Euro­S­kills: Maßnahmen gegen Fach­kräf­te­man­gel

Um den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen, muss der Stellenwert der Berufsausbildung wieder angehoben werden. Projekte wie EuroSkills sollen dabei helfen!
Projekte wie die EuroSkills sollen laut Experten dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Harald Mahrer, Margarete Schramböck und Josef Herk unterstützen den Impuls.
Projekte wie die EuroSkills sollen laut Experten dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Harald Mahrer, Margarete Schramböck und Josef Herk unterstützen den Impuls. Fotocredit: David Bohmann.

Eine Lehre stellt keine Sackgasse dar – den Beweis dafür liefert die Euro­S­kills, die in Graz über die Bühne ging. Um dem Fach­kräf­te­man­gel ent­ge­gen­zu­wir­ken, treten bei der euro­päi­schen Berufs­meis­ter­schaft junge Talente aus ver­schie­dens­ten Berufs­fel­der an und stellen ihr Können unter Beweis. Gleich­zei­tig bieten die Euro­S­kills den Besuchern die Mög­lich­keit, sich über ver­schie­de­ne Berufs­fel­der und Aus­bil­dungs­we­ge zu infor­mie­ren und die Leis­tun­gen der Teil­neh­mer zu bestaunen.

Das macht die Euro­S­kills nicht nur zu einem span­nen­den Wett­be­werb, die Messe leistet ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Berufs­bil­dung und Fach­kräf­te­ent­wick­lung in Europa. Ein Pio­nier­bei­spiel um dem Fach­kräf­te­man­gel Herr zu werden. Über dieses und weitere Thema dis­ku­tier­ten eine Runde an Experten mit JUST-Chef­re­dak­teur und Her­aus­ge­ber Alexander Pansi. Unter ihnen: Josef Herk, Präsident der Wirt­schafts­kam­mer Stei­er­mark, Harald Mahrer, Präsident der öster­rei­chi­schen Wirt­schafts­kam­mer und Margarete Schram­böck, Minis­te­rin für Digi­ta­li­sie­rung und den Wirt­schafts­stand­ort Öster­reich.

Viele Branchen und Berufs­bil­der durch­lau­fen durch die Digi­ta­li­sie­rung gerade einen Wandel. Welche Skills wird man in der Arbeits­welt von morgen brauchen?

Schram­böck: Der Arbeits­markt und die Unter­neh­men befinden sich mitten in der digitalen Trans­for­ma­ti­on. Unsere Fach­kräf­te von morgen brauchen daher die beste Aus­bil­dung im tra­di­tio­nel­len Handwerk verbunden mit digitalen Kom­pe­ten­zen am Puls der Zeit. Öster­reich gilt inter­na­tio­nal für sein duales Aus­bil­dungs­sys­tem als Vor­zei­ge­land für Lernen im Unter­neh­men und in der Berufs­schu­le. Um dem Wandel am Arbeits­markt Rechnung zu tragen, über­ar­bei­ten wir jeden Lehrberuf alle fünf Jahre und schaffen gleich­zei­tig auch neue Berufs­bil­der. Gerade im Bereich der Digi­ta­li­sie­rung brauchen die Unter­neh­men topaus­ge­bil­de­te Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter. Daher haben wir im Bereich Digi­ta­li­sie­rung neue Lehr­be­ru­fe wie Coding oder auch E‑Commerce ein­ge­führt. Mit den besten Aus­bil­dungs­mög­lich­kei­ten geben wir Lehr­lin­gen das optimale Rüstzeug für ihren Einstieg ins Berufs­le­ben mit.

Von 22. bis 26. September findet in Öster­reich erstmals eine Berufs­eu­ro­pa­meis­ter­schaft statt. Warum sind Ihnen diese Euro­S­kills ein solches Anliegen?

Mahrer: Alle, die schon dabei waren, wissen: Es ist ein wirklich cooles Event, die Stimmung und der Spirit sind unglaub­lich. Stellen Sie sich eine Leis­tungs­schau von Berufs­pro­fis auf höchstem Niveau vor, dazu Gän­se­haut­mo­men­te wie in einem inter­na­tio­na­len Sport­event. Das Feuer, mit dem diese jungen Fach­kräf­te für ihre Berufe brennen, lässt keinen kalt. Unsere Skills-Ath­le­tin­nen und ‑Athleten sind dadurch ideale Vorbilder für junge Menschen. Sie leben vor, was sich erreichen lässt: mit Talent – sicher, das braucht es auch –, aber vor allem mit Lei­den­schaft, Ehrgeiz und Disziplin. Und, das sage ich durchaus stolz: Wir sind mit unserer Medail­len­bi­lanz als Öster­rei­cher ziemlich erfolgs­ver­wöhnt. 111 Euro­S­kills-Medaillen seit 2008: Das ist auch ein Spit­zen­zeug­nis für unsere beruf­li­che Aus­bil­dung.

