haben sich bereits an diesem stei­ri­schen Gesund­heits­preis betei­ligt und inno­va­ti­ve Kon­zep­te ent­wi­ckelt und imple­men­tiert, um ihren Mit­ar­bei­te­rin­nen ein gesun­des und moti­vie­ren­des betrieb­li­ches Umfeld zu bieten. Der ganz über­wie­gen­de Teil der Unter­neh­men hat in den ver­gan­ge­nen Jahren enorme Anstren­gun­gen – auch finan­zi­el­ler Natur – unter­nom­men, um auf­wen­di­ge Pro­gram­me zur „Betrieb­li­chen Gesund­heits­för­de­rung“ und zum „Betrieb­li­chen Gesund­heits­ma­nage­ment“ auf­zu­bau­en und wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Diese kommen auch ganz unmit­tel­bar den Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern zugute und sind mitt­ler­wei­le wich­ti­ge Tools, um Fach­kräf­te für die Mit­ar­beit in einem Unter­neh­men zu begeis­tern. Aber – und davon bin ich hun­dert­pro­zen­tig über­zeugt – eine ganz ent­schei­den­de Rolle kommt auch der Eigen- bzw. Mit­ver­ant­wor­tung des Ein­zel­nen bzw. der Ein­zel­nen zu.

Der Begriff „Eigen­ver­ant­wor­tung“ scheint in diesem Zusam­men­hang für manche ein rotes Tuch zu sein, ein Begriff aus dem neo­li­be­ra­len Kampf­ar­se­nal.

Herz • In meinem Ver­ständ­nis zu Unrecht. Es geht ja nicht darum, bewähr­te Bestän­de, wie wir sie in unserem Gesund­heits- und Sozi­al­ver­si­che­rungs­sys­tem ent­wi­ckelt haben, in Frage zu stellen. Es sollen viel­mehr Wege auf­ge­zeigt werden, wie Men­schen Arbeit und Frei­zeit als sinn­stif­ten­de Grund­la­gen ihrer Exis­tenz nach­hal­tig und erfül­lend mit­ein­an­der in Bezie­hung bringen können – und zwar bei mög­lichst lange wäh­ren­der Gesund­heit und per­sön­li­chem Wohl­be­fin­den. Eigen­ver­ant­wor­tung ist ja nichts von außen Auf­zu­zwin­gen­des, sondern gewinnt erst daraus ihre Kraft, dass sie aus ursäch­lich eigenen Motiven wahr­ge­nom­men wird, deshalb spreche ich in diesem Zusam­men­hang auch lieber von der „Mit­ver­ant­wor­tung“ des Ein­zel­nen.

Die Gesund­heit scheint eine öster­rei­chi­sche Achil­les­fer­se zu sein.

Herz • Eine recht aktu­el­le euro­päi­sche Sta­tis­tik besagt, dass die Anzahl der gesun­den Lebens­jah­re, die durch­schnitt­li­che Öster­rei­che­rin­nen und Öster­rei­cher zu erwar­ten haben, bei 57,1 Jahren liegt. Damit zählen wir zu den Schluss­lich­tern unter den Staaten Europas. Der euro­päi­sche Durch­schnitt liegt bei 64,2 Jahren für Frauen und 63,5 Jahren bei Männern. An der Spitze ran­giert Schwe­den mit 73,3 Jahren. Das sind dra­ma­ti­sche Dif­fe­ren­zen.

Dif­fe­ren­zen, die sich auch auf Leis­tungs­fä­hig­keit und Beruf dra­ma­tisch aus­wir­ken.

Herz • Ja. Wenn wir – ange­sichts der dra­ma­ti­schen demo­gra­fi­schen Ent­wick­lung drin­gend geboten – auch nur eine kon­ti­nu­ier­li­che Annä­he­rung des tat­säch­li­chen Pen­si­ons­an­tritts­al­ters an das gesetz­li­che errei­chen wollen, müssen wir uns noch inten­si­ver mit den Themen Gesund­heit und Prä­ven­ti­on aus­ein­an­der­set­zen, damit Men­schen ihr Leben mög­lichst lange in Gesund­heit und Wohl­be­fin­den genie­ßen können. Über­eil­te Beschlüs­se, wie zuletzt jener, mit 45 Bei­trags­jah­ren abschlags­frei in Pension gehen zu können, sind leider ein Schritt in die falsche Rich­tung und ver­ur­sa­chen enorme Kosten.

Hat die Wirt­schafts­kam­mer kon­kre­te Vor­stel­lun­gen davon, wie man gerade ältere Men­schen „in der Arbeit halten“ kann?

Herz • Statt der Ein­füh­rung von Quo­ten­re­ge­lun­gen sollte die Siche­rung der Beschäf­ti­gung Älterer durch Maß­nah­men wie etwa kos­ten­freie Bera­tungs­an­ge­bo­te zum Pro­duc­ti­ve Ageing, finan­zi­el­le Unter­stüt­zung bei der Umset­zung von Maß­nah­men zum alterns­ge­rech­ten Arbei­ten, eine Abfla­chung der Gehalts­kur­ven in Kol­lek­tiv­ver­trä­gen und durch die För­de­rung der Ein­stel­lung älterer Arbeits­lo­ser durch die AMS-Ein­glie­de­rungs­bei­hil­fe for­ciert werden.

Glauben Sie, dass die Bereit­schaft zur Eigen­ver­ant­wor­tung heute grund­sätz­lich vor­han­den ist?

Herz • Ja, die Zeit ist reif. Sta­tis­ti­ken besagen, dass ein extrem hoher Anteil der Men­schen gerne gesün­der leben würde. Nun geht es darum, dieses Poten­zi­al, diesen Willen zu nutzen und zu fördern, auch indem man die insti­tu­tio­nel­len Rah­men­be­din­gun­gen dafür opti­miert. Ich bin über­zeugt, dass die Zusam­men­le­gung der Sozi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger mit der ent­spre­chen­den Ver­ein­heit­li­chung der Leis­tungs­ge­ba­rung, aber auch die Straf­fung der Spi­tals­struk­tu­ren Mittel und Res­sour­cen für einen prä­ven­ti­ven Weg zu Gesund­heit und Wohl­be­fin­den frei­ma­chen, um nur ein Bei­spiel zu nennen.

Foto­credit: Foto Fischer

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