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Courage – Ein­tre­ten für das Rich­ti­ge

ku’ra:ʒə — Courage – kommt aus dem Fran­zö­si­schen und bedeu­tet so viel wie Mut oder Beherzt­heit. All­ge­mein als wert­vol­le Cha­rak­ter­ei­gen­schaft aner­kannt, ins­be­son­de­re als Zivil­cou­ra­ge gerne gewür­digt, ist Mut doch nicht ohne innere Wider­sprü­che.

Das Problem fängt schon damit an, dass keine klare, abge­zir­kel­te Defi­ni­ti­on von Mut exis­tiert. Was ist Mut? Was macht einen cou­ra­gier­ten Men­schen aus? Weit­ge­hend einig ist man sich darüber, dass Mut keine impul­si­ve Hand­lung dar­stellt, sondern eine bewuss­te Ent­schei­dung ist, die nach einem kür­ze­ren oder län­ge­ren Über­le­gen gesetzt wird. Grund­le­gend dabei: Man muss von der Rich­tig­keit des eigenen Han­delns über­zeugt sein. Angst und Mut sind übri­gens keine Wider­sprü­che – sie gehen Hand in Hand. Der Mutige tut etwas, obwohl er dabei nicht frei von Angst­ge­füh­len ist. Oder wie es in einem Apho­ris­mus heißt: „Helden sind nicht mutiger als normale Men­schen. Sie sind es nur fünf Minuten länger.“

Das Wort Mut stammt von indo­ger­ma­ni­schen „mo“ ab, das so viel wie sich mühen, nach etwas streben, starken Willens sein bedeu­tet. Im Ger­ma­ni­schen wurde „moda“ oder „modaz“ daraus, was Sinn, Mut, aber auch Zorn heißen kann. Das alt­hoch­deut­sche „muot“ wie­der­um kann Sinn ebenso meinen wie Kraft des Denkens oder Wollen. Erst im Hoch­mit­tel­al­ter geht die Bedeu­tung von „muot“ in die heutige Rich­tung, bringt gleich­zei­tig die Begrif­fe Übermut und Hochmut hervor, die mit dem auf­kom­men­den Raub­rit­ter­tum in Zusam­men­hang standen. Heute gibt es den Grund­be­griff Mut, der aller­dings oft in Wort­zu­sam­men­set­zun­gen näher defi­niert wird. Sanft­mut oder Hochmut, Wagemut oder Wan­kel­mut stehen für völlig unter­schied­li­che Ver­hal­tens­wei­sen.

Der Begriff Mut hat etwas gelit­ten, weil er oft mit dem Wort Hel­den­mut gleich­ge­setzt wurde, das vor allem im Mili­tä­ri­schen eine Rolle spielt. Um besser abgren­zen zu können, wurde die Bezeich­nung Zivil­cou­ra­ge geprägt. Wört­lich über­setzt bedeu­tet sie „Bür­ger­mut“ und meint eine all­täg­li­che Form des mutigen Han­delns. Letzt­lich ist Zivil­cou­ra­ge vor allem ein Nicht-Weg­schau­en, wenn Per­so­nen aber, auch Werte bedroht werden.

Geraten Per­so­nen in kör­per­li­che Gefahr, äußert sich Zivil­cou­ra­ge meis­tens spontan. Der Passant, der in einen eis­kal­ten Fluss springt, um ein Kind vor dem Ertrin­ken zu retten, ist ein Bei­spiel für diesen spon­ta­nen Mut. Deshalb wird Zivil­cou­ra­ge oft mit Hilfe gleich­ge­setzt, was sie aber nicht unbe­dingt sein muss. Auch wer in einer Dis­kus­si­on am Stamm­tisch mora­li­sche und ethi­sche Werte gegen­über der gegen­tei­li­gen Meinung der Gruppe ver­tei­digt, handelt im Grunde cou­ra­giert. Denn er nimmt mög­li­che Nach­tei­le in Kauf, um soziale und humane Werte zu wahren. Cou­ra­gier­te Men­schen achten nicht darauf, was alle anderen tun, sondern darauf, was sie selbst für richtig und wichtig halten.

Eine der schöns­ten – und wahr­schein­lich auch klügs­ten – Bei­trä­ge zum Thema ist der legen­dä­re Hol­ly­wood-Klas­si­ker „Der Zau­be­rer von Oz“ aus dem Jahr 1939. Darin helfen drei selt­sa­me Gesel­len der kleinen Dorothy (gespielt von Judy Garland) dabei, aus dem Zau­ber­land, in das ein Tornado sie ver­schla­gen hat, zurück nach Kansas zu gelan­gen. Es sind die hirn­lo­se Vogel­scheu­che, die sich Ver­stand wünscht, der see­len­lo­se Blech­mann, der ver­zwei­felt ein Herz möchte, und der feige Löwe, der endlich mutig sein will. Im Laufe der Hand­lung erkennt der Zuschau­er, dass die Vogel­scheu­che in Wahr­heit sehr klug agiert, der Blech­mann ein extrem mit­füh­len­des Wesen ist und der Löwe äußerst cou­ra­giert handelt. Vom großen Zau­be­rer erhält die Vogel­scheu­che ein Uni­ver­si­täts­di­plom, der Blech­mann eine Uhr in Herz­form und der Löwe einen Orden, was die drei Prot­ago­nis­ten davon über­zeugt, dass sie die von ihnen ersehn­ten Eigen­schaf­ten besit­zen. Sie haben den Beweis erbracht, dass Mut, Herz und Ver­stand zusam­men­wir­ken müssen, um Erfolg zu haben.

