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Ideen zur Ver­bes­se­rung des Bil­dungs­sys­tems

Ganztagsschule, Betriebsschnuppertage für Lehrer, die Förderung von Talenten – etliche Ideen zur Verbesserung des Bildungssystem wurden im JUST Talk erörtert.
Über die Verbesserung des Bildungssystem diskutierten Josef Herk, Martin Polaschek, Alexia Getzinger und Markus Tomaschitz.
Über die Verbesserung des Bildungssystem diskutierten Josef Herk, Martin Polaschek, Alexia Getzinger und Markus Tomaschitz. Fotocredit: Jorji Konstantinov.

Das Thema “Ver­bes­se­rung des Bil­dungs­sys­tems” ist in der heu­ti­gen Zeit von großer Bedeu­tung, da es um die zukünf­ti­ge Bildung unserer Gesell­schaft geht. In diesem Inter­view spre­chen wir mit Josef Herk, Martin Pola­schek, Alexia Get­zin­ger und Markus Toma­s­chitz, die ihre Exper­ti­se und Erfah­run­gen teilen werden, um mög­li­che Lösun­gen für eine bessere Bildung zu dis­ku­tie­ren. Wir werden uns mit ver­schie­de­nen Aspek­ten der Bildung aus­ein­an­der­set­zen, wie zum Bei­spiel der Digi­ta­li­sie­rung und der Leh­rer­aus­bil­dung. Zusam­men werden wir eine umfas­sen­de Dis­kus­si­on führen, um einen Ein­blick in die Ver­bes­se­rung des Bil­dungs­sys­tems zu geben. Die Palette der Vor­schlä­ge zur Ver­bes­se­rung des Bil­dungs­sys­tems beim JUST-Talk im Talent Center der WKO Stei­er­mark war groß. Über eines waren sich die Exper­ten aus Wirt­schaft und Bildung einig: Lernen muss inter­es­sant, muss sexy sein.

Der Wirt­schaft gehen zuneh­mend die Lehr­lin­ge und Fach­ar­bei­ter, aber auch die Tech­ni­ker ins­ge­samt aus. Wird an den Bedürf­nis­sen der Unter­neh­men vorbei aus­ge­bil­det und gebil­det?

Herk: Uns gehen nicht nur die Lehr­lin­ge aus, sondern auch die Jugend. Wir haben ein demo­gra­fi­sches Problem. Die Situa­ti­on für die stei­ri­schen Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mer ver­schärft sich weiter, weil die gebur­ten­star­ken Jahr­gän­ge in Pension gehen. Wenn wir dieses gesell­schaft­li­che Problem nicht in den Griff bekom­men – zum Bei­spiel durch Zuwan­de­rung qua­li­fi­zier­ter Arbeits­kräf­te –, erüb­rigt sich jede andere Dis­kus­si­on. Wir brau­chen junge Men­schen mit flinken Beinen und geschick­ten Händen, um es salopp zu for­mu­lie­ren. Unab­hän­gig von ihrer Qua­li­fi­ka­ti­on. Zwei Zahlen: Derzeit gibt es in der Stei­er­mark 20.000 offene Stellen. Im Jahr 2030 werden es 50.000 sein.

Toma­s­chitz: Die Schere zwi­schen dem, was wir anbie­ten, und dem, was die Jugend will, klafft zuse­hends aus­ein­an­der. Wir müssen in der Aus­bil­dung die Talente und Bega­bun­gen des Ein­zel­nen fördern und nicht nur auf das schauen, was er einmal machen soll. Es braucht auch nicht jeder die Matura, das soll ja sein, aber sie bringt in der Praxis immer weniger die Stu­dier­fä­hig­keit.

