Eine Einladung zum Ent­rüm­peln: Büro­kra­tie als stei­ri­scher Reform­fall

Es gibt Dinge, die mit der Zeit besser werde. Und dann gibt es die Bürokratie. Was einst als Stütze der Rechtssicherheit gedacht war, droht heute unter ihrem eigenen Gewicht zusammenzubrechen.
Josef Herk, Präsident der Wirtschaftskammer Steiermark Fotocredit: Tinski
Michael Kropiunig, Präsident der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer Fotocredit: Tinski
Michael Sacherer, Präsident der Ärztekammer Steiermark Fotocredit: Harry Schiffer Photodesign

Die Klage über lähmende Vor­schrif­ten, doppelte Mel­de­pflich­ten und kafkaeske Antrags­lo­gi­ken ist längst kein rhe­to­ri­sches Ritual mehr – sie ist Realität. Und zwar eine, die täglich Zeit, Geld und Moti­va­ti­on kostet.

Deshalb wollen wir dieses Thema, das viele betrifft, aber wenige anpacken, ins Zentrum rücken: die lan­des­po­li­tisch bedingte Über­re­gu­lie­rung in der Stei­er­mark. Im Fokus steht nicht der große Umbau der Republik, sondern das, was in Graz ent­schie­den wird – in Ver­ord­nun­gen, Durch­füh­rungs­be­stim­mun­gen und Ver­wal­tungs­vor­ga­ben, die sich über Jahre zu einem Dickicht ver­dich­tet haben, das Inno­va­ti­on hemmt, Vertrauen unter­gräbt und Exzellenz ausbremst.

Die Wirt­schaft leidet unter nor­ma­ti­ver Über­frach­tung, die Inno­va­ti­on bremst, Projekte verzögert und Unter­neh­mer­geist in War­te­schlei­fen zwingt.

Die Rechts­an­walt­schaft sieht sich mit wach­sen­der Kom­ple­xi­tät kon­fron­tiert, in der selbst einfache Verfahren zu regel­rech­ten Hin­der­nis­par­cours mutieren – oft zum Nachteil der Bürger und der Rechts­si­cher­heit.

Die Ärz­te­schaft kämpft mit einem System, in dem der büro­kra­ti­sche Aufwand den medi­zi­ni­schen über­steigt, Leistung entwertet und Ver­sor­gung erschwert – sowohl in Spitälern als auch in Ordi­na­tio­nen.

Doch es geht nicht um Sym­bol­po­li­tik oder föderalen Aktio­nis­mus, sondern um das konkrete Aufzeigen von gesetz­ge­be­ri­schen Stell­schrau­ben auf Lan­des­ebe­ne – etwa in der Bau­ord­nung, Raum­ord­nung, Gesund­heits­ver­wal­tung, gewerb­li­chen Verfahren oder im Ver­fah­rens­recht.

JUST / Ver­wal­tung – einst geschaf­fen, um Ordnung zu schaffen. Heute erleben viele, dass sie eher ver­hin­dert als ermög­licht. Was braucht es, damit sie wieder das wird, was sie sein sollte: ein Ermög­li­cher?

Josef Herk /

Beginnen wir mit einer harten Realität: Wenn selbst Leit­pro­jek­te wie der Pump­spei­cher Koralm jahrelang in Ver­fah­rens­staus stecken bleiben, dann läuft etwas grund­sätz­lich falsch.

Das betrifft längst nicht nur große Infra­struk­tur­vor­ha­ben. Überlange Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren im Bau- und Raum­ord­nungs­recht haben sich zu einem ernst­haf­ten Inves­ti­ti­ons­hemm­nis ent­wi­ckelt. Was wir brauchen, ist Klarheit. Der Pro­jekt­wer­ber muss wissen, was ein­zu­rei­chen ist und bis wann ent­schie­den wird. Alles andere ist wirt­schafts­feind­lich.

