Einen Schritt voraus sind die Grazer Wissenschafter des Austrian Center of Industrial Biotechnology (acib) und der Innophore GmbH dem Coronavirus.
Ihnen ist es gelungen, mithilfe moderner KI-basierter Screeningmethoden und virtueller Szenarien die Relevanz existierender, aber auch hypothetischer, zukünftiger Coronavarianten zu studieren und vorherzusagen. Dies erlaubt es Impfstoffherstellern, existierende Vakzine schneller zu optimieren.
Alle Lebewesen verändern sich laufend und entwickeln sich somit ständig weiter. Dieser Evolution unterliegen auch Viren und damit das Coronavirus. Wie andere Viren schleust es sich in menschliche Zellen ein, wo es seine Erbinformationen einbringt und sich vermehrt. In diesem Prozess wird das virale Genom kopiert – wobei immer wieder kleine, zufällige Veränderungen bzw. Fehler passieren: Das Virus mutiert. Manche Mutationen verschaffen dem Virus Vorteile wie eine bessere Anpassung an veränderte Umweltbedingungen, womit oft eine schnellere Verbreitung einhergeht oder ein effizienteres Eindringen in die Wirtszellen und damit eine möglicherweise höhere Ansteckungsrate. „Wie schnell neue Varianten sichtbar werden, hängt von der Art des Virus ab, aber auch von seiner Verbreitung. Je weiter ein Virus verbreitet ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich evolutionär begünstigte Mutationen durchsetzen“, erklärt Christian Gruber, CEO des Grazer Bioinformatik- und AI-Unternehmens Innophore, das gemeinsam mit dem acib und der Universität Graz an Vorhersagemethoden für die Entwicklung der Viren arbeitet.
Seit Jänner 2020 forschen die Grazer Wissenschafter an den entstehenden SARS-CoV-2-Mutationen und schätzen deren Relevanz und Gefahr ein. „Dazu haben wir anfangs den strukturellen Aufbau des Virus erforscht, um zu verstehen, wie und an welcher Stelle es sich verändert, bzw. auch um vorherzusagen, wie es sich in Zukunft verändern könnte. Zur selben Zeit haben wir in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern begonnen, kontinuierlich globale Sequenzdaten zu analysieren. Das war schon zu Beginn bei unseren Arbeiten mit dem Chinese Center for Desease Control and Prevention und später mit der Harvard Medical School und Google relevant und musste zum Teil bei Wirkstoffsuchen berücksichtigt werden“, sagt Gruber. Dafür wurden global rund eine Million Sequenzierungen von SARS-Cov-2-Genomen durchgeführt. Mit diesem Datensatz, der ständig erweitert werden muss, können die Wissenschafter seit Beginn der Pandemie die Ausbreitung und Veränderung des Virus beobachten. Gruber: „Nun wissen wir zum Beispiel, dass Veränderungen im gesamten Genom des Virus vorkommen und dass diese mitunter direkte Auswirkungen auf Ansteckung und Übertragung haben.“
Um abschätzen zu können, wie sich diese und zukünftig auftretende Mutationen ausbreiten werden, setzen die Forscher Computermodelle und AI ein. „Basierend auf den global nun vermehrt durchgeführten Sequenzierungen können wir durch KI und Modellierungsmethoden virtuell verschiedene Szenarien berechnen. Indem wir unsere Daten mit klinischen und im Labor durchgeführten Beobachtungen abgleichen, können wir so die Vorhersagemodelle zusätzlich verbessern. Mit anderen Worten versetzen wir uns in die Lage des Virus: Wie reagiert es, welche Mutationen kann es ausbilden? Dadurch können die Veränderungen und die Relevanz existierender, aber auch hypothetischer Coronavarianten prognostiziert und studiert werden“, sagt Gruber. Mithilfe der Modelle können die Forscher in Supercomputerexperimenten die Gefährlichkeit von Virusmutationen einschätzen, noch bevor sich das Virus verändert hat. Ein Meilenstein in der weltweiten Coronaforschung. Gruber: „Damit werden wir dem Virus einen Schritt voraus sein.“
Die in Graz entwickelten Methoden erlauben es Impfstoffherstellern, existierende Vakzine schneller zu optimieren, damit diese auch gegen aktuelle Virusmutationen wirksam sind.
Die Erkenntnisse der Grazer Forscher können nicht nur entscheidend zur Entwicklung der aktuellen Coronapandemie beitragen, sondern bieten auch Hoffnung in der Bekämpfung zukünftiger Pandemien: „Ähnlich wie bei einer Wettervorhersage schätzen wir anhand bestehender Modellierungsdaten ein, wie die Situation morgen oder übermorgen sein könnte. Mittelfristiges Ziel ist es, gemeinsam mit den großen Impfstoffherstellern frühzeitiger die Kontrolle über Epidemien zu erlangen – von der Prognose über die Prävention bis hin zu einem Reaktionssystem.
Kontakt:
www.acib.at
Das Comet-Zentrum acib in Graz forscht auf dem Gebiet der industriellen Biotechnologie. Die Comet-Einrichtung befindet sich im Besitz der Universität für Bodenkultur, der Karl-Franzens-Universität, der Technischen Universität Graz, der Universität Innsbruck und des Joanneum Research.
Foto: Mithilfe einer künstlichen Intelligenz prognostizieren Grazer Forscher von acib und Innophore die Entwicklung des Coronavirus.
Fotocredit: acib
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