Pola­schek: Es stellt sich die Grund­satz­fra­ge, ob eine uni­ver­si­tä­re Bildung für alle Sinn macht. Ich sehe das nicht so. Es gibt aber auch eine gegen­läu­fi­ge Ent­wick­lung. Im Herbst haben wir an der Karl-Fran­zens-Uni­ver­si­tät 500 Stu­di­en­an­fän­ger weniger gehabt als in den Jahren davor. Auf­fäl­lig dabei war, dass vor allem die Jugend­li­chen aus den berufs­bil­den­den höheren Schulen weg­ge­blie­ben sind. Diese sind offen­bar direkt in einen Beruf gegan­gen, weil es ja genug Ange­bo­te gibt.

Toma­s­chitz: Eine Welt mit weniger Juris­ten und Erzie­hungs­wis­sen­schaft­lern ist ja nicht per se eine schlech­te­re …

Get­zin­ger: Man muss bei der Bildung und Aus­bil­dung den gesam­ten Lebens­weg der Men­schen betrach­ten. Dabei sollte man die jewei­li­gen Talente nicht von vorn­her­ein nach ihrer Nütz­lich­keit bewer­ten. Die Frage ist doch: Wie kann ich Talente erken­nen und wie kann man dann die Ent­wick­lung ent­spre­chend lenken. Ein Problem ist, dass viele Eltern gar nicht wissen, wie viele Berufe es gibt, da gibt es eine sehr ein­ge­schränk­te Wahr­neh­mung. Da auf­zu­klä­ren ist eine Aufgabe der Wirt­schaft und auch der Uni­ver­si­tä­ten. Sie müssen die Jugend­li­chen errei­chen.

Herk: Vor allem müssen wir weg von dem alten Denk­mus­ter des Lehr­be­rufs als Strafe für man­geln­de schu­li­sche Leis­tun­gen – das hat mit der Rea­li­tät nichts zu tun.

Streben zu viele junge Men­schen die Matura und in der Folge einen aka­de­mi­schen Abschluss an?

Toma­s­chitz: Das ist eine heikle Frage; Was ist zu viel? Wir werden immer mehr Jobs haben, in denen man ein hohes Grund­wis­sen benö­tigt. Auch die Lehr­be­ru­fe brau­chen gut aus­ge­bil­de­te Men­schen. Die Grund­re­chen­ar­ten reichen im digi­ta­len Zeit­al­ter nicht mehr aus.

Get­zin­ger: Es geht nicht um Quan­ti­fi­zie­rung, es geht um Qua­li­tät.

Toma­s­chitz: Wir haben in der Ver­gan­gen­heit einen Aka­de­mi­sie­rungs­wahn erlebt, der auch von der OECD getrie­ben war. Und wir haben dabei igno­riert, dass wir ein tolles duales Bil­dungs­sys­tem haben. Die vor­wis­sen­schaft­li­che Arbeit für die Matura hat die Situa­ti­on weiter ver­schlim­mert. Sie ist inzwi­schen zu einer unge­lieb­ten Übung zwi­schen Lehrern und Schü­lern gewor­den, die noch dazu oft von den Eltern erle­digt wird. Stu­dier­fä­hig­keit ist etwas anderes. Nämlich kom­ple­xe Sach­ver­hal­te zu ana­ly­sie­ren und mul­ti­per­spek­ti­visch zu bear­bei­ten. Gene­rell kommen die Brüche im Lebens­weg der Jugend zu früh. Viel­leicht wäre es sinn­voll, die­Volks­schu­le auf sechs Jahre zu ver­län­gern. Wir müssen mehr Zeit in die Bildung inves­tie­ren.

Pola­schek: Die vor­wis­sen­schaft­li­che Arbeit sollte frei­wil­lig sein. Sie ist ein her­vor­ra­gen­des Instru­ment, um jemand für etwas zu inter­es­sie­ren.

Get­zin­ger: Ich halte nichts von Frei­wil­lig­keit bei dieser Sache. Dann würde das niemand mehr machen. Man sollte aber die Mög­lich­keit haben, zwi­schen einer vor­wis­sen­schaft­li­chen Arbeit und etwas Pra­xis­ori­en­tier­tem zu wählen. Theorie und Praxis gehören zusam­men.

