Dr. Gerhard Pirker, Area Manager „Simulation-Based Development“ und Leiter des COMET-Moduls „LEC FFF – Future Fuel Fundamentals“, spricht im Gespräch mit JUST über leistungsstarke Simulationswerkzeuge, neue Kraftstoffe und zukunftsweisende Entwicklungen in der Motorentechnologie auf dem Weg zur Dekarbonisierung.
JUST / Herr Dr. Pirker, woran arbeiten Sie am Large Engines Competence Center?
Gerhard Pirker / Mein Team und ich sind verantwortlich für die Entwicklung von Simulationsmodellen und ‑methoden, um die Brennverfahrensentwicklung im Bereich Großmotoren speziell für neue Kraftstoffe voranzutreiben. Die innermotorische Verbrennung von Ammoniak, Methanol und Wasserstoff ist komplex und wenig erforscht, hier unterstützt und beschleunigt die Simulation mit entsprechenden Modellen das grundlegende Verständnis.
JUST / Sie arbeiten auch mit der Simulationsplattform LEC ENERsim. Was leistet diese?
GP / Mit unseren Simulationswerkzeugen modellieren wir nicht nur die motorische Verbrennung, sondern auch komplette Energiesysteme. Es ist grundsätzlich entscheidend, den Wirkungsgrad und die Emissionen eines Motors zu verbessern, doch ebenso wichtig ist das Zusammenspiel des Motors im Gesamtsystem mit anderen Energiewandlern, Speichern, Energiequellen und Verbrauchern. Dieses Zusammenspiel können wir mithilfe unseres Tools LEC ENERsim optimieren und daraus Aussagen zur technischen Performance sowie ökonomische und ökologische Bewertungen für bestehende wie auch in Planung befindliche Energiesysteme ableiten. Interessierte können auf unserer Plattform https://enersim.lec.at eine kostenlose Testlizenz erhalten.
JUST / Sie kombinieren auch physikalische Modelle mit datengetriebenen Methoden. Worin liegen die Vorteile?
GP / Datengetriebene Methoden ergänzen in unserer Arbeit physikalische Modelle dort, wo komplexe Phänomene nicht vollständig beschrieben werden können, und verbessern so unsere Modelle. KI-Tools wie Machine Learning gewinnen in diesem Zusammenhang zunehmend an Bedeutung. Das Zusammenspiel dieser Ansätze führt zu neuen Entwicklungen, von denen die Industrie sowie die Umwelt profitieren – insbesondere im Hinblick auf die Dekarbonisierung und die CO₂-freie oder ‑reduzierte Gestaltung der motorischen Verbrennung.
JUST / Womit befasst sich das COMET-Modul LEC FFF – Future Fuel Fundamentals?
GP / In diesem Modul erarbeiten wir die wissenschaftlichen Grundlagen für den Einsatz von Ammoniak als Kraftstoff in CO₂-neutralen Energie- und Transportsystemen. Wir haben uns auf Ammoniak fokussiert, weil dieser Kraftstoff äußerst zukunftsträchtig ist. Vor einigen Jahren haben wir am LEC in Graz die europaweit erste Ammoniak-Infrastruktur im Bereich Großmotorenforschung aufgebaut und frühzeitig begonnen, Know-how in diesem Bereich zu sammeln. Ammoniak enthält keinen Kohlenstoff, wodurch bei der Verbrennung kein CO₂ entsteht. Allerdings ist die Verbrennung von Ammoniak technisch anspruchsvoll und das Material hochkorrosiv, weshalb die Motoren entsprechend angepasst werden müssen. Das Modul bietet uns die Möglichkeit, die grundlegenden Prozesse eingehend zu erforschen sowie passende Simulationsmethoden und ‑modelle zu entwickeln.
JUST / Befassen Sie sich abgesehen vom Einsatz neuer Kraftstoffe auch mit anderen Möglichkeiten der Dekarbonisierung?
GP / Ja, wir betrachten das gesamte System. Dabei spielt auch „Carbon Capture“ eine wichtige Rolle – ein Verfahren, bei dem Kohlendioxid aus Abgasströmen entfernt und entweder in den Kreislauf zurückgeführt oder gespeichert wird. Obwohl dieses Thema in Österreich kontrovers diskutiert wird, sehen wir es als notwendig an, um die Dekarbonisierung rasch voranzutreiben. Es funktioniert vor allem kurzfristig, da am Motor selbst nur wenige Änderungen erforderlich sind. Voraussetzung ist jedoch eine entsprechende Infrastruktur, um das gefilterte CO₂ zu transportieren und in geeigneten Lagerstätten zu speichern.
JUST / Welche Ihrer Forschungsergebnisse werden wir in naher Zukunft im Alltag wiederfinden?
GP / Ich hoffe auf klimaneutrale Motoren, die mit Ammoniak, Methanol oder Wasserstoff betrieben werden und so zur Dekarbonisierung des Energie- und Transportsektors beitragen. Alle großen Motorenhersteller sind in diesem Bereich intensiv aktiv. Die Schifffahrt soll beispielsweise bis 2050 vollständig CO₂-neutral sein. In Anbetracht der langen Lebensdauer eines Schiffes wird deutlich: Die Motoren, die 2050 noch in Betrieb sind, werden jetzt produziert. Wichtig ist daher eine zeitnahe Umsetzung der aktuellen Forschungsergebnisse in die Praxis. Der Start durch die Industrie ist erfolgt, erste Wasserstoff- und Methanolmotoren sind schon im Einsatz, auch Ammoniakmotoren stehen in oder kurz vor der Demonstrationsphase.