Um auf den mili­tä­ri­schen Mut, den Hel­den­mut, zurück­zu­kom­men, so ist dieser in Geschich­te und Mythen umfas­send doku­men­tiert. Es gibt Tau­sen­de von Bei­spie­len wie die legen­dä­ren 300, jene spar­ta­ni­schen Krieger, die sich im Jahr 480 vor Chris­tus in einem Engpass, den Ther­mo­py­len, einer eine Million Mann starken per­si­schen Über­macht ent­ge­gen­stell­ten. Wohl wissend, dass sie den Kampf weder über­le­ben und schon gar nicht gewin­nen konnten, ihre Tap­fer­keit aber die recht­zei­ti­ge Eva­ku­ie­rung Athens und damit letzt­lich den Sieg Grie­chen­lands über die per­si­schen Inva­so­ren ermög­li­chen werde.

Das Ereig­nis zeigt übri­gens schön, wie sehr Mut glo­ri­fi­ziert wurde und immer noch wird. Denn die his­to­ri­sche Wahr­heit ist weit weniger ein­drucks­voll. An den Ther­mo­py­len, damals ein stel­len­wei­se nur 15 Meter breiter Strei­fen zwi­schen Berg­hang und Meer, standen rund 6000 Grie­chen zwi­schen 50.000 und 250.000 Persern und deren Hilfs­trup­pen gegen­über. Immer noch ein gewal­ti­ger Unter­schied, aber natür­lich bei Weitem nicht so spek­ta­ku­lär wie in der Legende.

Gerade im Zusam­men­hang mit dem Mili­tä­ri­schen zeigt sich manch­mal ein wenig beach­te­ter Aspekt des Mutes, nämlich der Mut, etwas nicht zu tun. Gemeint ist die Befol­gung von Befeh­len, die den sim­pels­ten ethi­schen Grund­la­gen zuwi­der­lau­fen. Sattsam bekann­te Bei­spie­le sind der Befehl, die Zivil­be­völ­ke­rung als Rache für Par­ti­sa­nen­an­grif­fe zu mas­sa­krie­ren oder ange­sichts der dro­hen­den Nie­der­la­ge nur ver­brann­te Erde zu hin­ter­las­sen.

Beim Mut, solchen irr­sin­ni­gen Befeh­len nicht zu gehor­chen, schließt sich der Kreis zur Zivil­cou­ra­ge. Auch dort kann es Mut erfor­dern, nicht mit­zu­ma­chen, etwa wenn es darum geht, einen Mit­schü­ler zu mobben. Wer mit den Wölfen heult, gehört zur Gruppe. Sich am Mobbing nicht zu betei­li­gen, kann den Aus­schluss bedeu­ten, selbst bloße Pas­si­vi­tät erfor­dert also manch­mal Courage.

Wie sieht es aber mit Mut im Wirt­schafts­le­ben aus? Dort spielt er eine nur unter­ge­ord­ne­te Rolle – glaubt man zumin­dest diver­sen Ran­kings, in denen die wich­tigs­ten Eigen­schaf­ten für Fir­men­grün­der und ‑chefs auf­ge­lis­tet werden. Eigen­mo­ti­va­ti­on, Beharr­lich­keit und Selbst­ver­trau­en stehen da weit oben. Risi­ko­be­reit­schaft und Wiss­be­gier­de sowie Durch­set­zungs­ver­mö­gen sind eben­falls in den meisten Rang­lis­ten zu finden.

Es gibt sogar Men­schen aus der Praxis, die bei einer Unter­neh­mens­grün­dung Mut für kon­tra­pro­duk­tiv halten. Wer Courage mit einer Fir­men­grün­dung in Ver­bin­dung bringe, schätze das im Grunde als wag­hal­si­ges Unter­fan­gen ein, lautet die Argu­men­ta­ti­on. Und aus falsch ver­stan­de­nem Mut halte man in der Folge auch dann noch an der Geschäfts­idee fest, wenn sich diese als Irrweg her­aus­ge­stellt habe.