Die Berufs-EM findet nicht zuletzt auch vor dem Hin­ter­grund eines ekla­tan­ten Fach­kräf­te­man­gels statt. Welche Impulse erwarten Sie durch den inter­na­tio­na­len Wett­be­werb in Graz?

Herk: Wenn wir den Fach­kräf­te­man­gel in den Griff bekommen wollen, dann müssen wir den Stel­len­wert der beruf­li­chen Aus­bil­dung nach­hal­tig heben. Öffent­li­che Wert­schät­zung ist dafür ein wichtiger Baustein. Wir haben aus­ge­zeich­ne­te Aus­bil­dungs­be­trie­be mit her­vor­ra­gen­den Young Pro­fes­sio­nals, die inter­na­tio­nal seit Jahren zu den Besten der Besten zählen. Ihre Arbeit verdient die große Bühne, mit der sich unser Land darüber hinaus als euro­päi­scher Hotspot für Jung­fach­kräf­te prä­sen­tie­ren kann. Und was in diesem Zusam­men­hang noch wichtiger ist: Eine breite Öffent­lich­keit wird über die große Vielfalt beruf­li­cher Aus­bil­dungs­mög­lich­kei­ten infor­miert. Denn wir brauchen sie dringend, die Fach­kräf­te von morgen. Allein in den ver­gan­ge­nen 15 Jahren hat sich der Anteil der über 50-jährigen Mit­ar­bei­ter in unseren Betrieben mehr als ver­dop­pelt. Wir steuern hier also einem enormen per­so­nel­len Engpass zu, der für jedes wirt­schaft­li­che Wachstum künftig zum Fla­schen­hals zu werden droht.

Stichwort Fach­kräf­te­man­gel: Viele Menschen haben aufgrund von Corona ihren Job verloren, gleich­zei­tig klagt man in der Wirt­schaft über zu wenig Arbeits­kräf­te. Wie passt das zusammen?

Schram­böck: Die Corona-Krise hat den Arbeits­markt komplett auf den Kopf gestellt. Einige Branchen wie die Industrie, die Gewer­be­be­trie­be oder auch der Bau suchen hän­de­rin­gend nach Fach­kräf­ten. Nachdem sich noch nicht alle Branchen wieder voll­stän­dig erholt haben, stehen derzeit viele Arbeits­kräf­te am Arbeits­markt zur Verfügung. Das Problem: Ihnen fehlt oftmals die richtige Qua­li­fi­ka­ti­on. Daher ist es aus meiner Sicht notwendig, dass wir nicht nur 15-Jährige oder Schul­ab­bre­cher für die Lehre gewinnen können, sondern auch neue Ziel­grup­pen anspre­chen. Eine gute Mög­lich­keit bietet hier die Duale Akademie, die von Ober­ös­ter­reich aus suk­zes­si­ve auf alle Bun­des­län­der aus­ge­rollt wird. Sie richtet sich speziell an Matu­ran­tin­nen und Matu­ran­ten und bietet die Mög­lich­keit, eine Lehre in ver­kürz­ter Lehrzeit zu absol­vie­ren. Damit bilden wir heute bereits die Fach­kräf­te der nächsten Jahre aus.

Welche Maßnahmen braucht es, um in Zeiten des demo­gra­fi­schen Wandels dem Fach­kräf­te­man­gel vor­zu­beu­gen?

Mahrer: Was wir für Öster­reichs Arbeits­markt generell brauchen, ist mehr Fle­xi­bi­li­tät und Bereit­schaft zu Mobilität. Dass Job­chan­cen dort ergriffen werden, wo sie sich auftun. Das gilt auch für junge Menschen, wenn die ideale Lehr­stel­le womöglich ein paar Kilometer weiter weg ist – oder sogar in einem anderen Bun­des­land.

Wichtig ist, dass Eltern die Kar­rie­re­chan­cen ihrer Kinder richtig einordnen. Die Lehre ist eine perfekte Start­ram­pe ins Berufs­le­ben. Vielen ist gar nicht bewusst, wie viele Türen dieser Berufs­ein­stieg öffnet. Lehrlinge und Lehr­ab­sol­ven­ten werden von den Firmen aktuell dringend gesucht. Bei Handwerks- und tech­ni­schen Berufen ist der Fach­kräf­te­man­gel am stärksten. Das bedeutet im Gegenzug her­vor­ra­gen­de Beschäf­ti­gungs- und Kar­rie­re­chan­cen für junge Leute!

