Sirius Alex­an­der Pansi|

Es möge kommen, was wir bestellt haben

Schicksal hat Humor – und manchmal einen, der schwer vermittelbar ist

Es gibt Tage, da glaubt man an das Schick­sal. Nicht aus Aber­glau­ben, sondern weil die Wirk­lich­keit sich zu poin­tiert insze­niert, um Zufall zu sein. Etwa, wenn man in letzter Minute in die U‑Bahn springt – und sich aus­ge­rech­net neben jene Person gesetzt findet, der man seit Jahren erfolg­reich aus dem Weg ging. Oder wenn ein längst ver­dräng­ter Gedanke plötz­lich auf der Lit­faß­säu­le steht, als hätte das Uni­ver­sum einen Redak­teur. Offen­bar besitzt es einen Sinn für Ironie – irgend­wo zwi­schen Kafka und Karl Valen­tin, aber ohne Abspra­che mit uns.

Viel­leicht hat die Mensch­heit das Schick­sal erfun­den, weil „Pech gehabt“ als Erklä­rung zu banal war. Also bekamen wir: Götter, Horo­sko­pe, Algo­rith­men – und heute: Mani­fes­ta­ti­on. Ein Konzept, das ver­spricht, dass der Wille allein genügt – und oft doch nur bis zur nächs­ten Tasse mit dem Auf­druck „Trust the process“ reicht. Immer­hin: Mani­fes­ta­ti­on funk­tio­niert. Zumin­dest für jene, die Notiz­bü­cher mit gold­ge­präg­ten Affir­ma­tio­nen ver­kau­fen.

Zwi­schen Bestim­mung und Betriebs­an­lei­tung

„Jeder ist seines Glückes Schmied“, sagte man früher. Heute hätte man den Schmied gern als App, bitte mit Cloud-Siche­rung. Doch wer ver­sucht hat, vom einen auf den anderen Mobil­te­le­fon­her­stel­ler zu wech­seln, weiß: Das Schick­sal ist nichts gegen die Tücke der Daten­mi­gra­ti­on.

Das moderne Schick­sal ist nicht mehr tra­gisch, sondern vor allem schlecht designt. Es kommt als Push-Nach­richt, gele­gent­lich als Bugfix – aber nie zur rechten Zeit. Wir per­so­na­li­sie­ren unsere Kaf­fee­ma­schi­nen, aber akzep­tie­ren geo­po­li­ti­sche Ent­wick­lun­gen als höhere Fügung.

Das Leben: ein Drama ohne Gene­ral­pro­be

Wir glauben, unser Leben sei wie eine gute Serie: durch­dacht, mit rotem Faden. Tat­säch­lich ist es eher ein absur­des Thea­ter­pro­jekt – Regie: ein betrun­ke­ner Ionesco. Die Bühne wackelt, die Neben­rol­len proben nie, und irgend­wann stellt man fest: Das ist kein Stück. Das bin ich.

Wie passend, dass die Salz­bur­ger Fest­spie­le 2025 sich unter dem Motto „Fatum – Schick­sal“ genau diesem Wider­spruch widmen. Auf den Bühnen wird gestor­ben, gelit­ten, gehofft – aber immer mit Stil. Und mit dem Bewusst­sein, dass auch das größte Drama meist mit einer kleinen, mensch­li­chen Ent­schei­dung beginnt.

Händels „Giulio Cesare“, Verdis „Macbeth“ – Geschich­ten von Macht, Ohn­macht und jener tra­gi­schen Sehn­sucht, sein eigenes Dreh­buch zu schrei­ben. Viel­leicht sind wir deshalb so fas­zi­niert: Weil wir dort für einen Moment glauben dürfen, es gäbe so etwas wie einen Plan.

Die ewige Rück­kehr des Mensch­li­chen

Man sollte meinen, wir hätten dazu­ge­lernt. Zwei Welt­krie­ge, mehrere Finanz­kri­sen, ein paar Pan­de­mien – das müsste doch reichen. Aber nein: Noch immer glauben wir, der Mensch sei ratio­nal, bere­chen­bar, planbar. Dabei schei­tert er am Wahlomat und mani­fes­tiert sich ins nächste Burnout.

Wir bauen KI, die Shake­speare imi­tie­ren kann, aber stol­pern über den Ton im Grup­pen­chat. Wir träumen von Mars­ko­lo­nien, schei­tern aber am Recy­cling­müll. Viel­leicht ist das Schick­sal kein Gegner – sondern ein Kor­rek­tiv. Eine Art kos­mi­scher Hinweis: „Du bist nicht allein. Aber du bist auch nicht alles.“

Zufall als letzter Punkt im System

In den bes­se­ren Cafés kann man zwi­schen 17 Milch­sor­ten wählen – aber nicht zwi­schen Monolog und echtem Dialog. Wir haben 37 Bezahl­me­tho­den, aber keine Garan­tie für Sinn. Wir opti­mie­ren unsere Lebens­läu­fe, doch das Leben selbst bleibt sperrig. Und während wir Deli­very-Zeiten und Risi­ko­stu­fen berech­nen, lacht der Zufall – der letzte Punk im Busi­ness-Casual-Uni­ver­sum.
Viel­leicht liegt in ihm die letzte Form der Hoff­nung. Die unge­plan­te Begeg­nung. Der unpas­sen­de Moment. Der Fehler, der plötz­lich Rich­tung bekommt. Wie sagte einst Karl Farkas: „Zufall ist das, was einem pas­siert, wenn man gar nicht damit rechnet.“

