JUST-Redaktion|

Don’t worry, be happy!

Alle wollen es, kaum einer weiß, wie man es erreicht: Glück – diese ungreif­ba­re Mischung aus Sehn­süch­ten, Erin­ne­run­gen und einem Ver­lan­gen nach Har­mo­nie und Hap­pi­ness. Wie aus­sa­ge­kräf­tig sind ein­schlä­gi­ge Sta­tis­ti­ken oder Ope­ret­ten-Weis­hei­ten?

Krieg, Krise, Kli­ma­ka­ta­stro­phe: Darf man in Zeiten wie diesen über­haupt von Glück spre­chen? Oder soll man es gerade wegen der düs­te­ren All­tags­ku­lis­se? In einer Gesell­schaft, die sich das Raunzen und Nörgeln als USP-Etikett auf­ge­klebt hat, bleibt der Raum für flä­chen­de­cken­de Lebens­zu­frie­den­heit jeden­falls auch in Frie­dens­zei­ten eng. Irgend­ei­ne Form von Unglück lauert ja immer irgend­wo. Und dann hat man es „ja eh immer schon gewusst“, dass „das sicher nix wird“ oder „net passt“, weil’s „ja ka’ Wunder is’“. Um umge­kehrt dem Unglück dennoch wenig Angriffs­flä­che und Mög­lich­keit zur Aus­brei­tung zu bieten, jammert man sich mit einer schwam­mi­gen „Des passt scho“-Zufriedenheit durchs Leben. Gemäß der All­tags­be­wäl­ti­gungs­re­gie­an­wei­sung der legen­dä­ren Tante Jolesch, wonach „Gott einen vor allem hüten soll, was noch ein Glück ist“.

Dieses ange­bo­re­ne Talent für Tris­tesse spie­gelt sich auch in einer sprach­li­chen Ein­di­men­sio­na­li­tät wider. Denn im Öster­rei­chi­schen wird alles unter dem Hol­ding­dach „Glück“ gene­ra­li­siert und sub­sum­miert, wo in anderen Spra­chen zwi­schen Zufalls­glück und Glück­se­lig­keit diver­si­fi­ziert und dif­fe­ren­ziert wird. So unter­schei­det man im Latei­ni­schen zwi­schen „Beati­tu­do“ oder der „Fortuna“, im Fran­zö­si­schen zwi­schen „Bonheur“ und „Chance“, zwi­schen „Eudai­mo­nia“ und „Eutychia“ in der grie­chi­schen Phi­lo­so­phie und „Hap­pi­ness“ und „Luck“ im Eng­li­schen.

Nur im Deut­schen ist es seman­tisch einer­lei. Hier spricht man immer nur von „Glück“ – egal, ob es sich um glück­li­che (Zufalls-)Momente, einen rich­ti­gen Lot­to­tipp oder einen sturm­frei­en Bezie­hungs­all­tag handelt. Auch wenn dar­un­ter ein ganz­heit­lich geglück­tes Lebens­mo­dell ver­stan­den wird, das sich frei von Nöten, Zwängen, dem Ballast der Geschich­te und der Angst vor der Zukunft ent­fal­ten kann, spricht man von Glück.

Es ist eine wirre Gemenge­la­ge aus kon­stant geglück­ter Gestal­tungs­kraft und der Unkäuf­lich­keit und Unplan­bar­keit von Zufalls­glück. Lin­gu­is­ten spre­chen ob der Unge­nau­ig­keit von einem soge­nann­ten „Kau­gum­mi­wort“: Nimmt man es in den Mund, lässt es sich in alle Rich­tun­gen dehnen, zu Blasen formen, durch Lücken pressen, zer­kau­en und zer­mah­len.

Prak­tisch wird die Gene­ra­li­sie­rung dagegen, wenn es um die groß­zü­gi­ge Wei­ter­ga­be dieses nicht erzwing­ba­ren, aber erstre­bens­wer­ten Zustands geht. Wir wün­schen ein­an­der Glück und erhal­ten Glück­wün­sche zu Weih­nach­ten, Neujahr, zu Geburts­ta­gen, zu Hoch­zei­ten, auch für Auf­ga­ben, die vor uns stehen und die uns gelin­gen sollen. „Viel Glück!“ – damit ist alles gemeint, was Zufrie­den­heit ver­spricht. Man weiß aber um die vogerl­haf­te Flüch­tig­keit des Glücks­mo­ments. Um auf „Nummer sicher“ zu gehen, werden daher Heils­ver­spre­chen und Hel­den­ge­schich­ten erzählt, die ein Leben in Glück ver­spre­chen; Symbole bemüht, um dem Augen­blick seine Ver­gäng­lich­keit zu nehmen. Mas­kott­chen, Talis­man oder Amulett, Huf­ei­sen, vier­blätt­ri­ge Klee­blät­ter oder Mari­en­kä­fer, Rauch­fang­keh­rer oder Mar­zi­pan­schwei­ne: Das Glücks­brin­ger-Reper­toire aus Insi­gni­en des Aber­glau­bens ist bunt, kit­schig und kom­merz­par­fü­miert. Glück als hoff­nungs­ge­steu­er­tes Kon­sum­gut. Die Idee dahin­ter: Ris­kiert man aus­rei­chend Einsatz, ließe sich das Glück prak­tisch erzwin­gen. Casinos leben davon. Pyra­mi­den­spie­le und die Börse ebenso.