Die Lehr­in­hal­te sind immer aktuell und auf der Höhe der Zeit und Tech­no­lo­gie zu halten. Und, ganz wichtig: Die jungen Menschen haben schon in der Aus­bil­dung einen Fuß im Betrieb und knüpfen wertvolle Kontakte. Wer ehrgeizig ist, dem stehen unzählige Wege der Wei­ter­bil­dung offen, in der aka­de­mi­schen wie der beruf­li­chen Welt. Da sollte der öster­rei­chi­schen Öffent­lich­keit ein Licht aufgehen, deshalb tun wir viel, um das Image der dualen Aus­bil­dung zu ver­bes­sern. Sie hat es sich verdient.

Herk: Ich kann Präsident Mahrer in dieser Frage nur bestä­ti­gen: Das Thema Fach­kräf­te­si­che­rung ist eine der zentralen Her­aus­for­de­run­gen der kommenden Jahre. Denn egal, in welcher Branche und in welcher Region ich derzeit Betriebe besuche, auf ein Thema werde ich immer ange­spro­chen: Wir finden keine Leut’ … Eine äußerst paradoxe Situation ange­sichts der, wie vorhin schon aus­ge­führt, noch immer hohen Arbeits­lo­sen­zah­len, aber Angebot und Nachfrage passen am Arbeits­markt nicht zusammen. Darum machen wir uns auch für eine stärkere Mobi­li­sie­rung des vor­han­de­nen Poten­zi­als stark, etwa durch eine For­cie­rung der über­re­gio­na­len Ver­mitt­lung. In der Stei­er­mark haben wir darüber hinaus auch ein Konzept für ein „Talent­cen­ter Plus“ vorgelegt. Mit diesem könnte man Arbeits­su­chen­den helfen, neue Inter­es­sen und Talente zu entdecken, um so viel­leicht auch ein neues Jobumfeld zu finden – dafür braucht es aber die ent­spre­chen­de Unter­stüt­zung der öffent­li­chen Hand. Und ja, wir werden zu guter Letzt auch über Erleich­te­run­gen für die qua­li­fi­zier­te Zuwan­de­rung sprechen müssen. Wir brauchen diese Menschen, darum plädiere ich auch diese Frage endlich von der ständigen Migra­ti­ons­de­bat­te los­zu­lö­sen.

Das stei­ri­sche Talent­cen­ter ist mitt­ler­wei­le auch ein Export­erfolg?

Herk: Ja, vor Kurzem konnten wir ein Koope­ra­ti­ons­ab­kom­men mit der Han­dels­kam­mer Bozen unter­zeich­nen, die ein Talent­cen­ter nach Grazer Vorbild errichten möchte. Im Zuge dieser Koope­ra­ti­on soll Jugend­li­chen auch durch Praktika im jeweils anderen Land die Mög­lich­keit geboten werden, wichtige inter­na­tio­na­le Erfah­run­gen zu sammeln, welche sie dann in die hei­mi­schen Betriebe mit­brin­gen können.

Die Lehre gilt als beruf­li­che Kar­rie­re­schmie­de, trotzdem drängen viele Eltern ihre Kinder nach wie vor in die höhere Schul­bil­dung. Woran liegt das?

Schram­böck: Jahr­zehn­te­lang war die Lehre ver­schrien. Zu Unrecht wurde sie als Sackgasse gesehen. Dieses Bild will ich aus den Köpfen der Eltern und der Kinder bringen. Denn für mich ist die Lehre die erste Stufe auf der Kar­rie­re­lei­ter. Sie ist eine Aus­bil­dung mit Zukunft und eröffnet Berufs­ein­stei­gern oder auch Quer­ein­stei­gern alle beruf­li­chen Mög­lich­kei­ten. Damit sich junge Menschen für eine duale Aus­bil­dung ent­schei­den, ist es wichtig, dass wir die Lehre laufend ver­bes­sern und auch ihr Image ver­bes­sern. Ich habe es vorhin bereits erwähnt, seit ich Wirt­schafts­mi­nis­te­rin bin, haben wir viele neue coole Lehr­be­ru­fe ein­ge­führt und neue Elemente in tra­di­tio­nel­len Lehr­be­ru­fen ergänzt. Ebenso war es mir ein Anliegen, den Bachelor mit dem Meis­ter­ti­tel gleich­zu­stel­len. Genauso wie beim Bachelor oder Ingenieur können Lehrlinge ihren Titel nun auch im Pass oder Füh­rer­schein führen. All das macht die Lehre für junge Menschen oder auch Berufs­um­stei­ger attrak­ti­ver. Unsere Lehrlinge sind die dringend benö­tig­ten Fach­kräf­te von morgen. Daher sollten wir sie auch als solche wert­schät­zen.

