Ruder­par­tie in stür­mi­schen Zeiten

Für das Funktionieren einer Gesellschaft hat ein Zusammenspiel von Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur noch nie geschadet. Warum es also nicht weiter versuchen?
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Irgend­wann im 19. Jahr­hun­dert hatte sich das mit den Uni­ver­sal­ge­lehr­ten auch erledigt. Das Wissen in den einzelnen Fach­dis­zi­pli­nen hatte derart zuge­nom­men, dass eine all­um­fas­sen­de Kenntnis in einem sin­gu­lä­ren Men­schen­hirn nicht mehr möglich war. Ob ChatGPT die Nachfolge von Namen wie Aris­to­te­les, Leonardo da Vinci, Gottfried Wilhelm Leibniz oder Johann Wolfgang von Goethe antreten kann, wird gerade in Echtzeit geprobt. Abseits genialer Gene­ra­lis­ten von einst und all­wis­sen­der Algo­rith­men von morgen hat sich als belast­ba­res Modell der All­tags­be­wirt­schaf­tung in der Zwi­schen­zeit die Spe­zia­li­sie­rung in einzelne Fach­ge­bie­te bewährt: Es gibt – ver­ein­facht – die Wirt­schaft, die Wis­sen­schaft und die Kultur, die eine Gesell­schaft prägen und stützen, samt aller­mög­li­chen Zwi­schen­stu­fen und Über­schnei­dun­gen. Gerade auch in diesen Grenz­re­gio­nen wächst das Originäre einer Gesell­schaft. Das „Dazwi­schen“ ist ein wesent­li­ches Fundament für den Fort­schritt. Aber auch Humus für Miss­ver­ständ­nis­se. Woran liegt das? Und wie lassen sie sich ausräumen? Nicht dass Reibung nicht Wärme entstehen lassen kann und das kreative Potenzial von Kon­fron­ta­ti­on und Kon­flik­ten unter­schätzt werden soll– aber einfacher geht es im Dis­kur­si­ven und Kon­struk­ti­ven. Woran also scheitert es? Und wie kann es besser gemacht werden?

Im gemein­sa­men Durch­leuch­ten des Status quo nach Synergien und Stol­per­stei­nen stößt man dabei bisweilen auf Über­set­zungs­schwie­rig­kei­ten bezie­hungs­wei­se unter­schied­li­che „Wäh­rungs­sys­te­me“: Selten, dass ein Künstler öko­no­misch denkt, Wis­sen­schaft­ler rechnen eher in Publi­ka­tio­nen und nicht in For­schungs­kos­ten, der unter­neh­me­ri­sche Alltag dagegen basiert vor allem auf einem Kal­ku­lie­ren mit Gewinnen und Verlusten. Das passt nicht immer zusammen. In allen drei Bereichen zeigen sich aber auch deckungs­glei­che Bedürf­nis­se und Blockaden. In der Kultur wie der Wis­sen­schaft geht es abseits der holden Kunst und reinen Lehre um das Erschlie­ßen von Finan­zie­rungs­quel­len von außen, bei Unter­neh­men um das betriebs­wirt­schaft­li­che Nutzen von Soft Skills, die der Kunst­be­trieb liefert, und neue Denk­an­sät­ze, die aus der Forschung kommen. Da exis­tie­ren abseits puris­ti­schen Dis­zi­pli­nen denkens viele prag­ma­ti­sche Über­schnei­dun­gen, da gibt es wenig Tren­nen­des und viele Treff­punk­te.

