„Die neue Mobilität ist ein Innovationstreiber“

Die neue Mobilität ist in aller Munde. Elektroautos, autonomes Fahrzeug oder Brennstoffzellen sollen und werden die Gesellschaft verändern. Wie sich das wirtschaftlich, technologisch und gesellschaftlich auf die Steiermark auswirken wird, versucht der Vizepräsident der WKO Steiermark, Herbert Ritter, zu prognostizieren.

Die Mobilität steht vor einem Wandel – E-Mobility und autonome Fahrzeuge sind nur zwei Stichworte. Wie weit sind wir auf dem Weg zur Mobilität der Zukunft schon fortgeschritten?

WKO-Steiermark-Vizepräsident Herbert Ritter: Elektrofahrzeuge sind immer noch ein Nischenprodukt. Erst ein bis zwei Prozent aller Autos sind E-Autos. Das Problem sind einerseits die geringe Reichweite und andererseits die hohen Anschaffungskosten. Für den Stadtverkehr sind E-Autos sicher gut geeignet, aber auch da eher als Zweitfahrzeug. Für Pendler, die täglich längere Strecken zurücklegen müssen, sind sie keine Alternative. Da wären die Hybridfahrzeuge ein gangbarer Weg. Die Politik sollte überlegen, ob sie nicht auch Fahrzeuge mit geringem CO2-Ausstoß fördern und mit E-Autos gleichstellen sollte, das hätte wahrscheinlich größere positive Auswirkungen auf die Umwelt, als es die derzeitige Investitionsförderung der reinen E-Mobilität hätte.

Elektroautos haben wesentlich weniger Komponenten als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Wäre ein großflächiger Einsatz von E-Autos eine Gefahr für die stark entwickelte steirische Zulieferindustrie?

Ritter: Im Bereich Powertrain hätte das sicher dramatische Auswirkungen. Allerdings hatten wir vor 20 Jahren diesen Bereich noch gar nicht im Land. Wir werden uns den Gegebenheiten sicher gut anpassen können – und schließlich werden die E-Fahrzeuge sich ja nicht überfallsartig durchsetzen.

Wie sieht es mit dem Brennstoffzellen-Auto aus, an dem in Graz ja auch intensiv geforscht wird?

Ritter: Ich bin ein großer Fan der Wasserstofftechnologie. Wir sind ein Land, in dem es im Winter kalt wird, allein da bietet die Brennstoffzelle einen entscheidenden Vorteil: Man kann mit ihrer Abwärme heizen, das gilt nicht nur für Fahrzeuge. Ich denke, dass die Brennstoffzelle bei Großfahrzeugen wie Bussen, aber auch Lkw rasch ihren Platz finden wird. Man muss kein so großes Gewicht an Akkus mitführen und hat keine langen Ladezeiten. Im Grunde ist die momentane Entwicklung ja absurd: Wir haben jahrzehntelang erfolgreich versucht, bei Autos das Gewicht zu reduzieren, und jetzt knallen wir diese Ersparnis mit Akkus voll.

Sie sehen für die Brennstoffzelle ein Einsatzgebiet jenseits von Fahrzeugen?

Ritter: Aber ja. Wasserstoff hätte ein großes Potenzial teilweise als Puffer für Photovoltaikanlagen. Er würde das Problem des Energieüberschusses bei Sonnen- und Windkraft leichter beherrschbar machen. Lagern kann man Wasserstoff auch in privaten Haushalten, zum Beispiel in Gasbündeln, über Brennstoffzellen kann man dann in der Nacht elektrischen Strom gewinnen und die Abwärme zur Warmwasseraufbereitung und zum Heizen nutzen. Gerade in Europa haben wir ein großes Potenzial für den Einsatz von Wasserstoff, weil wir relativ viel Ökostrom produzieren.

Die Steiermark ist offiziell Testregion für autonome Fahrzeuge. Bringt uns das Startvorteile bei dieser neuen Technologie?