Selbst­op­ti­mie­rung bis zur Sinn­kri­se

Wir reden viel von Resi­li­enz, meinen aber oft nur Ver­drän­gung mit Stil. Wer heute schei­tert, hat eben falsch visua­li­siert. Wer leidet, war nicht genug im Flow. Und wer keine Glücks­ge­füh­le emp­fin­det, sollte viel­leicht sein Abo-Modell wech­seln. Wir opti­mie­ren uns zu Tode – und merken zu spät: Viel­leicht war das Schick­sal gar nicht unser Feind, sondern unser ein­zi­ger Ver­bün­de­ter gegen den Zwang zur Selbst­steue­rung. Was aber, wenn wir gar nicht alles im Griff haben sollen? Wenn es nicht um Kon­trol­le geht, sondern um Ver­trau­en? Viel­leicht ist Schick­sal nicht die Ein­schrän­kung unserer Frei­heit – sondern ihre poe­ti­sche Begleit­mu­sik.

Vom Reiz des Unver­füg­ba­ren

Viel­leicht liegt die Tragik unserer Zeit gar nicht im Schick­sal – sondern in seinem Fehlen. Alles ist ver­füg­bar: Wissen, Trost, sogar Erleuch­tung gibt es auf Bestel­lung. Nur das Wunder ist ver­däch­tig gewor­den. In einer Welt, in der die Spül­ma­schi­ne weiß, wann wir nach Hause kommen, stört das Staunen den Work­flow. Dabei war es gerade das Unver­füg­ba­re, das uns zu Men­schen machte. Die Gnade des Moments. Die Über­ra­schung des Anderen. Viel­leicht liegt genau hier die tiefere Ver­bin­dung zu den Fest­spie­len – dieser Moment der Irri­ta­ti­on, des Uner­klär­li­chen, der wider­spro­che­nen Erwar­tungs­hal­tung.

Komödie mit Applaus aus dem Off

Schick­sal, das klingt oft nach Schwere. Nach Fall­hö­he. Nach antiker Tra­gö­die mit Pause und anschlie­ßen­dem Publi­kums­ge­spräch. Doch das Leben ist mehr als sein Ernst. Es ist auch ein Komö­di­ant. Einer, der uns manch­mal auf die Bühne schubst, obwohl wir nur Sta­tis­ten sein wollten. Und das mit einem Blu­men­strauß aus Miss­ver­ständ­nis­sen in der Hand.

Zwi­schen Maß­hal­ten und Macht­hun­ger

Und dann, wenn es duftet nach frisch gemäh­tem Gras, wenn der Wind ein Lied summt, das kein Algo­rith­mus kennt – dann weiß man: Das Leben ist mehr als Plan. Mehr als Kon­trol­le. Mehr als Mani­fes­ta­ti­on.

Dann sitzen wir viel­leicht unter einem Baum, mit einem Men­schen, den wir nicht gegoo­gelt haben, und sagen einfach nur: „Ja. So ist es gut.“ Wir denken zurück: Der Mensch hat vieles gelernt – Spra­chen, Systeme, sogar sich selbst zu opti­mie­ren. Aber er hat noch immer nicht ver­stan­den, dass Macht nicht das Ziel sein darf, sondern bes­ten­falls ein Werk­zeug. Viel­leicht beginnt das neue Zeit­al­ter nicht mit einem Knall, sondern mit einem ein­fa­chen Gedan­ken: Weniger wäre genug.

Viel­leicht ist es auch ein Zeit­al­ter, in dem wir wieder lernen, zu unter­schei­den. Zwi­schen dem, was tech­nisch möglich ist – und dem, was mensch­lich sinn­voll. Zwi­schen Fort­schritt und Über­for­de­rung. Zwi­schen Reiz und Wert. Wir müssen Tech­no­lo­gie nicht ver­teu­feln – aber wir dürfen sie hin­ter­fra­gen. Und wir sollten lernen, das Gute in ihr zu sehen, ohne das Wahre aus den Augen zu verlieren.Und doch: Wir sind keine Zyniker. Wir glauben an das Gute, auch wenn es sich manch­mal gut ver­steckt. Wir glauben an eine Welt, in der Ver­nunft und Hoff­nung kein Wider­spruch sind. Und wir wissen: Nur wer an das Gute glaubt, kann es auch möglich machen.Oder wir stehen auf einem der Plätze dieser Stadt, auf der Suche nach einer Idee, einem Gespräch, einem Augen­blick. Und plötz­lich ist da: Musik. Viel­leicht Mozarts „Requiem“ aus einem offenen Fenster. Viel­leicht ein Stra­ßen­mu­si­ker, der keine Schule besucht, aber das Leben spielt. Und dann spüren wir: Etwas hat sich bewegt. Ohne dass wir es bestellt haben. Und wir merken: Schick­sal ist auch das, was uns findet, wenn wir gerade nicht auf Empfang geschal­tet sind. Es klopft nicht an die Tür, es pfeift durch die Gassen. Manch­mal ganz leise. Und manch­mal mitten in den Lärm der Welt hinein.

 

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