Da wie dort braucht es Freiräume für Inno­va­ti­on, da wir dort liegt dem Suchen nach Dis­rup­ti­vem Krea­ti­vi­tät zugrunde. Immer gleicht es einem Kratzen an ein­ge­fah­re­nen Struk­tu­ren. Immer ist es eine Einladung, unter die Ober­flä­che zu schauen und nach neuen Lösungen für alte Probleme zu suchen bezie­hungs­wei­se Routinen auf deren Brauch­bar­keit für künftige Her­aus­for­de­run­gen abzu­klop­fen. Alles mühsam, alles kost­spie­lig, alles mit der Gefahr zu scheitern verbunden. Aber alles lebens­not­wen­dig für einen pro­spe­rie­ren­den Wirt­schafts­stand­ort. Im Strom stür­mi­scher Ent­wick­lun­gen und wilden Wel­len­gang rudert es sich leichter in eine gemein­sa­me Richtung.

Wis­sen­schaft, Wirt­schaft und Kultur gelten als tragende Säulen der Gesell­schaft. Alle drei stützen sich auf Krea­ti­vi­tät. Aber was bringt und kostet das? Und warum sollen wir uns das leisten?

Sind wir tat­säch­lich eine Kul­tur­na­ti­on oder glauben wir nur, eine zu sein?

RINNER /Wir sind im inter­na­tio­na­len Vergleich unbedingt eine Kul­tur­na­ti­on. Dies­be­züg­lich leben wir auf einer Insel der Seligen. Man darf bei­spiels­wei­se nicht vergessen, wie viele Men­schen­welt­weit das Neu­jahrs­kon­zert anschauen, wie viele Theater es in diesem Land gibt, die immer wieder viele Besu­cher­an­zie­hen. Es wird also ein exis­tie­ren­des Bedürfnis bedient: Kultur ist eine Art Lebens­mit­tel.

Aber wie wichtig ist Kultur für einen Wirt­schafts­stand­ort? Ist sie mehr als nur der Zucker am Kuchen?

RINNER /Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, sie ist nur die Gar­nie­rung. Aber de facto gehört sie zu den Soft Skills eines Standorts. Unter­neh­men, die Mit­ar­bei­ter aus der ganzen Welt in die Stei­er­mark holen, zeigen mitt­ler­wei­le auch ein gestei­ger­tes Interesse an einem ent­spre­chen­den Angebot für ihre Mit­ar­bei­ter und deren Familien. Die Sen­si­bi­li­tät für die Bedeutung von Kunst und Kultur ist bei den Unter­neh­men ange­kom­men. Kunst und Kul­tur­sind ein Ansied­lungs- und damit ein Wirt­schafts­fak­tor. Umgekehrt gehört es zum Selbst­ver­ständ­nis einer mit­tel­eu­ro­päi­schen Stadt, sich ein Opernhaus, ein Schau­spiel­haus oder ein Jugend­thea­ter zu leisten. Wenn man daran spart, spart man an der Stand­ort­qua­li­tät.

LECHNER /Kultur ist wichtig und auch die Wirt­schaft pro­fi­tiert davon –und umgekehrt. Das bemerkt man oft erst, wenn eines davon ver­schwin­det. Geht es den Menschen wirt­schaft­lich gut, dann haben sie mehr Mittel für Freizeit- und Kul­tur­ange­bo­te zur Verfügung, was sich positiv auf die Schaffung eines breiten kul­tu­rel­len Angebotes auswirkt. Und eine lebendige Kul­tur­sze­ne ist ein wichtiger Faktor, Orts­zen­tren zu beleben und junge Menschen in der Region zuhalten. Gibt es funk­tio­nie­ren­de Struk­tu­ren mit Vereinen, Kul­tur­ange­bo­ten, Job­per­spek­ti­ven und Geschäf­ten in den Zentren, wandert die Bevöl­ke­rung nicht ab. Das hilft gegen die Land­flucht und damit auch gegen den damit ein­her­ge­hen­den Fach­kräf­te­man­gel in den Regionen. Und auch die Neben­ef­fek­te eines breiten Kul­tur­ange­bo­tes sind enorm, vor allem Gas­tro­no­mie, Hotel­le­rie oder der Handel pro­fi­tie­ren stark von einem viel­fäl­ti­gen Angebot

Wie sehr braucht umgekehrt die Kul­tur­ei­nen pro­spe­rie­ren­den Standort? Funk­tio­niert Hoch­kul­tur nur in Ver­bin­dung mit Hoch­kon­junk­tur?

