Sirius Alex­an­der Pansi|

Die Kunst der Abwä­gung

Wert ist, was bleibt, wenn der Preis sich verabschiedet. Werte sind das, was bleibt, wenn der Applaus verstummt. Dazwischen verhandeln wir unser Leben, mal mit Taschenrechner, mal mit Gewissen, im besten Fall mit beidem.

Wer nur zählt, ver­fehlt. Wer nur glaubt, ver­liert den Bezug zur Rea­li­tät. Die Kunst liegt in der Abwä­gung, im prä­zi­sen Aus­ta­rie­ren von Ziel und Mittel, von Geschwin­dig­keit und Sorg­falt, von Frei­heit und Ver­ant­wor­tung.

Unsere Gegen­wart ver­führt zur Ver­mes­sung. Kenn­zah­len, Ran­kings, Ratings geben Halt, solange wir nicht so tun, als ließe sich Bedeu­tung in Dezi­mal­stel­len pressen. Ver­trau­en, Würde, Zuge­hö­rig­keit, Momente: Man kann sie indi­rekt erfas­sen, aber selten direkt und nie end­gül­tig. Umge­kehrt taugt Moral nicht als Geschäfts­mo­dell. Werte, die keine Wert­schöp­fung tragen, bleiben Vorsatz. Und Vor­sät­ze sind bekannt­lich die Fit­ness­a­bos des Denkens, gut gemeint, selten ein­ge­löst.

Europa kennt diese Span­nung aus seinem inners­ten Aufbau. Es wurde groß mit Ver­hand­lung, Ver­fah­ren und Ver­läss­lich­keit, Regeln, die die Schwä­che­ren schütz­ten und dem Ganzen Rich­tung gaben. Und wenn das Ringen um Eini­gung zu Lähmung und Still­stand führt? Kon­fu­zi­us hat’s trocken for­mu­liert: „Wenn über das Grund­sätz­li­che keine Einig­keit besteht, ist es sinnlos, mit­ein­an­der Pläne zu schmie­den.“ Unsere Aufgabe ist doppelt: über Grund­sätz­li­ches Einig­keit her­zu­stel­len und dann ent­schlos­sen zu handeln. Mit Zielen. Mit Mut. Mit Termin. Mit der lebens­fro­hen Dis­zi­plin eines Kon­ti­nents, der weiß, dass Frei­heit ihren Wert erst in stür­mi­schen Zeiten beweist.

Die Grenzen unserer Zeit ver­lau­fen nicht nur zwi­schen Staaten, sondern zwi­schen Werten und den darauf fußen­den Lebens­mo­del­len, zwi­schen Wer­tig­kei­ten und Prinzip, zwi­schen Tempo und Sorg­falt, zwi­schen kurz­fris­ti­ger Effi­zi­enz und lang­fris­ti­ger Resi­li­enz. Genau deshalb lohnt es sich, Linien nicht weg­zu­wi­schen, sondern sicht­bar zu machen und gemein­sam zu hin­ter­fra­gen. Damit wir sehen, was auf dem Spiel steht: unser Lebens­mo­dell. Dieses bedarf einer und bedingt eine Öko­no­mie, die trägt und Frei­heit ermög­licht, ohne zu ver­ar­men. Dies ist eine Ein­la­dung, Europa wieder so zu lesen, wie es gedacht war, als mutiges und zugleich update­fä­hi­ges Betriebs­sys­tem, das Werte und Wert­schöp­fung koppelt und gerade dadurch Wirkung ent­fal­tet.

Preis­schil­der sind gesprä­chig. Sie behaup­ten, etwas zu wissen, das wir angeb­lich nicht fühlen können: den Wert. Ein Flügel von Stein­way hat ein Preis­schild. Der Moment, in dem die Tochter darauf zum ersten Mal Bach feh­ler­frei spielt, hat keines. Preise sind präzise und oft daneben. Sie kal­ku­lie­ren Knapp­heit, aber nicht Sinn. Eine Pfle­ge­kraft, die in einer Nacht mehr Angst lindert als jede App, erzeugt Reich­tum, der in keiner Bilanz auf­taucht. Ein Daten­leck ver­nich­tet in Minuten, was Kun­den­ser­vice­teams über Jahre auf­ge­baut haben. Kapital kann gedul­dig sein, Ver­trau­en nicht. Richard von Weiz­sä­cker warnte: „Es wäre keine mensch­lich über­zeu­gen­de Gesell­schaft, der alles wertlos gilt, was nicht bezahlt wird.“ Der Satz ist älter als jede Platt­form und moder­ner als ihr Geschäfts­mo­dell.

