JUST-Redaktion|

Der Yippie-Yeah-Effekt

Arbeit ist einem radi­ka­len Wandel unter­wor­fen. New Work erfor­dert New Skills. Es gilt aber auch: Wenn immer mehr anstren­gen­de, mono­to­ne Vor­gän­ge von Maschi­nen erle­digt werden, rücken mensch­li­che Fähig­kei­ten wie Krea­ti­vi­tät und Empa­thie wieder in den Fokus.

Die Uni­ver­si­ty of Phoenix in den USA hat in der Studie „Future Work Skills 2020“ auf­ge­zeigt, welche Kom­pe­ten­zen in Zukunft gefragt sein werden: Anpas­sungs­fä­hig­keit, daten­ba­sier­tes Denken, soziale Intel­li­genz, vir­tu­el­le Zusam­men­ar­beit, mul­ti­me­dia­le Lese­fä­hig­keit, inter­kul­tu­rel­le Kom­pe­tenz, kri­ti­sches Denken, eine trans­dis­zi­pli­nä­re Her­an­ge­hens­wei­se, Design Thin­king und ein effi­zi­en­ter Umgang mit Arbeits­be­las­tung. So weit, so gut. Gleich­zei­tig befin­det sich das Ver­ständ­nis von Arbeit im Wandel – wenn man dem Mega­trend New Work Glauben schenkt. „Die klas­si­sche Kar­rie­re hat aus­ge­dient, die Sinn­fra­ge rückt in den Vor­der­grund“, kon­sta­tiert das Zukunfts­in­sti­tut. „Die ratio­na­le Leis­tungs­ge­sell­schaft des Indus­trie­zeit­al­ters mit Über­stun­den, Kon­kur­renz­kampf und Prä­senz­zei­ten hat sich als nicht zukunfts­fä­hig erwie­sen“, meinen zumin­dest die Zukunfts­for­scher. Der durch Corona beding­te Digi­ta­li­sie­rungs­schub fördere gleich­zei­tig neue Arbeits­struk­tu­ren. Und: „Unter­neh­mens­kul­tu­ren werden agiler und adap­ti­ver, während Mit­ar­bei­ten­de sich stärker als Pro­blem­lö­ser für gesell­schaft­li­che Zukunfts­auf­ga­ben sehen.“ Wenn das nicht gut klingt?

New Work bietet auch die Chance, indi­vi­du­el­le Poten­zia­le und Nei­gun­gen zu ent­fal­ten. Schon immer hat der Mensch sich am besten, erfolg­reichs­ten und zufrie­dens­ten gezeigt, wenn seine Arbeit seinen urei­gens­ten Bega­bun­gen, Werten und Visio­nen am nächs­ten kam. Dabei gilt aber auch – und das nicht erst seit die Frage wer­be­wirk­sam in diver­sen Medi­en­kam­pa­gnen auf­tauch­te: Was wären die großen Erfolge ohne die kleinen? Man kennt es ja aus dem gut über­schau­ba­ren, ganz per­sön­li­chen Rahmen: Ein Projekt zu Ende zu führen, schafft stets unge­mei­ne Befrie­di­gung.

Ja, mehr noch, ein Gefühl von Unab­hän­gig­keit, von Frei­heit, von Selbst­wirk­sam­keit. Yes, I can! – dieser Slogan hat einst schon Barack Obama ins Oval Office gespült. Es ist die Freude am Aus­pro­bie­ren, am Tüfteln, die Lust am Sel­ber­ma­chen – egal, ob zusam­men­bau­en, repa­rie­ren, umbauen, reno­vie­ren, auto­ma­ti­sie­ren. Gelingt die Umset­zung, stellt er sich unmit­tel­bar ein, der Yippie-Ai-Yeah-Effekt. Nicht nur im Bau­markt. Die Mög­lich­kei­ten dafür werden immer viel­fäl­ti­ger: Ob Hammer oder Löt­kol­ben, CNC-Fräse oder 3D-Drucker – der Zugang zu Geräten und Tech­no­lo­gien ist wesent­lich ein­fa­cher gewor­den. Jeder kann „einfach mal machen“. Davon zeugen viele offene Werk­stät­ten, in denen Inter­es­sier­te ihre Pro­jek­te umset­zen können. Ob Rapid Pro­to­ty­p­ing, also das schnel­le Her­stel­len von Model­len, egal, ob für ein Start-up oder nur ein Zier­ge­gen­stand aus dem 3D-Drucker – Platz ist für alle da. Die welt­wei­te Maker-Bewe­gung hat ihren Ausgang bereits 2002 am Mas­sa­chu­setts Insti­tu­te of Tech­no­lo­gy genom­men. Das moderne Fabri­ca­ti­on Labo­ra­to­ry hat längst in Maker­spaces, FabLabs und Hacker­spaces ihren Nie­der­schlag gefun­den. Es geht dabei für eine breite Nut­zer­schaft um das Erleb­nis, die Erfah­rung, die Emotion. FabLabs sind aber noch mehr. Sie fördern den Dialog quer durch alle Alters‑, Berufs- und Unter­neh­mens­schich­ten. Manch­mal sind Maker ein­falls­rei­cher als die Ent­wick­lungs­ab­tei­lun­gen großer Unter­neh­men, alter­na­ti­ve Her­an­ge­hens­wei­sen führen immer öfter vor Augen: Viele Wege führen zum Ziel.