RINNER /Nein, das Theater hat im Laufe seiner über 2000-jährigen Ge-schichte alle Krisen überlebt und wird es auch die nächsten 2000 Jahre tun. Kunst wird es so lange geben, solange es eine kreative Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Sein gibt

Was den Kul­tur­be­trieb mit der Wis­sen­schaft verbindet, ist das Faktum, dass beide der öffent­li­chen Hand viel Geld­kos­ten. In einer Zeit, die von Teue­run­gen geplagt, von Spar­not­wen­dig­kei­ten geprägt und nicht zuletzt von Neid getrieben ist: Wie lange soll und kann sich eine derartige Gesell­schaft noch einen Wis­sen­schafts­be­trieb leisten?

SCHOBER /Ich hoffe, sie leistet sich das immer – es sei denn, sie will ihren eigenen Abgesang einläuten. Die Frage ist nicht, ob man sich Wis­sen­schaft leistet, sondern eher, ob man sich ein breites Portfolio von Wis­sen­schaft leistet – und zwar von der Grund­la­gen­wis­sen­schaft bis zur ange­wand­ten Forschung. Wenn wir aber Fach­kräf­te und eine Inno­va­ti­ons­ket­te in die Zukunft brauchen, dann brauche ich wis­sen­schaft­li­che Forschung in einer Gesell­schaft und an einem Standort unbedingt, da man nur so Fachleute – auch aus angren­zen­den Dis­zi­pli­nen – bekommt.

Ein Beispiel, bitte!

SCHOBER /Wenn uns die Demo­kra­tie um die Ohren fliegt, dann hilft mir der beste indus­tri­el­le Prozess nichts mehr, weil man nicht mehr sicher pro­du­zie­ren kann. Dann wären bei­spiels­wei­se gerade die Sozi­al­wis­sen­schaf­ten wichtig, die eine Beschrei­bung der Gesell­schaft und das „Funk­tio­nie­ren“ der Menschen erklären können und Wege aufzeigen, wie möglichst viele Menschen in Par­ti­zi­pa­ti­on gehalten werden können.

LECHNER /Unsere Unter­neh­men inter­es­sie­ren sich ja nicht nur für Umsatz­zah­len und das Brut­to­in­lands­pro­dukt, sondern auch für weiche Faktoren. Diese Fragen können Sozi­al­wis­sen­schaf­ten aufwerfen und Antworten erar­bei­ten. Und was die Kosten des Wis­sen­schafts­be­trie­bes für die Gesell­schaft betrifft: Gera­de­durch die her­vor­ra­gen­de Forschung ins­be­son­de­re im tech­no­lo­gi­schen und medi­zi­ni­schen Bereich und die Vielzahl an darauf auf­set­zen­den Koope­ra­tio­nen zwischen Wis­sen­schaft und Wirt­schaft steht Öster­reich im inter­na­tio­na­len Vergleich so gut da.

Derartige Erklä­run­gen und Über­set­zun­gen kommen aber nicht immer beim Adres­sa­ten an. Statt­des­sen herrscht eine enorme Wis­sen­schafts­skep­sis. Warum ist das so?

SCHOBER /Österreich war nie ein wis­sen­schafts­af­fi­nes Land. Die Menschen fühlen sich eher der Kultur zugewandt. Wir haben da gegenüber anderen einen unter­schied­li­chen Kultur- und Wer­tig­keits­be­griff.

Bereitet es Ihnen als Kul­tur­ma­na­ger Sorgen, dass gerade sehr intensiv MINT-Fächer pro­pa­giert werden, also junge Menschen für Fächer abseits des Kunst-und Kul­tur­be­triebs begeis­tert werden sollen?