Europa ohne sakrale Meta­pho­rik

Men­schen­rech­te, Umwelt­schutz, Ver­brau­cher­inter­es­sen, Libe­ra­li­tät, vor allem die Frei­heit, den eigenen Lebens­ent­wurf unge­straft zu ver­wirk­li­chen. Kein Duft aus dem Weih­rauch­fass, sondern der Herz­schlag eines Kon­ti­nents. Die Annahme, alle wollten so leben wie die Euro­pä­er, war char­mant und irrig. Macht nichts. Mit 450 Mil­lio­nen Men­schen und einer Kauf­kraft von 19,4 Bil­lio­nen US-Dol­la­rist die EU eine wirt­schaft­li­che Groß­macht. Und doch sind wir Welt­meis­ter im Selbst­ver­zwer­gen. Statt als Titan des Welt­han­dels zu agieren, debat­tie­ren wir zunächst den Tages­ord­nungs­punkt „Stimm­recht der Stimm­lo­sen im Aus­schuss für Aus­schüs­se“.
Das ist kein Plä­doy­er für Uni­for­mi­tät, sondern eine Ein­la­dung, den euro­päi­schen Kom­pro­miss als anspruchs­vol­le Kom­pe­tenz zu ver­ste­hen. Viel­falt bleibt ein Schatz. Aber wenn es um das große Ganze geht, darf Einig­keit keine Muse­ums­dis­zi­plin sein.

Die feine Umständ­lich­keit und ihre
Markt­macht

Europa gilt als kom­pli­ziert. Ist es auch. 24 Amts­spra­chen, 27 Inter­es­sen­la­gen, 108 Mei­nun­gen pro Tages­ord­nungs­punkt. Der büro­kra­ti­sche Reflex ist gefürch­tet: „Dafür gibt es sicher ein For­mu­lar.“ Und trotz­dem gelingt ein ele­gan­ter Trick: Wer in den Bin­nen­markt will, tanzt im Takt unserer Stan­dards. Der Brussels Effect ist kein Moral­thea­ter, sondern Aus­druck regu­la­to­ri­scher Markt­macht mit feiner, kaum ver­steh­ba­rer Ironie. Wir fragen nicht, ob du uns liebst, nur, ob dein Produkt unsere Steck­do­sen ver­steht. Ein CE-Zeichen ist keine Ikone, sondern ein Ver­spre­chen, dass Dinge funk­tio­nie­ren, heute und morgen.

Außen wird das gern miss­ver­stan­den. In Washing­ton heißt es Schwer­fäl­lig­keit, in Peking Markt­be­gren­zung, in Moskau Deka­denz. Wir nennen es Regeln, die die Schwä­che­ren schüt­zen. Die Frage ist nicht, ob wir recht haben, sondern ob wir recht­zei­tig wirken. Wir sind Meister darin, Einig­keit zu suchen, bis der Plan alt ist. Und doch: Einmal beschlos­sen, tragen unsere Normen weit. Ver­trau­en ist die einzige Ska­lie­rung, die mit­wächst, ohne zu reißen.

Das Kopp­lungs­prin­zip

Wert­schöp­fung ist die Vor­aus­set­zung, mit dem unsere Werte in die Zukunft getra­gen werden. Und Werte sind die Gram­ma­tik, die ver­hin­dert, dass aus Markt ein Jahr­markt wird. Wer glaubt, beides sauber trennen zu können, irrt mehr­fach. Ohne wirt­schaft­li­che Grund­la­ge bleiben Ideale Sonn­tags­re­den. Ohne Prin­zi­pi­en ver­kommt Wert­schöp­fung zur Gier. Ant­wor­ten ent­ste­hen nicht in Pre­dig­ten, sondern in der Praxis: testen, messen, kor­ri­gie­ren. Pro­gram­me, die nicht tragen, enden. Regeln, die nicht wirken, werden ver­ein­facht. Pro­jek­te, die zu groß sind, bekom­men Partner. Das ist kein Rückzug, das ist Betrieb.

Leis­tung muss sich lohnen, sonst wird’s Pose

„Leis­tung muss sich lohnen“ ist kein Stamm­tisch­satz, sondern eine Wahr­heit. Ange­mes­se­ne Aner­ken­nung, ja, auch finan­zi­ell, ver­hin­dert Zynis­mus, das Gift jeder Orga­ni­sa­ti­on. Wenn die, die ziehen, am Ende die­sel­be Aus­sicht haben wie die, die bremsen, beschleu­nigt niemand. Das Ergeb­nis: perfekt abge­gli­che­ne Mit­tel­mä­ßig­keit. Also hono­rie­ren wir, was trägt, in Unter­neh­men, For­schung, Pflege, Kultur. Gutes Hand­werk erzeugt stille Divi­den­den: weniger Aus­schuss, weniger Drama, mehr Ver­trau­en. Das schlägt sich im EBIT nieder, nur nicht immer im nächs­ten Quartal. Geduld ist eine Cash-Posi­ti­on.

Was teurer wird und was bil­li­ger

Werte wandeln sich. Neu ist die Takt­zahl: Digi­ta­li­sie­rung, Demo­gra­fie, Klima, Energie, Sicher­heit, Migra­ti­on. Der Wert der Arbeit ver­schiebt sich. Rou­ti­nen, die Maschi­nen besser aus­füh­ren, werden güns­ti­ger. Tätig­kei­ten, die Nähe, Urteil und Hand­werk brau­chen, werden wert­vol­ler. Das ist kein Drama, sondern eine Preis­lis­te im Umbau.