Ist dieses Zusam­men­spiel aus­rei­chend ent­wi­ckelt? Und welche Initia­ti­ven setzt die Wirt­schaft?

Herk: Es wird viel Wissen ver­mit­telt und wenig Kom­pe­tenz. Bei Lehr­lin­gen sehen wir, dass oft die Basis­kom­pe­ten­zen fehlen.

Pola­schek: Der Schlüs­sel ist die Schule, danach sollten die jungen Men­schen wissen, wo sie hin­wol­len. Als Uni­ver­si­tät können wir da nicht mehr viel tun, nur beraten.

Herk: In der Leh­rer­aus­bil­dung kommen Wirt­schafts­the­men immer noch viel zu wenig vor. Es muss Betriebs­schnup­per­ta­ge für Lehrer geben, nicht nur für Schüler.

Pola­schek: Wir als Uni­ver­si­tät haben eine Koope­ra­ti­on mit der Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung, die den Stu­die­ren­den die Wirt­schaft nahe­brin­gen soll. Aber natür­lich könnte da noch mehr gemacht werden.

Toma­s­chitz: Die Wirt­schaft tut wahn­sin­nig viel in diese Rich­tung. Größere Unter­neh­men können mehr machen, aber klei­ne­re Firmen haben starke Partner.

Stehen Bildung und Aus­bil­dung im Wider­spruch?

Toma­s­chitz: Wir sollten das nicht gegen­ein­an­der aus­spie­len.

Herk: Berufs­aus­bil­dung war leider lange kein Thema. Heute ist sie das, weil es so einen ekla­tan­ten Fach­ar­bei­ter­man­gel gibt und der die große Wachs­tums­brem­se ist. Wir tun etwas dagegen, das Talent Center, in dem wir gerade sitzen, ist ein gutes Bei­spiel dafür.

Was ist von Vor­ha­ben zu halten, Fächer wie Geschich­te oder Physik zuguns­ten einer täg­li­chen Turn­stun­de zu redu­zie­ren?

Toma­s­chitz: Es geht um mehr Schule, nicht um eine Ver­schie­bung. Man muss über­le­gen, ob man nicht besser die Ganz­tags­schu­le ein­führt. Der einzige Grund, warum wir die nicht schon lange haben, ist doch, dass sich in den 50er-Jahren die Bauern dagegen gewehrt haben.

Pola­schek: Wenn man die Kinder länger in der Schule hat, hat man mehr Zeit für sie. Man kann nicht mehr einfach sagen, nach sechs Stunden gehen alle heim. Das passt nicht mehr zur gesell­schaft­li­chen Situa­ti­on. Und Fächer zusam­men­zu­strei­chen kann es wohl nicht sein.

Herk: Es geht uns nicht nur um Wirt­schafts­fä­cher. Wir wollen eine mög­lichst umfas­sen­de Bildung haben.

Get­zin­ger: Dinge wie Mathe­ma­tik und Musik kor­re­lie­ren mit­ein­an­der. Auch das spricht für die Ganz­tags­schu­le – wir brau­chen eine ver­netz­te Bildung.

Sind die Geis­tes­wis­sen­schaf­ten die Basis für unsere Gesell­schaft oder domi­niert nicht längst die Technik?

Pola­schek: Die Geis­tes­wis­sen­schaf­ten stehen unter einem Recht­fer­ti­gungs­druck. Technik und Medizin sind sexy, die Bücher­wis­sen­schaf­ten, wie es eigent­lich heißen sollte, werden abge­straft. Das ist eine große Her­aus­for­de­rung. Ich halte eine reine Kon­zen­tra­ti­on auf Technik für gefähr­lich, auch und gerade wegen der Digi­ta­li­sie­rung. Man muss sich die Frage stellen: Was macht die Technik aus uns Men­schen, zum Bei­spiel die Smart­phones? Das ist eine span­nen­de und wich­ti­ge Aufgabe für die Bücher­wis­sen­schaf­ten.