RINNER /Ich befürchte eher, dass durch die Nachfrage aus der Wirt­schaft bei­spiels­wei­se Fach­kräf­te im Bereich Haus­tech­nik abge­wor­ben werden. Es ist ein unglaub­li­cher Wett­be­werb ent­stan­den, der uns alle erfasst und in dem wir gegenüber der Wirt­schaft nicht kon­kur­renz­fä­hig sind.

LECHNER /Dieses Ungleich­ge­wicht betrifft alle – egal in welcher Branche. Auch Klein- und Mit­tel­be­trie­be können oft nicht mit dem Lohn­ni­veau von Groß­kon­zer­nen mithalten, dafür bieten sie oft mehr Fle­xi­bi­li­tät oder ein fami­liä­res Betriebs­kli­ma. Trotzdem müssen querdurch alle Branchen bereits jetzt Auf-träge abgesagt werden, weil sie wegen Per­so­nal­man­gel nicht abge­ar­bei­tet wer-den können.

Was kann man dagegen machen?

LECHNER /Es gibt ein enormes Potenzial: die vielen Teil­zeit­ar­beits­kräf­te und da vor allem Frauen. Um sie stärker in Beschäf­ti­gung zu bekommen, müssen zunächst adäquate Rah­men­be­din­gun­gen zum Beispiel für die Kin­der­be­treu­ung geschaf­fen werden. Außerdem brauchen wir eine gezielte Zuwan­de­rung und wir müssen endlich beginnen, Menschen, die nach der Pen­sio­nie­rung wei­ter­ar­bei­ten wollen, steu­er­lich zu entlasten.

SCHOBER /Ergänzen würde ich es noch um eine bessere Besteue­rung Vollzeit versus Teilzeit. Wir haben durch unser Steu­er­sys­tem derzeit eine starke Teil­zeit­in­cen­ti­vie­rung. Es dürfen – wie bei der Kin­der­be­treu­ung – die Rah­men­be­din­gun­gen nicht etwas ver­un­mög­li­chen, was ich eigent­lich dringend brauche.

Was bringt eine Krea­tiv­sze­ne einem Standort?

LECHNER /Das wird volks­wirt­schaft­lich oft hin­ter­fragt. Mit 3,8 Prozent Anteil am Brut­to­in­lands­pro­dukt ist sie in etwa gleich groß wie der Tourismus. Oft vergisst man dabei die Kul­tur­schaf­fen­den, die ebenso Unter­neh­me­rin­nen und Unter­neh­mer sind. Den öko­no­mi­schen Wert der Krea­tiv­sze­ne darf man nicht unter­schät­zen — so bleiben von jedem Euro, den die Krea­tiv­bran­che ausgibt, 70Cent in Öster­reich

RINNER /Der kreative Prozess verbindet uns. Er liegt sowohl dem Tun des Kul­tur­schaf­fen­den als auch jenem des Wis­sen­schaft­lers und Unter­neh­mers zugrunde. Ob dann immer alles aufgeht, bleibt freilich die große Frage. Aber da muss und darf es auch Ent­täu­schun­gen und Einbahnen geben. In der Kultur können wir nicht garan­tie­ren, dass jeder Prototyp eine Sensation wird.

SCHOBER /Kreativität hat ja nicht unbedingt den Moment des Erfolges in sich tragend. Eine Ziel­ge­rich­tet­heit von Krea­ti­vi­tät wäre ganz gegen die ursprüng­li­che Idee. Es kann ja auch etwas sehr kreativ sein – aber zu einem negativen Ergebnis führen. Die Mög­lich­keit scheitern zu können muss man der Krea­ti­vi­tät zubil­li­gen.

LECHNER /Das gilt auch für die Wirt­schaft. Scheitern muss erlaubt sein. Es geht darum, beim nächsten Mal „besser zu scheitern“ und letzt­end­lich zu „gewinnen“.

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