Im ewigen Eis

Er ist ein Grenzgänger, bestieg den Mount Everest in kurzen Hosen, lief einen Marathon in Shorts um den Polarkreis und hält den Rekord für die längste Zeit, die je ein Mensch im Eis verbrachte. Wim Hof, 64, vollbringt unglaubliche Dinge. Seine Botschaft: „Jeder kann, was ich kann. Es ist eine rein mentale Sache."
Fotocredit: Wim Hof Method Center, Enahm Hof

ES IST EIN reg­ne­ri­scher Tag in einem Rand­be­zirk von Berlin. Ein fast som­mer­lich anmu­ten­des Klima für einen Mann, der sonst das ewige Eis und Minus­gra­de gewohnt ist. Der Nie­der­län­der Wim Hof, 64, hält über 20 inter­na­tio­na­le Rekorde im Ertragen extremer Kälte. Er ist der lceman – und in mehr­fa­cher Hinsicht ein Phänomen. Ein Grenz­gän­ger, verehrt von Fans rund um den Erdball, die von seiner Wil­lens­stär­ke lernen wollen. Wim Hof bestieg den Mount Everest bis 7.400Meter Höhe in kurzen Hosen, tauchte mit 120 Metern die längste Distanz unter meter­di­ckem Eis, die je ein Mensch zurück­ge­legt hat, obwohl dabei seine Netzhaut einfror und er den Ausstieg beinahe nicht mehr fand. Er lief einen Marathon am Polar­kreis bei minus 20 Grad in Sandalen und kurzen Shorts, einen weiteren durch die Namib-Wüste, ohne dabei zu trinken, und hält den Welt­re­kord für die längste Zeit, die je ein Mensch im Eis verbracht hat, nur mit einer kurzen Short bekleidet: eine Stunde und 52 Minuten.

Jeder kann es schaffen

„Die Kälte, das ist mein Lehr­meis­ter“, erklärt Wim Hof im OOOM-Gespräch, „sie hat mir alles bei­gebracht.“ Seine Botschaft: Jeder kann es schaffen. Es ist eine rein mentale Sache, die Geis­tes­hal­tung ist ent­schei­dend: „Wenn wir unser Gehirn und unseren Willen kon­trol­lie­ren können, sind Dinge möglich, die wir bis dahin für unmöglich hielten – und das für jeden von uns.“

Atem, Kälte, Mindset

Seine Wim-Hof-Methode (WHM) fußt auf drei wesent­li­chen Praktiken: Atem. Kälte. Mindset. Mitt­ler­wei­le prak­ti­zie­ren Millionen Enthu­si­as­ten weltweit seine Methode, darunter auch viele Spit­zen­sport­ler und Top­ma­na­ger. Sie alle wollen ihren Körper und Geist kon­trol­lie­ren können, um so glück­li­cher, gesünder und bewusster zu leben. Wim Hofs Sohn Enahm Hof hat die weltweite Ver­mark­tung der Methode seines Vaters über­nom­men, es gibt mitt­ler­wei­le Bücher, Podcasts, Apps, Seminare, die WHM Academy, wo man sich zum Trainer ausbilden lassen kann, und sogar ein Wim-Hof-Comic.

Im Juni und Juli macht Wim Hof jeweils fünf­tä­gi­ge Seminare in Spanien, seine „Sommer-Expe­di­ti­on“, wo er die Methode ver­mit­telt und Menschen an die Grenzen ihres Körpers und ihres Geistes führt. Dazugibt es eigene „WHM Wochen­en­den“ im Wim Hof Method Center in den Nieder-landen, zwei­tä­gi­ge Trai­nings­la­ger, die eine intimere Erfahrung bieten als die Expe­di­tio­nen (das nächste am 20. und21. Mai). Bei der Wim-Hof-Methode geht es darum, „uns wieder zu verbinden: mit uns selbst, mit anderen und der Natur“ ‚sagt Hof. „Denn unser Lifestyle hat uns von der natür­li­chen Umwelt getrennt. Dadurch werden unsere uralten Über­le­bens­me­cha­nis­men nicht mehr ausgelöst und wir haben den Kontakt zu unserer inneren Kraft verloren.“ Das will Wim Hof ändern.