Braucht es hier – ange­sichts der nach wie vor hohen Abbruch- und Wech­sel­quo­ten an den Schulen – auch noch geziel­te­re Infor­ma­tio­nen zur Berufs- und Aus­bil­dungs­wahl?

Mahrer: Auf jeden Fall. Wir brauchen Berufs­ori­en­tie­rungs­an­ge­bo­te, die unver­rück­bar in den Lehr­plä­nen aller Schul­ty­pen in der Pflicht­schu­le verankert sind. Unser Ziel sollte sein, dass jeder junge Mensch die für sie oder ihn richtige beruf­li­che Ent­schei­dung trifft. Am Ende haben auch Schulen nichts davon, wenn sich junge Menschen entgegen ihren Neigungen mit wenig Erfolg durch eine Schul­lauf­bahn quälen. Richtig gut im Job ist nur, wer das, was er tut, gerne macht. Das trägt zur Per­sön­lich­keits­ent­wick­lung bei, stärkt den Betrieb und am Ende auch den Wirt­schafts­stand­ort.

Welchen Rat möchten Sie Eltern und Jugend­li­chen, die gerade vor einer Aus­bil­dung- und Berufs­wahl stehen, geben?

Mahrer: Mein Rat wäre: Geht offen an eure Berufs­ent­schei­dung heran. Lasst euch nichts von anderen einreden, sondern spürt euren eigenen Talenten nach. Findet heraus, wo eure Stärken liegen, macht dazu viel­leicht einen Talente-Check und lasst euch beraten. Es gibt mehr als 200 Lehr­be­ru­fe, darunter hoch­span­nen­de Berufe mit aus­ge­zeich­ne­ten Zukunfts­chan­cen, von denen ihr bisher viel­leicht noch gar nicht gehört habt. Viel­leicht ist einer davon für euch gold­rich­tig.

Schram­böck: Unsere duale Aus­bil­dung gilt nicht nur in Europa, sondern weltweit als Welt­klas­se und viele Länder schauen sich unser System ab. Diese Aus­bil­dung vereint das Beste aus Praxis und Theorie und eröffnet enorme Chancen für die Zukunft. Wichtig ist es, die Kinder und Jugend­li­chen auf dem Weg der Berufs­fin­dung zu begleiten. Man muss genau hin­schau­en, Motive hin­ter­fra­gen und Alter­na­ti­ven aufzeigen. Eltern kennen ihre Kinder am besten und können Stärken und Schwächen beur­tei­len. Als Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um ist uns eine umfas­sen­de Infor­ma­ti­on wichtig: Erste Ori­en­tie­rung mit Infor­ma­tio­nen über alle Lehr­be­ru­fe bietet zum Beispiel die Broschüre „Lehr­be­ru­fe in Öster­reich – Aus­bil­dun­gen mit Zukunft“. Auch der Besuch einer Berufs­aus­bil­dungs­mes­se kann einen guten Überblick bieten.

Herk: Sich gut zu infor­mie­ren. Unsere Betriebe bieten ein derart breites Spektrum von Berufs- und Kar­rie­re­mög­lich­kei­ten, da ist für jedes Talent etwas dabei. Am besten man schaut dafür bei den Euro­S­kills am Schwarzl­see vorbei, dort gibt es von 22. bis 26. September nicht nur Europas beste Jung­fach­kräf­te zu sehen, sondern auch jede Menge Infor­ma­tio­nen und „Try a Skill“-Stationen, bei denen man Berufe selbst aus­pro­bie­ren kann.

Infos:
Josef Herk

ist seit 2011 Präsident der Wirt­schafts­kam­mer Stei­er­mark. Der 61-Jährige hat die Meis­ter­prü­fung in Karos­se­rie­bau und Kfz-Mechanik und führt einen Betrieb in Knit­tel­feld. Herk holte die Euro­S­kills nach Graz.

Harald Mahrer
ist seit Mai 2018 Präsident der Öster­rei­chi­schen Wirt­schafts­kam­mer und wurde im September 2018 auch als Präsident der Öster­rei­chi­schen Natio­nal­bank bestellt. Bis Dezember 2017 war er Bun­des­mi­nis­ter für Wis­sen­schaft, Forschung und Wirt­schaft, davor war er seit 1. September 2014 Staats­se­kre­tär im Ressort.

Margarete Schram­böck
ist Minis­te­rin für Digi­ta­li­sie­rung und den Wirt­schafts­stand­ort Öster­reich. Die 51-Jährige war vor ihrer poli­ti­schen Karriere unter anderem CEO der A1 Telekom Austria.

Interview: Alexander Pansi

Foto­credit: David Bohmann

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