Erfahrung ist Gold wert

Wenn das Wort Ressourcen fällt, denken viele Menschen zuerst einmal an Rohstoffe und Energie. Dabei werden sogar in der Wirtschaftslehre weit mehr Dinge als Ressourcen gewertet als nur Erdöl, Eisen oder Elektrizität. Dort nehmen neben Finanzen und Infrastruktur auch die humanen Ressourcen, also gut ausgebildete Arbeitskräfte, eine wichtige Rolle ein.

Ressourcen sind das, was man benötigt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, ein Vorhaben zu verwirklichen. Lange Zeit waren die wichtigsten Ressourcen, die der Mensch brauchte, Nahrung, Wasser und Feuersteine. Schon sehr bald nach dem Beginn der Landwirtschaft entdeckten wir den Wert der Metalle. Kupfer war nützlich für Werkzeuge, Gold als Schmuck gefragt.

Erst seit etwa hundert Jahren wird die Ressource Gold als Zahnersatz verwendet, heute kommt der Einsatz in der Elektronik dazu. Künftig könnte das Edelmetall die chemische Produktion verändern. Als Nanopartikel eingesetzt ermöglicht es als Katalysator bestimmte Reaktionen, die heute noch in Lösungsmitteln ablaufen müssen. Gold könnte also schon bald die chemische Industrie grüner machen.

Obwohl das gelbe Metall schon so lange heiß begehrt ist, wurde gar nicht so viel davon gefördert. Rund 200.000 Tonnen Gold hat die Menschheit seit dem Beginn der Geschichtsschreibung aus Minen und Flüssen geholt. Das klingt nach mehr, als es ist: Mit der gesamten je geschürften Goldmenge könnte man gerade einmal einen Würfel von rund 20 Metern Kantenlänge gießen. Die Geschichte von der Stadt El Dorado, in der Häuser und Straßen aus Goldziegeln errichtet waren, dürfte also schon aus Gründen der Materialknappheit leicht übertrieben sein.

Heutzutage gibt es Rohstoffe, die weit gefragter sind als Gold. Seltene Erden zum Beispiel, die vorwiegend in China und Südamerika zu finden sind. Kobalt, das Bergleute noch vor 200 Jahren verfluchten, weil es das Silbererz verunreinigte, und das sie für Koboldausscheidungen hielten – deshalb der Name. Erdöl natürlich, das immer noch das Herzblut des globalen Wirtschaftssystems darstellt.

All diese Ressourcen haben eines gemeinsam: Sie sind nur in endlicher Menge vorhanden. Zwar werden die Abbaumethoden ständig verbessert, gleichzeitig steigt aber auch der Bedarf. Immer neue Lagerstätten müssen gefunden und erschlossen werden, immer effizientere Fördermethoden entwickelt, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Es ist ein Wettrennen, das unsere Industriegesellschaft auf Dauer nicht gewinnen kann.

Hier kommt Recycling ins Spiel. Zumindest bei jenen Ressourcen, aus denen Produkte gefertigt werden, ist vieles wiederverwertbar. Die Wiederverwendung von Gebrauchsgegenständen war lange Zeit die Regel. Flaschen, Töpfe, Holz und Metall waren viel zu wertvoll, um sie einfach zu entsorgen, Metall wurde umgeschmiedet.

Mit der Industrialisierung etablierte sich eine Wegwerfgesellschaft. Die Massenproduktion machte das Aufbewahren und Weiterverwendung von Produkten überflüssig – dachte man. Der Ölschock der 1970er-Jahre brachte ein erstes Umdenken, ein verstärktes Umweltbewusstsein die endgültige Wende. Heute ist Recycling selbstverständlich, auch wenn immer noch viel zu viele „Reststoffe“ zum Schluss verbrannt werden – thermische Verwertung ist der chice Euphemismus dafür. Ehrlicherweise muss man zugeben, dass ohne die Verbrennung von Kunststoffen die Beseitigung anderer Abfälle in entsprechenden Öfen technisch gar nicht möglich wäre.

Österreich liegt bei der Gesamtrecyclingquote im europäischen Mittelfeld. Das flächendeckende Sammelsystem für Metall, Kunststoff, Glas, Papier und Bioabfälle macht eine Recyclingquote von 85 Prozent bei den privaten Haushalten möglich.

Auch im Handwerk wurden die wertvollen Grundmaterialien früher meist wiederverwertet. Ein bekanntes Beispiel sind die sogenannten Palimpseste. Dabei handelt es sich um Pergamentstücke oder –rollen, von denen die Beschriftung abgeschabt wurde, damit man sie ein weiteres Mal als Schreibgrundlage verwenden konnte. Heute sind die Palimpseste eine Fundgrube für die Geschichtswissenschaft, weil man den ursprünglichen Text mit modernen Methoden wieder lesbar machen und so wertvolle Informationen erhalten kann.