Michael Kropiunig /

Ich kann das nur unter­strei­chen – und möchte es zuspitzen: Die Geneh­mi­gungs­ver­fah­ren sind nicht nur lang – sie sind auch absurd komplex. Da wandert ein Akt durch vier Abtei­lun­gen, statt gleich­zei­tig bear­bei­tet zu werden. Und das, obwohl in den Behörden ohnehin längst zu wenige Amts­sach­ver­stän­di­ge arbeiten. Wir haben vor­ge­schla­gen, externe Sach­ver­stän­di­ge ein­zu­bin­den – aber die Umsetzung lässt auf sich warten.

JUST / Herr Sacherer – wie wirkt sich der büro­kra­ti­sche Druck im ärzt­li­chen Alltag aus?

Michael Sacherer / Es wirkt lähmend. Junge Ärztinnen und Ärzte ver­brin­gen fast 25 Stunden pro Woche mit Admi­nis­tra­ti­on – das ist Zeit, die in der Ver­sor­gung fehlt. Natürlich braucht es Doku­men­ta­ti­on und Qua­li­täts­si­che­rung. Aber das Maß ist über­schrit­ten. Wir brauchen digitale Lösungen, die entlasten – nicht neue Systeme, die bloß das Papier­cha­os ins Netz über­tra­gen.

JUST / Herr Herk, Sie sprachen einmal von der „Kultur des Miss­trau­ens“. Was genau meinen Sie damit?

JH / Unsere Ver­wal­tung geht oft vom Schlimms­ten aus: Jeder Antrag­stel­ler wird als poten­zi­el­les Risiko betrach­tet. Wir leben in einer Miss­trau­ens­kul­tur – und die lähmt nicht nur, sie vergiftet auch das Ver­hält­nis zwischen Staat und Wirt­schaft. Wir müssen die Haltung ändern: Der Unter­neh­mer ist nicht der Gegner – er ist der Motor. Und dieser Motor braucht Freiraum.

MK / Vertrauen ist gut – ein funk­tio­nie­ren­der Rechts­rah­men besser. Aber der muss ver­ständ­lich, zügig und sinnvoll anwendbar sein. Wir haben beim Dere­gu­lie­rungs­gip­fel klar gesagt: Ein Gesetz zu streichen klingt gut, bringt aber wenig, wenn es mit fünf anderen verknüpft ist. Das ist wie Jenga im Para­gra­fen­wald. Aber genau deshalb braucht es Pilo­t­in­itia­ti­ven, Test­fel­der – und endlich den Mut, bestehen­de Prozesse zu über­den­ken, nicht bloß zu verwalten.

MS / Ich stimme zu – aber wir dürfen uns nicht hinter der Kom­ple­xi­tät ver­ste­cken. Vieles, was heute gilt, stammt aus einer Zeit, in der Akten noch aus­schließ­lich in Papier­form liefen. Es ist höchste Zeit, das System auf die heutigen Gege­ben­hei­ten umzu­stel­len. Das beginnt bei ärzt­li­chen Geneh­mi­gun­gen – und endet hof­fent­lich nicht in einem neuen For­mu­lar­wald.

Anmerkung: Dabei muss klar sein: Digi­ta­li­sie­rung kann nur dann entlasten, wenn sie mit einer echten Dele­ga­ti­on von Ver­wal­tungs­tä­tig­kei­ten an speziell geschul­tes Assis­tenz­per­so­nal und einer Ver­ein­fa­chung der Prozesse ein­her­geht – sonst droht lediglich ein digi­ta­li­sier­tes Büro­kra­tie­pro­blem.

JUST / Warum funk­tio­niert Dere­gu­lie­rung in der Praxis oft schlech­ter als in der Theorie?