Aber auch abseits von Poker­kar­ten, ein­ar­mi­gen Ban­di­ten und Hedge­fonds wird eifrig ver­sucht, die Welt in ein Well­ness­stu­dio und die Gesell­schaft in eine Fun­com­mu­ni­ty zu ver­wan­deln, damit die indi­vi­du­el­le Glücks­fin­dung gelingt. Die Men­schen ergeben sich dabei dem For­ma­tie­rungs­druck und dem Impe­ra­tiv der Selbst­op­ti­mie­rung. Der gemein­schaft­li­che Ansatz, Glück gewäh­ren­de Rah­men­be­din­gun­gen für mög­lichst viele zu schaf­fen, findet dagegen immer sel­te­ner Mehr­hei­ten. Glück als soziale Grund­ton­art ver­stummt. Dafür wird die Angst – ein natür­li­cher Feind des Glücks – lauter. Das hat zwar den Touch von Kultur-pes­si­mis­mus, lässt sich aber auch zur Moti­va­ti­ons­for­mel umwan­deln. „Je weniger Angst, desto mehr Glück“ – das taugt zur All­tags­be­wäl­ti­gung und hilft beim Wahr­neh­men jener emo­tio­na­len Ein­drü­cke, die glück­lich machen sowie der Ver­brei­tung von Hap­pi­ness für mög­lichst viele Men­schen.

Das wussten schon die Grün­der­vä­ter der USA. Zu den bereits 1776 in der ame­ri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung nie­der­ge­schrie­be­nen „unver­äu­ßer­li­chen Men­schen­rech­ten“ gehört demnach „the pursuit of hap­pi­ness“ – das Streben nach Glück. Auch dabei geht es um mehr als die Glücks­jagd Ein­zel­ner. Nämlich um ein – natür­lich idea­li­sier­tes – poli­ti­sches und gesell­schaft­li­ches Konzept. Dass es nebst­bei der Treib­stoff für einen bis­wei­len zügel­lo­sen Kapi­ta­lis­mus mit all seiner Gier und seinen Schat­ten­sei­ten ist, darf frei­lich nicht ver­schwie­gen werden. Denn dass mit wirt­schaft­li­chem Wachs­tum nicht zwin­gend ein Plus am sub­jek­ti­ven Wohl­be­fin­den-Konto ver­bucht wird, beweist China. Die Ein­kom­men haben sich dort in den ver­gan­ge­nen drei Jahr­zehn­ten ver­drei­facht. Und die Zufrie­den­heit inner­halb der Gesell­schaft?

Zwar wird zwi­schen Peking und Shang­hai mitt­ler­wei­le auch indi­vi­du­el­les Ver­hal­ten im Alltag nach einem Punk­te­sys­tem beur­teilt, eine Gemüts­zu­stands­mes­sung wie bei­spiels­wei­se jene in Aus­tra­li­en oder die „World Data­ba­se of Hap­pi­ness“ der Uni­ver­si­tät Rot­ter­dam fehlt aller­dings. Letz­te­re bündelt welt­wei­te Daten zur Lebens­qua­li­tät. In einer Art Hit­pa­ra­de der Natio­nen bezüg­lich der durch­schnitt­li­chen „Hap­pi­ness“ (als Synonym für Lebens­zu­frie­den­heit) führt für den Erhe­bungs­zeit­raum 2010 bis 2019 Däne­mark vor Mexiko, Kolum­bi­en und der Schweiz. Öster­reich ran­giert auf Platz 12. Am unteren Ende der 160 erfass­ten Staaten liegen Burundi und Tan­sa­nia.

