JUST-Redaktion|

Leucht­turm Mensch

Die Digi­ta­li­sie­rung, ein inzwi­schen schon recht stra­pa­zier­ter Begriff, der dieser Tage für alle mög­li­chen Phä­no­me­ne im Bereich mobiler Gadgets und IT her­hal­ten muss, ist all­ge­gen­wär­tig. Dieser Rausch all der schönen neuen Dinge, die unser Leben so ver­net­zen, uns in einer Flut an Infor­ma­ti­on schier ertrin­ken lassen und alles so viel besser macht, hat aller­dings auch eine Schat­ten­sei­te. Aber weil das mit dem Rausch eine so lustige Sache ist, ver­leug­nen wir nur allzu gerne die Neben­wir­kun­gen, igno­rie­ren den „Kater“.

Die Digi­ta­li­sie­rung lässt uns nicht zur Ruhe kommen, ver­hin­dert das „Abschal­ten“, lässt den Stress aus der Arbeits­welt in unser Pri­vat­le­ben schwap­pen und ihn nicht selten chro­nisch werden. Wir sind jeder­zeit erreich­bar. Den Laptop, der inzwi­schen klein, mobil und hoch per­for­mant ist, nehmen wir über­all­hin mit. Dafür sind mobile End­ge­rä­te ja schließ­lich da. Und wenn wir im Urlaub unsere Bilder in die sozia­len Medien hoch­la­den, – denn nur für das Fami­li­en­al­bum allein sind sie viel zu beson­ders – kann man gleich auch noch schnell den Bericht fer­tig­schrei­ben, die Kal­ku­la­ti­on ver­sen­den oder die Letzt­ver­si­on der Soft­ware auf dem Server ablegen. So ist das eben in der Immer­online­Gesellschaft.

Dafür sind wir Men­schen aber nicht geschaf­fen. Das Niemals­Abschalten lässt uns krank werden. Die Krank­hei­ten erdul­den wir dann im Stillen, die Erschöp­fung kaschie­ren wir mit einem grip­pa­len Infekt und ein Burn­out tarnen wir hinter einer beruf­li­chen Neu­ori­en­tie­rung. Weil Mensch­sein in Wahr­heit uncool ist. Die Systeme der Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gien werden immer kom­ple­xer, warum also soll der Mensch da nicht mit­hal­ten können, schließ­lich haben wir ja selbst diese Systeme erschaf­fen. Das alles hat massive Aus­wir­kun­gen auf die Gesund­heit und das Sozi­al­le­ben. Immer häu­fi­ger sehen wir Depres­si­on, Burn­out und schei­tern­de Bezie­hun­gen als Kol­la­te­ral­schä­den des digi­ta­len Wandels.

Das muss nicht sein! Im Arbeits­all­tag sind die Zuge­win­ne viel­fäl­tig, wenn man den Men­schen in den Mit­tel­punkt stellt. Was im Manage­ment­jar­gon so flapsig daher­ge­sagt ist, meint in Wahr­heit nichts anderes, als wahr­zu­neh­men, dass das Gegen­über von Maschi­nen und Sys­te­men immer noch der Mensch ist. Men­schen jedoch arbei­ten nicht 24/7. Sie müssen abschal­ten dürfen, müssen zum Aus­gleich andere Dinge tun. Diese Aus­zei­ten sind jedoch nicht so planbar wie War­tungs­in­ter­val­le in tech­ni­schen Sys­te­men. So kann es vor­kom­men, dass wir an einem Tag pro­blem­los 10 Stunden durch­ar­bei­ten können, an anderen Tagen aber merken, dass wir in einem Leis­tungs­tief stecken und etwas mehr Erho­lung brau­chen.

Wenn wir es als Unter­neh­men schaf­fen, dies anzu­er­ken­nen und den Mit­ar­bei­tern die Frei­heit geben, ganz indi­vi­du­ell zu wissen, wann ein mensch­li­ches War­tungs­in­ter­vall nötig ist, bleiben Mit­ar­bei­ter auf Dauer gesün­der und leis­tungs­fä­hi­ger. Dies ist aber nur möglich, wenn alle das gegen­sei­ti­ge Ver­trau­en haben, dass diese Pri­vi­le­gi­en nicht miss­braucht werden. Alle sind gleich­be­rech­tigt und mündig. Führung muss als Unter­stüt­zung ver­stan­den werden, kei­nes­falls als Kom­man­do über wil­len­lo­se Arbeits­sol­da­ten.

Wir dürfen nicht ver­nach­läs­si­gen, eine geistig gesunde Haltung zu Arbeit zu schaf­fen. Arbeit bedeu­tet nicht, mit mög­lichst wenig Aufwand etwas zu tun, das mög­lichst viel Geld abwirft, um sich dann mit dem Geld eine Frei­zeit zu erkau­fen, die einen das machen lässt, was man gerne tut. Arbeit sollte idea­ler­wei­se für jeden etwas sein, das Spaß macht, das erfüllt und mit dem man quasi „neben­bei“ das Geld ver­dient, mit dem sich alle rest­li­chen Lebens­not­wen­dig­kei­ten finan­zie­ren lassen. Zuge­ge­ben, dieser Ansatz hört sich ver­däch­tig nach einem Märchen an. Unsere Erfah­rung zeigt aber deut­lich, dass schon ein Auf­-dieses ‑Ziel-­Hin­be­we­gen durch­wegs posi­ti­ve Effekte gene­riert, auch wenn wir natür­lich bei Weitem noch nicht ange­kom­men sind. Das Modell ist nicht mehr als eine Wan­der­kar­te, mit der wir begon­nen haben, einen neuen Weg zu gehen.

Wir müssen abrü­cken von ana­chro­nis­ti­schen Manage­men­t­-Metho­den des 19. Jahr­hun­derts. Es pas­siert immer weniger Fließ­band­ar­beit, bei der Aus­gangs­ma­te­ri­al, End­pro­dukt und jeder Prozess-­Pa­ra­me­ter planbar sind. Wir gestal­ten den Weg, während wir ihn gehen, und nicht selten führt der Weg zum Ziel über ein paar Schrit­te zurück. Wir müssen lernen, mit Unschär­fe umzu­ge­hen und uns jeden Tag neu zu ori­en­tie­ren. Zuneh­mend schnel­le­rer Wandel erfor­dert immer agi­le­res Navi­gie­ren, fordert die stän­di­ge Bereit­schaft zur Ver­än­de­rung. Der stets kon­stan­te Leucht­turm in dieser rauen See ist und bleibt aber der Mensch. Ihn gilt es nie aus den Augen zu ver­lie­ren.

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