Heute spielt die Herkunft der Ressourcen im Handwerk, aber auch im Handel eine wichtige Rolle. So punktet heimisches Holz als Rohstoff für Möbel bei den meisten Konsumenten deutlich höher als noch so edle Tropenhölzer, für die Regenwälder abgeholzt werden müssen. Lebensmittelketten setzen ganz gezielt auf regionale Regalmeter, in denen Nahrungsmittel und Getränke heimischer Provenienz angeboten werden. Fleisch und Geflügel sollen bis zum Bauern rückverfolgbar sein. Regionalität suggeriert Qualität und wird als Verkaufsargument eingesetzt.

Während also bei Rohstoffen inzwischen stark auf Nachhaltigkeit geachtet wird, wird in der Wirtschaft mit der wahrscheinlich wichtigsten Ressource überhaupt leider noch allzu oft eher wenig sorgsam umgegangen. Die Rede ist vom Faktor Mensch. Wer kennt nicht die Stelleninserate, in denen ein 18-jähriger Mitarbeiter mit 30 Jahren Berufserfahrung gesucht wird. Vorzugsweise zu All-in-Bedingungen, einer Leistungsbereitschaft, die über die normale 60-Stunden-Woche hinausgeht, Erreichbarkeit auch am Heiligen Abend um 22 Uhr und das alles bei einem Gehalt, das vielleicht einen Papua-Neuguineaner zufriedenstellen würde, hierzulande aber gerade einmal die Miete für eine Hundehütte abdeckt.

Gut, das ist ziemlich überspitzt dargestellt, aber wer in etwas fortgeschrittenerem Alter eine neue Arbeit suchen musste, wird ein Körnchen Wahrheit darin entdecken. Mit 50, teilweise sogar schon mit 40, gilt man am Arbeitsmarkt als alt, oft sogar als zu alt. Ja, ab einer gewissen Anzahl an Jahresringen ist der Mensch nicht mehr so leistungsfähig wie knapp nach dem Ende der Pubertät. Erfahrung gleicht das aber mehr als aus.

Wie unersetzlich Erfahrung ist, beweist unter anderem die jüngere Militärgeschichte. Im Zweiten Weltkrieg verloren die technologisch deutlich überlegenen Luftstreitkräfte der Deutschen und der Japaner schnell ihren Vorsprung. Die Deutschen nach der Luftschlacht um England, die Japaner nach der Seeschlacht von Midway. Was war geschehen? In England kämpfte die Luftwaffe über feindlichem Territorium. Wurde eine Maschine abgeschossen, konnten sich die Piloten oft mit dem Fallschirm retten. Während die Engländer in die nächste Maschine stiegen, die relativ rasch produziert werden konnte, gingen die Deutschen in Kriegsgefangenschaft. Bei Midway versenkten die Amerikaner vier japanische Flugzeugträger, die Piloten mussten notwassern, starben dabei oder gerieten – wenn sie Glück hatten – ebenfalls in Gefangenschaft. Die Folgen waren für beide Achsenmächte deselben: Sie hatten ihre erfahrenen Flugzeugbesatzungen verloren. Flugzeuge konnten nachgebaut werden, geübte Piloten nicht. Die Lufthoheit hatten im Rest des Krieges die Alliierten.

Im Wirtschaftsleben gibt es immer wieder ähnliche Situationen. Ein Beispiel ist ein US-amerikanischer Konzern, der in seinen deutschen Niederlassungen in den 90er-Jahren seine erfahrenen IT-Mitarbeiter kündigte, weil die Geschäfte plötzlich schlechter liefen. Als die Konjunktur wieder anzog, wollte der Konzern sie zurückholen. Die meisten dachten gar nicht daran, zu einer Firma zurückzukehren, die sie beim ersten Gegenwind auf die Straße gesetzt hatte. Ihre Erfahrung war für den Konzern für immer verloren, ja schlimmer noch, sie war zur Konkurrenz abgewandert, die nun davon profitierte.

Unternehmen sind gut beraten, auch auf ältere, erfahrene Mitarbeiter zu setzen. Sie bekommen dafür nicht nur das nur schwer ersetzbare Wissen dieser Menschen, sondern zusätzlich ihre Loyalität. Diese bedeutet nicht nur, dass sich der Arbeitgeber auf die Arbeit und die Treue der erfahrenen Mitarbeiter verlassen kann, sondern vor allem, dass diese stets im Sinne des Unternehmens handeln und es nach außen entsprechend vertreten. Gelebte Loyalität in einer Firma strahlt auch auf deren Kunden aus – in der Regel werden sie diesem Unternehmen eher die Treue halten.

Text: Andreas Kolb
Illustration: Gernot Reiter

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