Die Klage über lähmende Vorschriften, doppelte Meldepflichten und kafkaeske Antragslogiken ist längst kein rhetorisches Ritual mehr – sie ist Realität. Und zwar eine, die täglich Zeit, Geld und Motivation kostet.
Deshalb wollen wir dieses Thema, das viele betrifft, aber wenige anpacken, ins Zentrum rücken: die landespolitisch bedingte Überregulierung in der Steiermark. Im Fokus steht nicht der große Umbau der Republik, sondern das, was in Graz entschieden wird – in Verordnungen, Durchführungsbestimmungen und Verwaltungsvorgaben, die sich über Jahre zu einem Dickicht verdichtet haben, das Innovation hemmt, Vertrauen untergräbt und Exzellenz ausbremst.
Die Wirtschaft leidet unter normativer Überfrachtung, die Innovation bremst, Projekte verzögert und Unternehmergeist in Warteschleifen zwingt.
Die Rechtsanwaltschaft sieht sich mit wachsender Komplexität konfrontiert, in der selbst einfache Verfahren zu regelrechten Hindernisparcours mutieren – oft zum Nachteil der Bürger und der Rechtssicherheit.
Die Ärzteschaft kämpft mit einem System, in dem der bürokratische Aufwand den medizinischen übersteigt, Leistung entwertet und Versorgung erschwert – sowohl in Spitälern als auch in Ordinationen.
Doch es geht nicht um Symbolpolitik oder föderalen Aktionismus, sondern um das konkrete Aufzeigen von gesetzgeberischen Stellschrauben auf Landesebene – etwa in der Bauordnung, Raumordnung, Gesundheitsverwaltung, gewerblichen Verfahren oder im Verfahrensrecht.
JUST / Verwaltung – einst geschaffen, um Ordnung zu schaffen. Heute erleben viele, dass sie eher verhindert als ermöglicht. Was braucht es, damit sie wieder das wird, was sie sein sollte: ein Ermöglicher?
Josef Herk /
Beginnen wir mit einer harten Realität: Wenn selbst Leitprojekte wie der Pumpspeicher Koralm jahrelang in Verfahrensstaus stecken bleiben, dann läuft etwas grundsätzlich falsch.
Das betrifft längst nicht nur große Infrastrukturvorhaben. Überlange Genehmigungsverfahren im Bau- und Raumordnungsrecht haben sich zu einem ernsthaften Investitionshemmnis entwickelt. Was wir brauchen, ist Klarheit. Der Projektwerber muss wissen, was einzureichen ist und bis wann entschieden wird. Alles andere ist wirtschaftsfeindlich.
Michael Kropiunig /
Ich kann das nur unterstreichen – und möchte es zuspitzen: Die Genehmigungsverfahren sind nicht nur lang – sie sind auch absurd komplex. Da wandert ein Akt durch vier Abteilungen, statt gleichzeitig bearbeitet zu werden. Und das, obwohl in den Behörden ohnehin längst zu wenige Amtssachverständige arbeiten. Wir haben vorgeschlagen, externe Sachverständige einzubinden – aber die Umsetzung lässt auf sich warten.
JUST / Herr Sacherer – wie wirkt sich der bürokratische Druck im ärztlichen Alltag aus?
Michael Sacherer / Es wirkt lähmend. Junge Ärztinnen und Ärzte verbringen fast 25 Stunden pro Woche mit Administration – das ist Zeit, die in der Versorgung fehlt. Natürlich braucht es Dokumentation und Qualitätssicherung. Aber das Maß ist überschritten. Wir brauchen digitale Lösungen, die entlasten – nicht neue Systeme, die bloß das Papierchaos ins Netz übertragen.
JUST / Herr Herk, Sie sprachen einmal von der „Kultur des Misstrauens“. Was genau meinen Sie damit?
JH / Unsere Verwaltung geht oft vom Schlimmsten aus: Jeder Antragsteller wird als potenzielles Risiko betrachtet. Wir leben in einer Misstrauenskultur – und die lähmt nicht nur, sie vergiftet auch das Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft. Wir müssen die Haltung ändern: Der Unternehmer ist nicht der Gegner – er ist der Motor. Und dieser Motor braucht Freiraum.
MK / Vertrauen ist gut – ein funktionierender Rechtsrahmen besser. Aber der muss verständlich, zügig und sinnvoll anwendbar sein. Wir haben beim Deregulierungsgipfel klar gesagt: Ein Gesetz zu streichen klingt gut, bringt aber wenig, wenn es mit fünf anderen verknüpft ist. Das ist wie Jenga im Paragrafenwald. Aber genau deshalb braucht es Pilotinitiativen, Testfelder – und endlich den Mut, bestehende Prozesse zu überdenken, nicht bloß zu verwalten.