In Öster­reich wird Teil­zeit gern als Moral­fra­ge ver­han­delt, dabei ist sie primär eine Orga­ni­sa­ti­ons­fra­ge. Teil­zeit kann Pro­duk­ti­vi­tät bedeu­ten, wenn sie klug struk­tu­riert ist. Über­stun­den sind oft ein Symptom dafür, dass Abläufe nicht stimmen.

Inves­tie­ren heißt urtei­len

Jede Inves­ti­ti­on ist ein Wert­ur­teil. Wer in Halb­lei­ter, Biotech oder Ener­gie­wen­de inves­tiert, wettet nicht nur auf Rendite, sondern auf Zukunfts­fä­hig­keit. Wer Budgets für Kin­der­gär­ten, Musik­schu­len und Biblio­the­ken stärkt, inves­tiert in Dis­zi­plin, Aus­druck und Urteils­kraft. Beides rechnet sich, selten in Quar­ta­len, zuver­läs­sig in Gene­ra­tio­nen.

Privat gilt das­sel­be. Eine Geige im Kin­der­zim­mer ist keine Marotte, sondern eine Pro­duk­ti­vi­täts­ma­schi­ne mit Ver­zö­ge­rung. Ein Ver­eins­bei­trag bedeu­tet soziale Infra­struk­tur. Eine Pfle­ge­ver­si­che­rung ist Würde auf Abruf. Nicht alles zahlt sich in Euro aus. Aber ohne Euro fällt vieles aus.

Trans­fer von Werten: Brücke in die Zukunft

Werte wei­ter­zu­ge­ben, ist das Ansin­nen aller Eltern. Es geht darum, mora­li­sche wie mone­tä­re Werte zu bewah­ren und wei­ter­zu­rei­chen, die Basis zu legen für ein gutes Leben, viel­leicht auch für eine bessere Welt von morgen. Aus Nach­kom­men­schaft erwächst Hoff­nung auf Fort­set­zung und Wei­ter­ent­wick­lung dessen, was uns wert­voll erscheint. Wer Wert und Werte wei­ter­gibt, gestal­tet Zukunft aktiv mit und setzt, neben dem Erspar­ten und Geerb­ten, einen Fuß­ab­druck im Ideen­ho­ri­zont seiner Nach­fah­ren.

Para­do­xien, die man aushält

Frei­heit braucht Regeln. Wett­be­werb braucht Schieds­rich­ter. Nach­hal­tig­keit benö­tigt Ren­di­ten. Sou­ve­rä­ni­tät braucht Offen­heit. Diese Span­nun­gen sind keine Kon­struk­ti­ons­feh­ler, sie sind Kon­struk­ti­ons­prin­zi­pi­en. Wer sie auf­lö­sen will, ver­liert Wirk­lich­keit. Wer sie gestal­tet, gewinnt Hand­lungs­fä­hig­keit. Regeln ohne Durch­set­zung sind höflich, aber wir­kungs­los. Werte ohne Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit sind Poesie. Wert­schöp­fung ohne Werte ist schnell und kurz.

Und, ja, wir dürfen über uns lachen. Über Ver­ord­nun­gen, die länger sind als ihre Wirkung. Über Pilot­pro­jek­te, die ein Jahr­zehnt pilo­tie­ren und dann in Pension gehen. Humor ersetzt keine Reform, aber er hält das Hirn beweg­lich. Johann Nestroy hilft: „Das Tra­gi­sche an jeder Grenze ist nicht, dass sie trennt, sondern dass sie blind macht.“ Also nicht blind werden. Grenzen mar­kie­ren Zustän­dig­kei­ten, nicht End­sta­tio­nen. Werte mar­kie­ren Rich­tung, nicht Aus­re­den.

Schluss mit Aus­sicht

Wert ohne Werte wird zügig zynisch. Werte ohne Wert­schöp­fung rühr­se­lig und kurz­at­mig. Die Kunst liegt dazwi­schen, dort, wo Leis­tung sich lohnt, Stan­dards Ver­trau­en ska­lie­ren und der Mensch nicht zur Kenn­zahl schrumpft. Bezah­len wir gute Arbeit gut. Ver­ein­fa­chen wir Regeln, die nur doku­men­tie­ren, stärken wir jene, die wirk­lich schüt­zen. Inves­tie­ren wir in Vor­leis­tun­gen, die später Divi­den­de auf Zeit zahlen. Messen wir klug, nicht viel. Und erlau­ben wir uns das kleine Lächeln, das sagt: Wir wissen, wie kom­pli­ziert alles ist, und kriegen es trotz­dem ordent­lich hin.

Der Rest ist Hand­werk. Das Schöne daran: Man kann es lernen. Das Wert­vol­le daran: Es bleibt.

 

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