Krea­ti­vi­tät kennt keine Krise

Alle reden von Krea­ti­vi­tät: Sie soll der Booster sein, der Trou­ble­shoo­ter, der Wun­der­wuz­zi und natürlich auch die Kri­sen­feu­er­wehr in eben dieser. Was aber genau bedeutet Krea­ti­vi­tät in der Wirt­schaft? Welche Rolle spielt sie tat­säch­lich? Und warum ist es an der Zeit, auf Lip­pen­be­kennt­nis­se („so wichtig“, „so zukunfts­wei­send“, „so innovativ“…) zu ver­zich­ten und statt­des­sen konkret zu handeln? Auskunft darüber gibt Eberhard Schrempf, Geschäfts­füh­rer der Creative Indus­tries Styria.

„Die Krise“ hat auch vor der Krea­tiv­bran­che nicht halt­ge­macht. Was zählt eigent­lich genau zur Krea­tiv­wirt­schaft?

Dazu gehören unter­schied­li­che Branchen, von der Archi­tek­tur bis zur Werbung. Besonders wichtig ist der gesamte Design­be­reich – zum Beispiel Interior, Fashion und Grafik, aber auch Industrie- und Pro­dukt­de­sign oder Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Ser­vice­de­sign. Krea­tiv­wirt­schaft ist also per Defi­ni­ti­on ein Zweig, in dem schöp­fe­ri­sche Qualität die zentrale Rolle spielt, also die Erschaf­fung von etwas, das es vorher in dieser Form noch nicht gegeben hat. Das ist keine Erfindung der Moderne, sondern Teil der gesamten mensch­li­chen Evolution: Neues ist auto­ma­tisch kreativ, weil es eben vorher so noch nicht da war.

Warum boomen die Creative Indus­tries?

Die Krea­tiv­wirt­schaft oder die Creative Indus­tries treffen seit mitt­ler­wei­le gut zwei Jahr­zehn­ten den Nerv einer Ent­wick­lung, die zumeist als Übergang von einer Pro­duk­ti­ons­ge­sell­schaft hin zu einer Wissens- und Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft bezeich­net wird. An den Rei­bungs­punk­ten dieser Ent­wick­lung entsteht ein neues Bewusst­sein über den Wert und die Bedeutung von Arbeit, über den Umgang mit Res­sour­cen, über Umwelt, Natur und ihren Schutz, folglich über Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se und vieles mehr. Das ist nicht mehr und nicht weniger als ein Para­dig­men­wech­sel und die Krea­tiv­wirt­schaft ist dabei nicht nur Beglei­te­rin an vor­ders­ter Front, sondern auch Impuls­ge­be­rin und Umset­ze­rin. Sie nutzt die trans­for­ma­ti­ve Kraft der Krea­ti­vi­tät, um neue Produkte, Dienst­leis­tun­gen und Services entstehen zu lassen.

Welche Rolle spielt die Creative Indus­tries Styria?

Die Creative Indus­tries Styria begleitet und befeuert diesen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess und bringt Akteure aus der Krea­tiv­wirt­schaft und aus der klas­si­schen Wirt­schaft zusammen. In der Praxis sieht das so aus, dass wir die Ver­net­zung durch unsere Projekte und Initia­ti­ven vor­an­trei­ben. Wir sind erster Ansprech­part­ner für Unter­neh­men, die Krea­ti­vi­tät und vor allem Design aktiv in ihre Strategie einbinden wollen, und zwar nicht um Vor­han­de­nes schön und bunt und lustig aussehen zu lassen, sondern um Neues zu schaffen, um innovativ zu werden oder zu bleiben und damit die Wett­be­werbs­fä­hig­keit zu sichern.

Wie lässt sich die inno­va­ti­ve Kraft der Krea­tiv­wirt­schaft über­re­gio­nal und trans­na­tio­nal bündeln, vor allem auch vor dem Hin­ter­grund einer gesamt­eu­ro­päi­schen Per­spek­ti­ve?

Die Kom­mis­si­ons­prä­si­den­tin der Euro­päi­schen Union, Ursula von der Leyen, hat vor Kurzem damit auf­hor­chen lassen, dass sie sich ein „neues Bauhaus“ für Europa wünscht. Europa sei neu zu denken, um den aktuellen Her­aus­for­de­run­gen ent­ge­gen­zu­tre­ten, Stichwort Kli­ma­wan­del oder Resilienz der Öko­sys­te­me. Das Inter­es­san­te daran: Sie versteht darunter ein dezidiert kul­tu­rel­les Projekt im Sinne einer dis­zi­pli­nen­über­grei­fen­den Kraft­an­stren­gung von Exper­tin­nen und Experten auf allen Gebieten. Das ist eine starke Vorgabe von höchster Stelle gewis­ser­ma­ßen und es unter­streicht, dass es Koope­ra­ti­on und Kol­la­bo­ra­ti­on quer durch die Dis­zi­pli­nen und die Länder braucht, um eine Trend­wen­de ein­zu­lei­ten. Etwas, was die Krea­tiv­wirt­schaft seit jeher macht!