Ritter: Der Status als Testregion ist ein ganz wichtiger Vorteil für uns. Egal von welcher Antriebstechnologie wir reden – und in 20 oder 30 Jahren könnte da sogar etwas kommen, woran wir heute nicht einmal denken – ist das autonome Fahrzeug ein zentraler Punkt einer neuen Mobilität. Wenn unsere Unternehmen schon jetzt die Möglichkeit haben, das sinnvoll zu testen, sind wir ganz weit vorne. Autonomes Fahrzeug und E-Mobilität – das sind gewaltige Innovationstreiber.

Was muss für diese beiden Bereiche an Infrastruktur aufgebaut werden?

Ritter: Für das autonome Fahrzeug braucht es eine flächendeckende Versorgung mit der 5G-Technologie. Anders lassen sich die nötigen Datenmengen nicht transportieren. Das wird auf den Autobahnen leichter realisierbar sein als in einem Seitental der Obersteiermark.

Wie sieht es bei den Ladestationen für E-Fahrzeuge aus?

Ritter: Da müsste man im Baurecht die entsprechenden Maßnahmen wie die dafür notwendige Stromversorgung eines Wohnprojekts verpflichtend vorschreiben. Bei den Tarifen haben wir derzeit die Situation, in der die Schigebiete vor Jahrzehnten waren: Jeder Lift hatte damals seine eigene Karte, bis man daraufkam, dass man sich zu Skiregionen mit einem Ticket zusammenschließen könnte und dann intern abrechnet. Ich glaube, beim Laden von E-Autos wird es eine ähnliche Entwicklung geben. Es wird nur mehr eine Karte dafür geben, die bei jedem Betreiber funktioniert. Das ist nur eine Frage des Marktdrucks.
Am elegantesten wäre es natürlich, wenn jeder, der eine Ladestation zur Verfügung stellt, dort auch jeden tanken lassen könnte. Der Energieversorger könnte den Strom direkt beim Endnutzer abbuchen und die entsprechende Menge dem Stationsbetreiber erst gar nicht verrechnen. Die digitalen Lösungen für so ein Verrechnungssystem gibt es ja längst. Viele würden dann Ladestationen einrichten, was einen großen Schub bei der Ladeinfrastruktur bringen würde.

Zurück zum Elektroauto. Geringe Reichweite bei hohem Anschaffungspreis – wie kann man die Menschen dazu motivieren, sich ein E-Fahrzeug zuzulegen?

Ritter: Man sollte das nicht nur streng wirtschaftlich betrachten. Klar ist, dass E-Fahrzeuge umso teurer sind, je geringer die produzierten Stückzahlen bleiben. Die staatliche Subvention ist momentan sicher der richtige Weg, den Umstieg auf diese Technologie voranzutreiben.

Wie werden sich neue Arten der Mobilität auf die Gesellschaft auswirken?

Ritter: Es wird unser Verhalten massiv verändern, weil die neue Mobilität anders und auch mehr sein wird als heute. Der öffentliche Verkehr wird komplett anders aussehen als jetzt. Man wird ganz kurzfristig voraussehen können, wie hoch der Bedarf auf einer Strecke ist. Das wird dazu führen, dass man nicht mehr einen 50-Sitzer bereitstellt, wenn ein Vier-Personen-Elektro-Shuttle reicht.
Das individuelle Mobilitätsbedürfnis wird auch in 10 oder 20 Jahren bestehen. Autos werden also nicht verschwinden. Es wird einen Mobilitätsmix geben und bei den Antriebsarten wird es ebenfalls eine ganze Palette von Varianten geben. Die Politik sollte nicht eine einzelne Technologie fördern, sondern einen offenen Wettbewerb zulassen – zwischen E-Autos, Brennstoffzelle, Hybridsystemen und Motoren mit synthetischen Kraftstoffen.

Herbert Ritter, Jahrgang 1965, hat die HTL absolviert und 1988 die M&R Automation gegründet. 2015 verkaufte er den Automationsspezialisten, der nun unter Pia Automation firmiert. Ritter ist auch Initiator der Plattform Automation und als Business Angel tätig. Seit heuer ist er Vizepräsident der WKO Steiermark.

Kontakt

http://wko.at/stmk

Fotocredit: Foto Fischer

 

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