Experten zur Digitalisierung im Bildungswesen

Im Gespräch: Fünf BildungsexpertInnen über die rasant fortschreitende Digitalisierung im Bildungswesen und ihre Chancen für die Zukunft des Landes.
Die Experten zum Thema Digitalisierung im Bildungswesen im Gespräch.
Zum Thema Digitalisierung im Bildungswesen disktutierten die ExpertInnen Carmen Ausserhuber, Elke Gruber, Werner Krausler, Thomas Kutschi und Heinz Wittenbrink. Fotocredit: Christian Jungwirth.

Der digitale Fortschritt zieht sich durch alle Lebensbereiche und so ist die Digitalisierung im Bildungswesen ein brisantes Thema das viele Chancen bildet. Die Initiative Digital – eine durch das „Ideenforum“ der SPÖ Steiermark ins Leben gerufene Plattform – hat zu einer Gesprächsrunde eingeladen, bei der verschiedene Experten aus dem Bildungsbereich über das Thema „Digitalisierung: Chance oder Herausforderung in der Bildung?“ diskutierten. Teilnehmer der Diskussionsrunde: Carmen Ausserhuber, Absolventin der FH Joanneum, arbeitet bei einem IT-Unternehmen im Marketing, Elke Gruber, Professur für Erwachsenenbildung und -Weiterbildung an der Karl-Franzens-Universität Graz und Werner Krausler, im Landesschulrat Steiermark Fachinspektor für Informatik und Kommunikationstechnologie, Informatiklehrer an der HTL Weiz. Ebenfalls unter den Teilnehmenden: Thomas Kutschi, Head of Alliances for Solutions bei Bearing Point, Themenverantwortlicher der Initiative Digital und Heinz Wittenbrink, lehrt an der FH Joanneum Content Strategie, Journalismus und Public Relations sowie Public Communication.

Die Digitalisierung betrifft alle Bereiche des Lebens. Was hat sie in der Methodik der Bildung verändert?

Wittenbrink: Bildung hängt eng mit Medien zusammen. Derzeit ist das Leitmedium die Schrift, meist in gedruckter Form. Das ändert sich aber gerade. Schrift verschwindet aus der Bildung, sie wird durch Medien ersetzt, die intelligent sind, sich den Bedürfnissen anpassen, vielleicht sogar einmal mit künstlicher Intelligenz verbunden sein werden, die gezielt auf den Lernenden eingeht.

Kutschi: Bildung war lange Zeit etwas, für das man in ein Gebäude hineinging, in dem man dann lernte, sei es eine Schule, sei es eine Bibliothek.
Durch die Digitalisierung wird Bildung aber immer mehr zur Holschuld.

Gruber: Wir reden bei Bildung meistens über Informationen und Wissen, Bildung ist aber etwas mehr. Da geht es auch um Haltungen, um Wertvorstellungen. Das gilt auch für digitalisierte Bildung.

Krausler: IT ist an den Schulen Fakt, von der Volksschule an. Überall stehen Rechner und es werden immer mehr. Zum Beispiel gibt es an der HTL Weiz, wo ich unterrichte, bereits 600 Computer. Die brauchen wir aber auch.

Wittenbrink: Der Bildungsbegriff muss sich sicher der Digitalisierung anpassen. So etwas dauert aber erfahrungsgemäß lange – wie man bei der Erfindung des Buchdrucks gesehen hat. Die meisten Lehrer sind da leider überhaupt nicht weitergekommen. Die Schüler müssen heute noch mehr Printmaterial mit sich herumschleppen als vor 50 Jahren.

Eine provokante Frage: Ist Digitalisierung im Bildungswesen gut oder schlecht?

Krausler: Wir brauchen sie unbedingt. Man kann sie in jedem Fach verwenden. Und schließlich ist Digitalisierung die große Chance für Europa, denn Europa lebt vom Wissen.

Kutschi: Die Frage gut oder schlecht stellt sich gar nicht. Digitalisierung ist die Lebenswirklichkeit. Das ist so wie die Entscheidung, ob man ein Schreibwerkzeug verwendet oder nicht – es geht nicht ohne. Den Menschen muss aber beigebracht werden, wie man die Technik sinnvoll verwendet – dann ist Digitalisierung gut.

Es wird viel von Industrie 4.0 gesprochen – also der Individualisierung der Produkte. Wird es auch eine Bildung 4.0 geben?

Gruber: 4.0 ist ein Marketingbegriff, man sollte das nicht der Bildung überstülpen.

Kutschi: Die Entwicklung geht sicher in Richtung des Zusammenbaus von Wissen aus kleinen Bausteinen, vor allem in der Erwachsenenbildung. In der Praxis bedeutet das den Verzicht auf starre Lehrpläne und stärkere Individualisierung, ich hole mir als Lernender quasi das, was ich brauche. Grundkenntnisse werden wir allerdings weiterhin brauchen.

Krausler: Wir haben bereits eine Schule 4.0. Wir verwenden IT, damit die Schüler Dinge lernen, die sie früher nicht gelernt haben. Das Ministerium hat sogar ein Programm unter dem Titel Schule 4.0 gestartet – da sind einige Dinge ins Rollen gebracht worden.

Wie weit fortgeschritten ist die Digitalisierung im BIldungswesen bereits? Und wo steht die Steiermark im internationalen Vergleich?

Krausler: Wir sind sehr gut aufgestellt. Aber natürlich könnte es noch mehr sein.

Kutschi: Die qualitative Ebene ist mit Zahlen gar nicht erfassbar. Es gibt Vorzeigeprojekte in der Steiermark, die Technische Universität und die Karl-
Franzens-Uni sind gemeinsam mit den Fachhochschulen da sehr engagiert, auch wenn die Anzahl der Kurse noch überschaubar ist. Die Pilotprojekte
sind international herzeigbar, aber wir sind noch nicht in der Breite angekommen.