Apropos Trends: Welche Bedeutung haben Mega­trends wie Nach­hal­tig­keit, Digi­ta­li­sie­rung und Urba­ni­sie­rung für die Krea­tiv­wirt­schaft?

Krea­ti­vi­tät ist unmit­tel­bar mit jenen Dis­zi­pli­nen verknüpft, die uns technisch in die Zukunft begleiten. Bei­spiels­wei­se Green Tech: Nach­hal­ti­ge Tech­no­lo­gien, von Pho­to­vol­ta­ik bis hin zu neu­ar­ti­gen Fahr­zeu­gen und Mobi­li­täts­kon­zep­ten für den urbanen Raum, und der Fokus auf erneu­er­ba­re Energien schaffen Nachfrage nach neuen Produkten, sie brauchen neue Prozesse, neue Denk­wei­sen. Alte Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se werden zunehmend abgelöst, es geht verstärkt um nach­hal­ti­ge Kreis­lauf­wirt­schaft. Das alles sind grund­le­gen­de Ver­än­de­run­gen mit einem stark dis­rup­ti­ven Aspekt, sprich: Nichts bleibt, wie es war. Die Krea­tiv­wirt­schaft ist hier unmit­tel­bar gefordert und sie kann diesen Wandel begleiten. Dabei hat sie einen großen Vorteil: Das Neue zu denken ist ihr nicht fremd. Sie muss auch nicht mit neuen Tech­no­lo­gien mithalten – denn sie gestaltet diese selbst!

Welche Rolle spielt Covid-19 in diesem Zusam­men­hang?

Die aktuellen Ent­wick­lun­gen beschleu­ni­gen natürlich Prozesse, die schon länger unter­schwel­lig vor sich hin brodeln. Das Kauf­ver­hal­ten, der Konsum, ja, die gesamte Lebens­füh­rung sind getragen von einer neuen Awareness, einem neuen Bewusst­sein und dieses Bewusst­sein weist eindeutig in Richtung Qualität. Nicht immer mehr vom ewig Gleichen und Durch­schnitt­li­chen, sondern das Beste, aber in Maßen. Das ist ein Lebens­ge­fühl, vor allem in der jüngeren Gene­ra­ti­on, das ganz auto­ma­tisch zu einem gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Umdenken führt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Haltung gesell­schaft­li­cher Konsens sein wird. Darauf müssen wir vor­be­rei­tet sein.

Wie sehen mögliche Wege aus der Krise aus Sicht der Krea­tiv­wirt­schaft aus?

Ohne die Rede von der „Krise als Chance“ stra­pa­zie­ren zu müssen: Kreative Arbeit ist ja ganz auto­ma­tisch auch dadurch definiert, dass sie den Weg aus einer Man­gel­si­tua­ti­on weist. Denn Krea­ti­vi­tät löst Probleme. So gesehen ist die Krea­tiv­wirt­schaft wohl der Bereich mit der größten Expertise im lösungs­ori­en­tier­ten Umgang mit Her­aus­for­de­run­gen.

Foto: EBERHARD SCHREMPF ist seit 2007 Geschäfts­füh­rer der Creative Indus­tries Styria. Zuvor war er unter anderem Geschäfts­füh­rer von Graz 2003 – Kul­tur­haupt­stadt Europas sowie
tech­ni­scher Direktor beim Avant­gar­de-Festival stei­ri­scher herbst.

Foto­credit: Geopho

Ent­gelt­li­che Medi­en­ko­ope­ra­ti­on. Die redak­tio­nel­le Ver­ant­wor­tung liegt beim JUST.

Weitere Beiträge

Hightech trifft Nach­hal­tig­keit

Virtuelle Ent­wick­lung für Was­ser­stoff­sys­te­me: Was­ser­stoff gilt als zentraler Faktor für eine kli­ma­neu­tra­le Zukunft und als grüner Ener­gie­trä­ger für die Bereiche Energie, Industrie und Mobilität von morgen.

Story lesen

Raum Körper Form

Die Aus­stel­lung ­RAUM//KÖRPER//FORM ver­sam­melt bedeu­ten­de Posi­tio­nen der zeit­ge­nös­si­schen Kunst, um das komplexe Zusam­men­spiel von Raum, Körper und Form in Malerei und Skulptur aus­zu­lo­ten.

Story lesen

Hightech trifft Nach­hal­tig­keit

Virtuelle Ent­wick­lung für Was­ser­stoff­sys­te­me: Was­ser­stoff gilt als zentraler Faktor für eine kli­ma­neu­tra­le Zukunft und als grüner Ener­gie­trä­ger für die Bereiche Energie, Industrie und Mobilität von morgen.

Story lesen