Dem wider­spre­chen die meisten Grün­der­zen­tren, die Jung­un­ter­neh­mern im Gegen­teil gezielt Mut machen wollen. Und Banken, die sich ange­hen­de Start-ups sehr genau ansehen, bevor sie bei der Finan­zie­rung mit­spie­len, betonen immer wieder, dass sich Courage für den ein­zel­nen Unter­neh­mer in der Regel durch­aus bezahlt macht. Es gibt sogar Aus­zeich­nun­gen für beson­ders mutige Unter­neh­mer. „Es braucht Mut, seine Visio­nen und Träume zu rea­li­sie­ren und ein Unter­neh­men zu gründen. Es braucht Mut, auch in stür­mi­schen Zeiten den eigenen Idealen und Über­zeu­gun­gen treu zu bleiben. Und es braucht Mut, sein Unter­neh­men auf Wachs­tums­kurs zu bringen“, heißt es etwa in der Aus­schrei­bung für den begehr­ten Unter­neh­mer­preis Entr­epe­neur Of The Year.

Viel­leicht hilft bei der Ein­ord­nung der sich wider­spre­chen­den Ansich­ten – die ja nicht nur in der Welt des Busi­ness exis­tie­ren – ein Mythos, der sich um das Thema Mut rankt: Nur wer toll­küh­ne Taten voll­bringt, ist wahr­haft mutig. Nicht viel könnte weiter von der Wahr­heit ent­fernt sein. Courage bedeu­tet nämlich genau nicht, unein­schätz­ba­re Risiken ein­zu­ge­hen – wobei die Beto­nung auf unein­schätz­bar liegt. Mut hat immer etwas mit Ver­nunft zu tun und Toll­kühn­heit schließt diese aus. Courage heißt, eine emo­tio­na­le Bar­rie­re zu über­win­den, etwas zu tun, das nicht ange­nehm, aber not­wen­dig ist.
Kal­ku­lier­te Risiken sind hin­ge­gen not­wen­dig, nicht nur im Busi­ness. Aller­dings mag der mensch­li­che Geist sie nicht. Psy­cho­lo­gen wissen, dass wir die Gefahr des Schei­terns deut­lich ernster nehmen als einen mög­li­chen Gewinn. Mög­li­che Gefah­ren werden unge­fähr doppelt so hoch bewer­tet wie Gewinn­chan­cen. Courage macht es möglich, diese Risi­ko­aver­si­on zu über­win­den.

Aber wie wird man mutig? Einer der wich­tigs­ten Schrit­te ist es Exper­ten zufolge, den Anspruch auf­zu­ge­ben, feh­ler­frei zu handeln. Dum­mer­wei­se werden wir alle bereits in der Schule darauf pro­gram­miert, Fehler zu ver­mei­den. Sie werden negativ bewer­tet, das „Rich­ti­ge“ hin­ge­gen wird belohnt. Leider ist es illu­so­risch, davon aus­zu­ge­hen, dass man niemals einen Fehler begeht.

Clevere Unter­neh­men haben das schon vor län­ge­rer Zeit erkannt. Sie ver­wen­den das „fail-forward-system“, um erfolg­rei­che Pro­duk­te zu ent­wi­ckeln. Zuerst wird ein gerade eben funk­ti­ons­fä­hi­ges Produkt her­ge­stellt, Unvoll­kom­men­hei­ten werden dabei nicht aus­ge­bü­gelt. Wird es gekauft, wird es jede Menge Kritik von Kunden geben. Aber anhand dieser erkennt der Her­stel­ler, in welche Rich­tung er nach­bes­sern muss. Ein typi­sches Bei­spiel ist die berühm­te „Banana-Soft­ware, die beim Kunden reift“. Sicher ärgern sich die Early Adopter, klar muss der Her­stel­ler etwas aus­hal­ten, wenn es Kritik hagelt. Am Ende aller­dings pro­fi­tie­ren beide: der Her­stel­ler, weil er sich teure Fehl­ent­wick­lun­gen spart, der Kunde, weil er eine Soft­ware in Händen hält, die das kann, was er wirk­lich braucht.

Ein Aspekt, den man beim Thema Mut nicht unter­schät­zen sollte, ist die Ermu­ti­gung. Ent­spre­chen­de Reden gibt es vor allem in der Mili­tär­ge­schich­te zuhauf, Napo­le­ons Anspra­che vor den Pyra­mi­den sei hier erwähnt oder Chur­chills legen­dä­re Radio­re­den während des Zweiten Welt­kriegs, die vor allem der Zivil­be­völ­ke­rung Zuver­sicht ver­mit­teln sollten. Weniger mar­tia­lisch, aber dafür umso wich­ti­ger ist die Ermu­ti­gung von Mit­ar­bei­tern, sie ist aus dem moder­nen Ver­ständ­nis von Moti­va­ti­on nicht weg­zu­den­ken.

Leider wird Ermu­ti­gung – nicht nur im Wirt­schafts­le­ben, aber beson­ders dort – oft mit Lob ver­wech­selt. So wichtig Aner­ken­nung ist, sie bezieht sich auf bereits Geleis­te­tes. Ermu­ti­gung hin­ge­gen zielt in die Zukunft, und die können wir noch ändern.

Illus­tra­ti­on: Gernot Reiter

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