Im Interview mit Wim Hof:

Ihre Aktionen im kalten Eis erzeugen weltweit große Auf­merk­sam­keit. Was ist Ihre Botschaft?

WIM HOF /Was ich zeige, ist, dass wir alle in der Lage sind, viel mehr zu voll­brin­gen, als wir denken. Ich glaube fest daran, dass wir alle stark, glücklich und gesund sein können. Wir leben in großen Städten mit Hektik, Verkehr und her­aus­for­dern­den Situa­tio­nen. Während all dem müssen wir noch unsere Kin­der­groß­zie­hen. Da sind wir nun mit unserem Stress und können uns innerhalb dieses Drucks nicht mehr gut fühlen. Deswegen ist es sehr wichtig, zu zeigen, dass wir die Meister über unsere eigenen Gefühle sind. Wir sind die Alche­mis­ten unserer eigenen neu­ro­na­len Chemie und haben die Kontrolle, uns auch unter großem Stress und in extremen Situa­tio­nen gut zu fühlen.

Wie machen Sie das?

WH /Während ich eiskaltem Was­ser­aus­ge­setzt bin, kann ich dessen Aus­wir­kung auf meine Haut­tem­pe­ra­tur kon­trol­lie­ren, sie bleibt gleich. Einzig indem ich meine Auf­merk­sam­keit darauf lenke, kann ich wil­lent­lich die Hirn­re­gi­on akti­vie­ren, die für unsere Glücks­hor­mo­ne zuständig ist. Sich also gut und friedlich zu fühlen, während all dieser Stress­herrscht, das ist meine Antwort. Was ich gefunden habe, ist ein Weg, in die Tiefen unseres Selbst zu gehen.

Sie glauben, dass jeder das kann?

WH /Ja. Es ist ein Weg, wie Menschen positive Gefühle selbst erzeugen und in die Hand nehmen können. Wenn wir in der Lage sind, diese Fähig­kei­ten wei­ter­zu­ge­ben, dann ist all diese Hetzerei nach Geld nicht mehr so wichtig.

Wie funk­tio­niert das in der Praxis?

WH /Setz oder lege dich bequem hin. Atme tief ein, so tief du kannst. Dann lass den Atem los, aber atme nicht komplett aus. Wie­der­ho­le das ca. 30-mal. Du fühlst dich viel­leicht etwas schwin­de­lig. Nachdem letzten Ausatmen halte die Luft an, so lange, wie es für dich angenehm ist. Dann atme tief ein und halte die Luft für circa 20 Sekunden an. Wie­der­ho­le den Ablauf dreimal. Auf keinen Fall darfst du diese Übung machen, während du Auto­fährst oder im Wasser bist.

Welche Rolle spielt die Kälte dabei?

WH /Sie ist eine Kraft außerhalb deines Körpers, die nor­ma­ler­wei­se feindlich ist. Aber wenn du regel­mä­ßig trai­nierst mit ihr umzugehen, kannst du sie plötzlich ertragen. Die 125.000 Kilometer deines Gefäß­sys­tems, all die Kapil­la­ren, Arterien, Adern, die pri­mi­ti­ven Muskeln und Reflexe, werden dadurch optimiert. Plötzlich braucht dein Herz weitaus weniger Schläge für die Durch­blu­tung. Das bedeutet eine Menge weniger Stress.

Welche Rolle spielt das Mindset dabei?

WH /Der physische Teil unseres Geistes, unserer Seele, ist das Gehirn. Indem wir unseren Geist auf die richtige Weise steuern, akti­vie­ren wir die richtigen Hormone, Endor­phi­ne, Dopamine und Serotonin. Den Geist dazu erwecken, die Kontrolle über die eigenen Gefühle zu erlangen, glücklich, gesund und stark zu werden, ist dabei das Ziel.

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