Darm­mi­kro­bi­om als Schlüssel zu Prä­zi­si­ons­me­di­zin

Wirkung und Neben­wir­kun­gen von Medi­ka­men­ten: Spielt das Darm­mi­kro­bi­om eine Rolle? Das Grazer COMET-For­schungs­zen­trum CBmed arbeitet daran, diese Wis­sens­lü­cke zu schließen, um Prä­zi­si­ons­me­di­zin zu ermög­li­chen.

Das mensch­li­che Darm­mi­kro­bi­om – also die Gemein­schaft aller Mikro­or­ga­nis­men in unserem Darm – ist in den ver­gan­ge­nen Jahren in der bio­me­di­zi­ni­schen Forschung immer mehr in den Mit­tel­punkt des Inter­es­ses gerückt. In und auf jedem Menschen leben mehr Bakterien, als sein Körper Zellen hat.

„Unser Darm­mi­kro­bi­om beein­flusst Stoff­wech­sel, Immun­sys­tem und Organ­funk­tio­nen. In den letzten 15 bis 20 Jahren zeigten sich bei vielen Erkran­kun­gen relevante Zusam­men­hän­ge zwischen Krankheit, Medi­ka­men­ten­ein­nah­me und dem Mikrobiom“, erklärt Vanessa Stadl­bau­er-Köllner, Leiterin des Bereiches „Micro­bio­me research for precision medicine“ im COMET-Kom­pe­tenz­zen­trum CBmed.

Viele Erkran­kun­gen der west­li­chen Welt gehen mit einer Verarmung des Darm­mi­kro­bi­oms einher. Nicht nur die Erkran­kung selbst, sondern auch Lebens­stil, Ernährung und vor allem Medi­ka­men­te beein­flus­sen das Mikrobiom. Ob Magen­schutz, Blut­fett­sen­ker, Blut­druck­mit­tel oder Dia­be­tes­me­di­ka­men­te – kürzlich konnte gezeigt werden, dass jedes vierte Medi­ka­ment, das unter­sucht wurde, einen starken Einfluss auf das Wachstum und die Funktion wichtiger Bak­te­ri­en­stäm­me des mensch­li­chen Mikro­bi­oms hat. Ande­rer­seits kann mehr als die Hälfte der bisher unter­such­ten Medi­ka­men­te von Bakterien des Darm­mi­kro­bi­oms ver­stoff­wech­selt werden – was zu einer Stei­ge­rung der Wirkung oder zu einem Wir­kungs­ver­lust führen kann.

Ob der Einfluss von Medi­ka­men­ten auf das Mikrobiom in allen Fällen negativ ist oder viel­leicht die Wirk­sam­keit mancher Medi­ka­men­te maß­geb­lich durch die Effekte auf das Mikrobiom mit­be­stimmt wird, ist noch unklar. „Zusammen mit dem Wissen, dass die Hälfte der über 70-Jährigen fünf oder mehr Medi­ka­men­te einnimmt, wird aber klar, dass es zwingend notwendig ist, sich dieses Themas mit inno­va­ti­ven For­schungs­an­sät­zen anzu­neh­men“, erklärt Stadl­bau­er-Köllner.

Die medi­zi­nisch hoch relevante Frage, wie sich Medi­ka­men­te und das Darm­mi­kro­bi­om gegen­sei­tig beein­flus­sen, hat das Kom­pe­tenz­zen­trum für Bio­mar­ker­for­schung CBmed zum Anlass genommen, einen For­schungs­be­reich auf­zu­bau­en, in dem die Wech­sel­be­zie­hung zwischen Erkran­kun­gen, Medi­ka­men­ten und dem Mikrobiom unter­sucht wird, um medi­zi­ni­sche Behand­lun­gen präziser steuern zu können und damit Patienten besser und sicherer behandeln zu können.

Angela Horvath, Leiterin der Mikro­biom­platt­form bei CBmed, betont: „Es ist unbe­strit­ten, dass sich Medi­ka­men­te und das Mikrobiom wech­sel­wei­se beein­flus­sen und dadurch sowohl Wirk­sam­keit von Medi­ka­men­ten als auch Neben­wir­kun­gen beein­flusst werden können.“ Diese Wech­sel­be­zie­hung müsse daher in Zukunft sys­te­ma­tisch und bereits parallel zur Arz­nei­mit­tel­ent­wick­lung bedacht und unter­sucht werden, um eine optimale Wirk­sam­keit von Arz­nei­mit­teln bei niedrigem Neben­wir­kungs­po­ten­zi­al zu erzielen.