MS / Ich stimme zu – aber wir dürfen uns nicht hinter der Komplexität verstecken. Vieles, was heute gilt, stammt aus einer Zeit, in der Akten noch ausschließlich in Papierform liefen. Es ist höchste Zeit, das System auf die heutigen Gegebenheiten umzustellen. Das beginnt bei ärztlichen Genehmigungen – und endet hoffentlich nicht in einem neuen Formularwald.
Anmerkung: Dabei muss klar sein: Digitalisierung kann nur dann entlasten, wenn sie mit einer echten Delegation von Verwaltungstätigkeiten an speziell geschultes Assistenzpersonal und einer Vereinfachung der Prozesse einhergeht – sonst droht lediglich ein digitalisiertes Bürokratieproblem.
JUST / Warum funktioniert Deregulierung in der Praxis oft schlechter als in der Theorie?
MK / Weil unser System rechtliche Einwendungen in fast jede Lebenssituation hinein zulässt – und das konsequenzlos. Die wirtschaftliche Lage würde es erfordern, dass man investitionsfreudigen Unternehmern den roten Teppich ausrollt – nicht, dass man sie in bürokratische Kleinkriege verwickelt. Natürlich braucht es Rechtsschutz. Aber wenn eine Einzelperson ein Projekt mit Millionenvorleistungen über Jahre verhindern kann, stimmt das Gleichgewicht nicht mehr.
JH / Weil es unbequem ist. Weil viele glauben, dass klare Regeln auch automatisch viele Regeln bedeuten. Und weil Eigenverantwortung in diesem Land keinen besonders hohen Stellenwert mehr hat. Aber ich erinnere an die Reformpartnerschaft der Steiermark 2010–2015 – wir waren einmal Vorreiter. Diese Rolle könnten wir wieder einnehmen. Wir haben bereits einen 100-Punkte-Katalog vorgelegt. Jetzt liegt es an der Politik, diesen umzusetzen.
Als Wirtschaftskammer reichen wir der Politik im Rahmen einer neuen Standortpartnerschaft – auf Augenhöhe! – gerne die Hand. Und zwar in Form einer Handlungsanleitung zur Deregulierung und Verfahrensbeschleunigung auf Landesebene, die wir gemeinsam mit der Industriellenvereinigung und der Uni Graz erarbeitet haben. 20 konkrete Maßnahmen, damit in dieser Endloscausa endlich etwas weitergeht und wir Schritt für Schritt aus diesem Bürokratiesumpf kommen. Verfahrensbeschleunigung und Bürokratieabbau sind die günstigste Form der Wirtschaftsförderung – sie kosten nur den Willen, sie umzusetzen.
MS / In der Medizin sehen wir, dass es geht – wenn man will. Ambulantisierung, digitalisierte Dokumentation, weniger Mehrfachabfragen. Aber oft scheitert es an der Angst, Kontrolle aufzugeben. Deregulierung braucht Mut – und den muss man unterstützen.
MK / Ich möchte hier auch ein bisschen den Ton verändern: Wir sprechen oft so, als wären Verwaltung und Gesetz Feinde. Das stimmt nicht. Aber die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen brauchen jetzt eine Frischzellenkur – oder, wenn Sie so wollen, eine professionelle Bürokratie-Physiotherapie.
JH / Genau. Entrümpeln, um zu ermöglichen. Das sollte kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern Standortstrategie werden.
JUST / Zum Abschluss eine heitere Frage mit ernstem Hintergrund: Wenn Bürokratie ein Wesen wäre – welches Bild trifft es am besten?
JH / Ein Bürokrake – mit acht Tentakeln, die sich gegenseitig blockieren.
MK / Ein verirrter Aktenbote auf der Suche nach Sinn.
MS / Oder eben das Paragrafenuntier – es ernährt sich von Formularen und Vorschriften, lebt in Verfahrensdschungeln und vermehrt sich in der Dokumentation schneller, als man es bekämpfen kann.
JUST / Dann bleibt nur noch die Frage: Wer zähmt es?
JH / Wir alle – mit Mut, Klarheit und einer neuen Haltung.
MK / Mit System, Weitsicht – und einem ordentlichen Besen.
MS / Mit Umsicht, Verschlankung und einer Abnehmkur.