Zu ähn­li­chen Ergeb­nis­sen kommt der vor zehn Jahren initi­ier­te „World Hap­pi­ness Report“ der Ver­ein­ten Natio­nen. Damit soll der Zustand des welt­weit emp­fun­de­nen Glücks und der Lebens­zu­frie­den­heit erhoben und daraus auch poli­ti­sche Fol­ge­run­gen abge­lei­tet werden. Bewer­tet werden unter anderem die wirt­schaft­li­che Lage, der soziale Zusam­men­halt, die Lebens­er­war­tung und die Ver­brei­tung von Kor­rup­ti­on. Tra­di­tio­nell liegen in diesem Ranking die skan­di­na­vi­schen Länder an der Spitze – zuletzt Finn­land vor Däne­mark. Öster­reich ran­giert rund um Platz 10, Bhutan scheint in der jüngs­ten Liste gar nicht auf.

Das kleine, dicht bewal­de­te König­reich im Hima­la­ya wurde lange als Glücks-Super­macht bestaunt. Das dort vom König erfun­de­ne „Brut­to­so­zi­al­glück“ aus see­li­schem Wohl­be­fin­den, klaren Regeln für Wirt­schaft und Gesund­heit, För­de­rung von Umwelt­schutz und Bildung wurde schnell zur sozia­len Leit­wäh­rung und zum mono­pol­haf­ten Ent­wick­lungs­in­di­ka­tor. Das ambi­tio­nier­te Ziel lautete: Die Men­schen von Bhutan sollen zu den glück­lichs­ten der Welt gehören. Als ekla­tan­te Schwä­che des Modells gilt aller­dings, dass die Gewich­tung der ein­zel­nen Indi­ka­to­ren undurch­schau­bar ist und das Ergeb­nis vor allem inter­na­tio­nal nicht ver­gleich­bar ist, weil der Index nur in Bhutan ermit­telt wird. Auch in Aus­tra­li­en gibt es einen Son­der­weg. Dort wird schon seit zwanzig Jahren der „Aus­tra­li­en Unity Well­be­ing Index“ erhoben, eine Art natio­na­ler und per­sön­li­cher Glücks­wet­ter­be­richt. Ver­mes­sen werden sieben poten­zi­el­le Haupt­ver­brei­tungs­ge­bie­te von Glück im Pri­va­ten sowie gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Zusam­men­hang: Bezie­hung, Lebens­stan­dard, Lebens­ziel, Gesund­heit, Gemein­schafts­sinn, per­sön­li­che Sicher­heit und eine all­ge­mei­ne Zukunfts­er­war­tung.

Das Ergeb­nis gibt einen tiefen Blick in die Ent­wick­lungs­kur­ve der aus­tra­li­schen Seele – und wie sich bei­spiels­wei­se die Finanz­kri­se, Busch­feu­er, Covid oder die Markt­ein­füh­rung des iPhone auf den per­sön­li­chen und gesell­schaft­li­chen Gefühls­haus­halt, auf Zufrie­den­heit und Glücks­emp­fin­den und damit auf die Lebens­qua­li­tät aus­ge­wirkt haben. Wie würde eine der­ar­ti­ge Hap­pi­ness-Matrix wohl bei uns aus­se­hen?

Und geht das über­haupt? Lässt sich Glück messen? Kann man emo­tio­na­le Emp­fin­dun­gen auf einer ratio­na­len Punk­te­ska­la fest­ma­chen? Reicht es, der Unwirt­lich­keit der Wirk­lich­keit einer chro­nisch ver­un­si­cher­ten Gesell­schaft eine life­style-bud­dhis­ti­sche indi­vi­du­el­le „Ruhe-in-deiner-Mitte“-Harmonie ent­ge­gen­zu­stel­len und alles wird gut? Lässt sich Hap­pi­ness gar in Saft­pa­ckerl abfül­len, wie die Auf­schrift eines hei­mi­schen Frucht­saf­ther­stel­lers voll­mun­dig ver­spricht? Oder stimmt der Ansatz aus Johann Strauß’ Ope­ret­te „Die Fle­der­maus“, wonach „glück­lich ist, wer ver­gisst, was nicht mehr zu ändern ist“? Kann man nur im und durch Ver­ges­sen und Ver­drän­gen glück­lich werden? Das würde zu Öster­reich passen, könnte man ket­ze­risch anmer­ken. All­ge­mein gül­ti­ger und ver­träg­li­cher erscheint aber Bobby McFerrins Ansatz: „In every life we have some trouble / but when you worry you make it double“. Sein Fazit: „Put a smile on your face“ und vor allem „Don’t worry, be happy!“ Klingt nach einem Plan.

Illus­tra­ti­on: James Rizzi

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