Thomas Pieber, wis­sen­schaft­li­cher Leiter von CBmed, weiß: „Dieses Thema wird in naher Zukunft auch in die regu­la­to­ri­schen Prozesse der Arz­nei­mit­tel­ent­wick­lung Einzug halten müssen. Bei zukünf­ti­gen Arz­nei­mit­tel­ent­wick­lun­gen wird schon in frühen Stadien unter­sucht werden müssen, wie sich das Mikrobiom und Medi­ka­men­te beein­flus­sen.“ Damit werde dann gewähr­leis­tet, dass Medi­ka­men­te optimal wirken und even­tu­el­le Neben­wir­kun­gen, die durch das Mikrobiom bedingt sind, recht­zei­tig erkannt und behandelt werden können.

CBmed, ein von der For­schungs­för­de­rungs­ge­sell­schaft (FFG) geför­der­tes Kom­pe­tenz­zen­trum für Bio­mar­ker­for­schung, hat im ver­gan­ge­nen Jahr in den tech­no­lo­gi­schen Aufbau einer Mikrobiom-Modu­la­ti­ons­platt­form inves­tiert. Kernstück dieser Plattform ist ein Bio­re­ak­tor­sys­tem, in welchem Stuhl­pro­ben für längere Zeit stabil kul­ti­viert werden können. Damit kann die Reaktion des Darm­mi­kro­bi­oms auf Medi­ka­men­te und die Ver­stoff­wech­se­lung von Medi­ka­men­ten durch das Darm­mi­kro­bi­om unter kon­trol­lier­ten Bedin­gun­gen unter­sucht werden. Irina Balazs, die für die Ent­wick­lung des Bio­re­ak­tor­mo­dells ver­ant­wort­lich ist, berichtet: „Es wurden inter­na­tio­nal schon zahl­rei­che Versuche unter­nom­men, ein Modell des mensch­li­chen Darm­mi­kro­bi­oms zu ent­wi­ckeln, aller­dings hat sich keines der Systeme für eine breite Anwendung durch­ge­setzt, vor allem, weil die Systeme nicht repro­du­zier­bar funk­tio­niert haben. Unser Modell zeichnet sich durch einen hohen Qua­li­täts­stan­dard aus und liefert ver­läss­li­che und repro­du­zier­ba­re Ergeb­nis­se. Dadurch kann dieses Modell auch von Indus­trie­part­nern in der Ent­wick­lung von Medi­ka­men­ten genutzt werden.“

CBmed mit seinem Standort am Campus der Meduni Graz trägt daher zur Wei­ter­ent­wick­lung der tra­di­tio­nell starken Mikro­biom­for­schung in Graz bei, indem das For­schungs­zen­trum die Lücke zwischen der Grund­la­gen­for­schung und der konkreten Anwendung von For­schungs­er­geb­nis­sen schließt. Stadl­bau­er-Köllner erklärt: „Die hoch­ka­rä­ti­ge tech­ni­sche Aus­stat­tung des Zentrums für Medi­zi­ni­sche Grund­la­gen­for­schung der Meduni Graz sowie die Mög­lich­keit, Proben von Pati­en­tin­nen und Patienten von unseren wich­tigs­ten For­schungs­part­nern, der Meduni Graz und der Meduni Wien, zu bekommen, ermög­licht uns, gemeinsam neue wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se im Bereich Mikro­biom­for­schung in die klinische Anwendung zu bringen und damit Menschen zu helfen.“

Robert Lobnig, CEO von CBmed, betont: „Durch die Inte­gra­ti­on der Mikro­biom­for­schung in unser Portfolio an inno­va­ti­ven For­schungs­me­tho­den können wir unserem Ziel, ange­wand­te Prä­zi­si­ons­me­di­zin für Pati­en­tin­nen und Patienten zu ermög­li­chen, einen Schritt näher­kom­men. Außerdem wächst unser For­schungs­zen­trum dadurch auch personell und wir bieten am Standort in Graz attrak­ti­ve Job­mög­lich­kei­ten im Bereich der bio­me­di­zi­ni­schen Forschung an.“

Kontakt:
CBmed GmbH
Center for Biomarker Research in Medicine
Stif­ting­tal­stra­ße 5, 8010 Graz
www.cbmed.at

Foto: Die Erfor­schung des Mikro­bi­oms im mensch­li­chen Darm soll Prä­zi­si­ons­me­di­zin möglich machen.

Foto­credit: CBmed

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