MK / Weil unser System recht­li­che Ein­wen­dun­gen in fast jede Lebens­si­tua­ti­on hinein zulässt – und das kon­se­quenz­los. Die wirt­schaft­li­che Lage würde es erfordern, dass man inves­ti­ti­ons­freu­di­gen Unter­neh­mern den roten Teppich ausrollt – nicht, dass man sie in büro­kra­ti­sche Klein­krie­ge ver­wi­ckelt. Natürlich braucht es Rechts­schutz. Aber wenn eine Ein­zel­per­son ein Projekt mit Mil­lio­nen­vor­leis­tun­gen über Jahre ver­hin­dern kann, stimmt das Gleich­ge­wicht nicht mehr.

JH / Weil es unbequem ist. Weil viele glauben, dass klare Regeln auch auto­ma­tisch viele Regeln bedeuten. Und weil Eigen­ver­ant­wor­tung in diesem Land keinen besonders hohen Stel­len­wert mehr hat. Aber ich erinnere an die Reform­part­ner­schaft der Stei­er­mark 2010–2015 – wir waren einmal Vorreiter. Diese Rolle könnten wir wieder einnehmen. Wir haben bereits einen 100-Punkte-Katalog vorgelegt. Jetzt liegt es an der Politik, diesen umzu­set­zen.

Als Wirt­schafts­kam­mer reichen wir der Politik im Rahmen einer neuen Stand­ort­part­ner­schaft – auf Augenhöhe! – gerne die Hand. Und zwar in Form einer Hand­lungs­an­lei­tung zur Dere­gu­lie­rung und Ver­fah­rens­be­schleu­ni­gung auf Lan­des­ebe­ne, die wir gemeinsam mit der Indus­tri­el­len­ver­ei­ni­gung und der Uni Graz erar­bei­tet haben. 20 konkrete Maßnahmen, damit in dieser End­l­os­cau­sa endlich etwas wei­ter­geht und wir Schritt für Schritt aus diesem Büro­kra­tie­sumpf kommen. Ver­fah­rens­be­schleu­ni­gung und Büro­kra­tie­ab­bau sind die güns­tigs­te Form der Wirt­schafts­för­de­rung – sie kosten nur den Willen, sie umzu­set­zen.

MS / In der Medizin sehen wir, dass es geht – wenn man will. Ambu­lan­ti­sie­rung, digi­ta­li­sier­te Doku­men­ta­ti­on, weniger Mehr­fach­ab­fra­gen. Aber oft scheitert es an der Angst, Kontrolle auf­zu­ge­ben. Dere­gu­lie­rung braucht Mut – und den muss man unter­stüt­zen.

MK / Ich möchte hier auch ein bisschen den Ton verändern: Wir sprechen oft so, als wären Ver­wal­tung und Gesetz Feinde. Das stimmt nicht. Aber die über Jahr­zehn­te gewach­se­nen Struk­tu­ren brauchen jetzt eine Frisch­zel­len­kur – oder, wenn Sie so wollen, eine pro­fes­sio­nel­le Büro­kra­tie-Phy­sio­the­ra­pie.

JH / Genau. Ent­rüm­peln, um zu ermög­li­chen. Das sollte kein Lip­pen­be­kennt­nis bleiben, sondern Stand­ort­stra­te­gie werden.

JUST / Zum Abschluss eine heitere Frage mit ernstem Hin­ter­grund: Wenn Büro­kra­tie ein Wesen wäre – welches Bild trifft es am besten?

JH / Ein Bürokrake – mit acht Tentakeln, die sich gegen­sei­tig blo­ckie­ren.

MK / Ein verirrter Aktenbote auf der Suche nach Sinn.

MS / Oder eben das Para­gra­fenun­tier – es ernährt sich von For­mu­la­ren und Vor­schrif­ten, lebt in Ver­fah­rens­dschun­geln und vermehrt sich in der Doku­men­ta­ti­on schneller, als man es bekämpfen kann.

JUST / Dann bleibt nur noch die Frage: Wer zähmt es?

JH / Wir alle – mit Mut, Klarheit und einer neuen Haltung.

MK / Mit System, Weitsicht – und einem ordent­li­chen Besen.

MS / Mit Umsicht, Ver­schlan­kung und einer Abnehmkur.

 

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