Arno Aumayr, Gründer des Maker­space in Wien – mit fast 900 Qua­drat­me­tern einer der größten in Öster­reich – hat beob­ach­tet: „Wer aus einem bestimm­ten Beruf kommt oder in einem spe­zi­el­len Hand­werk tätig ist, macht in der offenen Werk­stät­te oft voll­kom­men kon­trä­re Pro­jek­te, um sich einfach in anderen Feldern aus­zu­pro­bie­ren.“ Gerade dieses bereichs­über­grei­fen­de Denken, der Blick über den Tel­ler­rand, macht für Aumayr die Fach­kraft der Zukunft aus. „Wir haben vor drei Jahren mit Lehr­lings­pro­gram­men in Koope­ra­ti­on mit Betrie­ben begon­nen. Meist bekom­men junge Men­schen ja gesagt, was sie zu tun haben. Um ein Projekt von Anfang bis Ende selbst umzu­set­zen, braucht es ein Zulas­sen und Zutrau­en gerade auch von­sei­ten der Aus­bil­der und Bestär­kung, damit sich die Krea­ti­vi­tät ent­fal­ten kann. Es ist immer wieder schön zu sehen: Nach dem ersten Schock samt anfäng­li­cher Über­for­de­rung beginnt bei den jungen Leuten der krea­ti­ve Prozess zu fließen.“

Jene, die bereits zur Nach­wuchs­eli­te gehören, wett­ei­fern dem­nächst in Graz bei den Euro­S­kills 2021 um den Euro­pa­meis­ter­ti­tel in einem von ins­ge­samt 45 Leh­reru­fen. Von 22. bis 26. Sep­tem­ber ver­sam­melt die erst­mals in Öster­reich statt­fin­den­de Berufs-EM rund 400 Teil­neh­mer aus 31 Ländern, Wett­be­werbs­schau­plät­ze sind die Stadt­hal­le Graz und das Schwarzl-Frei­zeit­zen­trum in Prem­stät­ten. Die Teil­neh­mer sind ent­we­der aus­ge­lern­te Fach­kräf­te oder Absol­ven­ten einer berufs­bil­den­den höheren Schule – und höchs­tens 26 Jahre alt. „Die qua­li­fi­zier­te Aus­bil­dung und unsere Young Pro­fes­sio­nals sind die
Zukunft der Länder, die Zukunft Europas. Gerade jetzt braucht es ein starkes Zeichen für die euro­päi­sche Jugend. Wir stehen in den nächs­ten Jahren vor enormen Her­aus­for­de­run­gen, die wir ohne den Nach­wuchs, ohne die Young Pro­fes­sio­nals in Europa nicht meis­tern können“, betont Josef Herk, der als Prä­si­dent der WKO Stei­er­mark die Euro­S­kills 2021 nach Graz geholt hat.

Das Fenster in die Zukunft steht auch hier offen: Im Fach­pro­gramm für Exper­ten steht das Kern­the­ma „Future of Skills“ im Ram­pen­licht. Deloit­te befrag­te heuer rund 23.000 junge Men­schen welt­weit, davon 500 in Öster­reich, zu ihrer aktu­el­len Lebens- und Arbeits­si­tua­ti­on. Die zen­tra­len Erkennt­nis­se: Die Mehr­heit der jungen Gene­ra­ti­on erkennt einen Wen­de­punkt bei gesell­schaft­li­chen Fragen, macht sich Sorgen um Umwelt, die finan­zi­el­le Situa­ti­on und Job­ver­lust und hat die psy­chi­sche Gesund­heit am Arbeits­platz als Tabu­the­ma iden­ti­fi­ziert. „Gerade deshalb wollen sie mehr denn je Ver­ant­wor­tung über­neh­men, um gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen hin zu mehr Gerech­tig­keit und Nach­hal­tig­keit vor­an­zu­trei­ben. Sie richten Konsum- und Kar­rie­re­ent­schei­dun­gen an ihren per­sön­li­chen Werten aus und erwar­ten von Unter­neh­men, dass kon­kre­te Taten gesetzt werden“, sagt Sabine Gries­ser, Senior Manager Human Capital bei Deloit­te Con­sul­ting. Auch sie bezeich­net Eigen­schaf­ten wie Anpas­sungs­fä­hig­keit und Lern­be­reit­schaft als essen­zi­ell im Berufs­le­ben.

„Fle­xi­bi­li­sie­rung ist eine neue kogni­ti­ve Anfor­de­rung“, betont Arbeits- und Orga­ni­sa­ti­ons­psy­cho­lo­ge Chris­ti­an Korunka. Der Vari­an­ten­reich­tum an Arbeits­for­men, Arbeits­or­ten und Arbeits­zei­ten hat Fahrt auf­ge­nom­men. Dafür brauche es aber ein hohes Maß an Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on, Selbst­ma­nage­ment und Selbst­kon­trol­le, so Korunka. Das birgt Chancen und Her­aus­for­de­run­gen. So werden Frei­heit und Auto­no­mie möglich, damit einher geht aber auch die Ent­gren­zung von Arbeit und Privat leben. Posi­ti­ves Poten­zi­al ist laut Zukunfts­in­sti­tut da: „Die ewige Suche nach der Balance zwi­schen Arbeit und Frei­zeit war stets kon­flikt­be­haf­tet, denn irgend­et­was kommt immer zu kurz. Work-Life-Blen­ding ent­zerrt diese Kon­flik­te. Wo die Grenze zwi­schen Arbeits- und Pri­vat­le­ben ver­schwin­det, können per­sön­li­che Bedürf­nis­se im Tages­ver­lauf besser berück­sich­tigt werden. Das schafft nicht nur Ent­span­nung und mehr Lebens­qua­li­tät, sondern stei­gert auch die Freude an der Arbeit.“

Glaubt zumin­dest der Experte. Ob der Yippie-Ai-Yeah-Effekt nicht doch nur auf den Bau­markt begrenzt bleibt, wird sich ohnehin zeigen. Wenn die Zukunft zur Gegen­wart gewor­den ist.

Text: Elke Jauk-Offner

Illus­tra­ti­on: Gernot Reiter

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