Herk: Wir brau­chen umfas­sen­de Kom­pe­ten­zen und da gehören die Geis­tes­wis­sen­schaf­ten für mich genauso dazu wie Kunst und Kultur.

Toma­s­chitz: Da stimme ich absolut zu. Ich will mir keine Gesell­schaft ohne Geis­tes­wis­sen­schaf­ten vor­stel­len. Wir müssen uns die Frage stellen, was der Bil­dungs­ka­non des 21. Jahr­hun­derts sein soll. Wir brau­chen nicht nur Soft­ware­inge­nieu­re. Aber jeder sollte den zweiten Satz der 7. Sin­fo­nie Beet­ho­vens gehört haben.

Get­zin­ger: Technik und Geis­tes­wis­sen­schaf­ten sollen sich doch nicht gegen­sei­tig aus­schlie­ßen. Smart­phone und PC können nicht alles sein – Men­schen sind soziale Wesen.

Wo geht bei der Bildung die Reise hin?

Pola­schek: Man muss Bildung als Gesamt­sys­tem sehen. Nur an ein­zel­nen Schräub­chen drehen bringt nicht viel. Dazu braucht es mutige Bil­dungs­po­li­ti­ker.

Herk: Die Res­sour­ce Jugend wird weniger. Wir können es uns nicht leisten, auch nur irgend­je­mand auf dem Bil­dungs­weg zu ver­lie­ren. Ohne Bildung neu zu denken, werden wir nicht erfolg­reich sein.

Get­zin­ger: Wir müssen raus aus der Bewer­tung, hin zu einem holis­ti­schen Ansatz. Man muss die natür­li­che Neu­gier­de der Kinder erhal­ten. Dann haben sie auch das Gefühl: Lernen ist sexy, Lernen ist toll. Das müssen wir ver­wirk­li­chen.

Toma­s­chitz: Zum einen müssen wir bei der Auswahl der Lehrer selek­ti­ver sein. Zum anderen müssen wir den Dialog zwi­schen Eltern, Lehrern und der Wirt­schaft inten­si­vie­ren – die Schule kann nicht alles machen.

An der Gesprächs­run­de nahmen teil:

Alexia Get­zin­ger ist die kauf­män­ni­sche Geschäfts­füh­re­rin des Uni­ver­sal­mu­se­ums Joan­ne­um. Sie war von 2015 bis 2017 Vize­prä­si­den­tin des Lan­des­schul­ra­tes für Stei­er­mark, heute Bil­dungs­di­rek­ti­on.

Josef Herk ist Prä­si­dent der WKO Stei­er­mark. Er setzt sich beson­ders für die duale Aus­bil­dung ein und ist Initia­tor des Talent Center der WKO Stei­er­mark. Herk holte auch den inter­na­tio­na­len Lehr­lings­wett­be­werb Euro­S­kills 2020 in die Stei­er­mark.

Martin Pola­schek ist Rechts­wis­sen­schaft­ler und Rechts­his­to­ri­ker. Wurde Anfang Februar zum Rektor der Karl-Fran­zens-Uni­ver­si­tät Graz gewählt. Seit 2003 ist er dort Vize­rek­tor gewesen. Er war Mit­glied der Exper­ten­grup­pe zur Zukunft der Leh­rer­bil­dung.

Markus Toma­s­chitz ist seit 2013 Per­so­nal­chef bei AVL List. Davor war er Exe­cu­ti­ve Direc­tor der Magna Edu­ca­ti­on and Rese­arch. Von 2002 bis 2006 war er Direk­tor und Geschäfts­füh­rer der FH Joan­ne­um in Graz.

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