Wittenbrink: Die Kombination von eher kleinen Strukturen mit einer traditionellen Aufgeklärtheit ermöglicht in der Steiermark einiges.

Gruber: Digitalisierung ist in den FHs und den Hochschulen angekommen. Auch in den Schulen ist das einigermaßen so, auch wenn die berufsbildenden
höheren Schulen deutlich weiter sind als die AHS. In den Berufsschulen ist das leider nicht so – und das betrifft immerhin 40 Prozent der Jugendlichen.

Krausler: Die Ausstattung ist aber vorhanden …

Gruber: Da kommt der sogenannte Matthäus-Effekt zum Tragen: Wer hat, dem wird gegeben, das gilt auch für Bildung und IT.

Wo liegen die größten Chancen, Herausforderungen und Risiken der Digitalisierung im Bildungswesen?

Ausserhuber: Digitalisierung kann nicht alles. Besonders Basiswissen muss weiterhin von Mensch zu Mensch weitergebenen werden.

Gruber: Die Entgrenzung der Bildung ist gleichzeitig Chance und Gefahr. Ich kann mich digital an jedem Ort zu jeder Zeit bilden – aber gleichzeitig muss ich mich selbst begrenzen. Autonomes Lernen wird digital möglich, aber dafür brauche ich auch eine Ausbildung, ich muss Urteilsfähigkeit entwickeln.
Und außerdem sehe ich eine gewisse Gefahr in dem Umstand, dass ich durch Lernprozesse ja auch Daten von mir preisgebe.

Wittenbrink: Eine der größten Herausforderungen der digitalen Bildung ist die Beschleunigung, die sie mit sich bringt.

Kutschi: Eine Schwierigkeit sehe ich bei der Planbarkeit der Bildung. Wenn es heißt, wir bilden für IT aus, klingt das gut. Aber welche Ausbildung ist
damit wirklich verbunden? IT hat ja nicht nur mit Programmieren zu tun.

Krausler: Digitalisierung ist nicht gratis. Wenn mehr digitale Inhalte an den Schulen da sein sollen, muss mehr investiert werden. Eine echte Herausforderung ist auch die Infrastruktur. Die Anbindungen der Schulen an das Internet sind teilweise ein Horror. Man darf da die Regionen nicht aushungern.

Wie kann man Digitalisierungsunwillige erreichen und die Digitalisierung im Bildungswesen positiv darstellen?

Kutschi: Es gibt Erfahrungswerte aus Dänemark, denen zufolge zehn bis elf Prozent der Menschen mit keinem Mittel erreichbar sind. Da ist dann auch nichts zu machen.

Gruber: Das ist ein Widerstandsphänomen, das gibt es auch in anderen Bereichen.

Die Digitalisierung zu nutzen, bedingt auch ständige Weiterbildung. Wie kann man die anbieten?

Gruber: Es gilt das Konzept des lebenslangen Lernens. Interessanterweise schlägt auch hier der Matthäus-Effekt zu. Ungleichheiten werden daher durch Weiterbildung fortgeschrieben – auch wenn das auf den ersten Blick paradox erscheint.

Ist es überhaupt möglich, beim Lernen mit der rasanten Entwicklung im Digitalbereich Schritt zu halten?

Kutschi: Ich habe es aufgegeben, mich über den ganzen Bereich hinweg auskennen zu wollen. Ich muss Entscheidungen treffen, in welche Richtung
ich mich spezialisiere. Die Problematik wird noch verstärkt, weil die IT-Systeme immer komplexer werden.

Krausler: Wir tun an den Schulen unser Bestes. Aber das ist auch eine Geldfrage und ein Zeitproblem. Für die eigene Weiterbildung und um auf dem Stand der Technik zu bleiben, benötigen die Lehrer Kurse, die etwas kosten, und sie benötigen Zeit dafür.

Kutschi: Ich rede jetzt aus der Sicht des „Abnehmers“, wir stellen ja viele junge Leute ein. Das, was sie im IT-Bereich gelernt haben, ist nicht mehr aktuell, wenn sie zu uns kommen. Aber meistens haben sie Metaskills gelernt und deshalb können sie produktiv werden.

Mit dem Internet steht der Menschheit das mächtigste Kommunikations- und Recherchewerkzeug zur Verfügung, das es je gab. Gleichzeitig eröffnet es völlig neue Möglichkeiten der Manipulation – Desinformation, Fake News und Verschwörungstheorien. Was kann man gegen diese Gefahren tun?

Krausler: Die Behandlung dieser Gefahren ist in den Lehrplänen vorgesehen. Es braucht aber Zeit, um die Lehrer entsprechend auszubilden. Generell versuchen wir, die Schüler zu sensibilisieren.

Kutschi: Informationen muss man abwägen. Was ist eine Quelle? Was ist Informationsqualität? Vor den Zeiten des Internets haben diese Auswahl Journalisten übernommen und die waren dafür ausgebildet. Heute muss das jeder tun. Es gibt Prognosen, wonach im Jahr 2025 die Hälfte aller Nachrichten
Fake News sein werden. Damit muss man einmal zurechtkommen.

Wittenbrink: Den Umgang mit diesen Dingen muss man den Menschen praxisnah und in Gruppen beibringen. In technischen Dingen sind die Kinder ihren Lehrern meistens weit überlegen, da sind sie hoch kompetent. Aber die Lehrer können den Kindern Urteilsfähigkeit vermitteln.

Gruber: Bildung bedeutet auch Urteilskraft und Reflexionsfähigkeit. All das kann man aber nicht in Häppchenpädagogik erlernen.

 

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