Betreuung und Pflege während der Corona-Krise

Sicher betreut durch die Krise: Juliane Bogner-Strauß und Andreas Herz im Gespräch über die Pflege während Corona und den Lehren, die für die Zukunft gezogen werden.
Juliane Bogner-Strauß und Andreas Herz diskutierten über Pflege und Betreuung während der Corona-Pandemie.
Juliane Bogner-Strauß und Andreas Herz diskutierten über Pflege und Betreuung während der Corona-Pandemie. Foto: Jorj Konstantinov.

Juliane Bogner-Strauß, stei­ri­sche Gesund­heits­lan­des­rä­tin, zuständig auch für Pflege, und Andreas Herz, Vize­prä­si­dent der Wirt­schafts­kam­mer Stei­er­mark und Obmann der Fach­grup­pe und des Fach­ver­bands „Per­so­nen­be­ra­tung und Per­so­nen­be­treu­ung“ und damit beruf­li­cher Inter­es­sen­ver­tre­ter der in der 24-Stunden-Betreuung tätigen Selbst­stän­di­gen: Gemeinsam leisteten sie ihren Beitrag dazu, dass Betreuung und Pflege während der Corona-Krise gesichert blieben.

Was aus dieser ersten Corona-Phase ist Ihnen besonders in Erin­ne­rung geblieben?

Bogner-Strauß: Das Schlüs­sel­er­leb­nis für mich war, wie von Anfang an alle, die als Ver­ant­wor­tungs- und Ent­schei­dungs­trä­ger gefordert waren, ganz unkom­pli­ziert auf Augenhöhe quasi rund um die Uhr mit­ein­an­der zusam­men­ge­ar­bei­tet haben, um das Beste zur Bewäl­ti­gung dieser Krise bei­zu­tra­gen. Wie gut dieser Zusam­men­halt funk­tio­niert hat, ist für mich eine der wesent­lichs­ten Erfah­run­gen, die ich mitnehme. Vor allem aber können wir ganz besonders stolz auf die Menschen in der Stei­er­mark sein, die sich so vor­bild­lich und ver­ant­wor­tungs­voll an die Vorgaben gehalten haben. Man kann Maßnahmen setzen – aber es sind die Leute draußen, die diese Maßnahmen mittragen und umsetzen müssen. Was mich per­sön­lich am meisten bewegt hat, war der Augen­blick, als ich nach Wochen ohne direkten per­sön­li­chen Kontakt meine Eltern wie­der­ge­se­hen habe – natürlich unter Wahrung der Distanz.

Die Dynamik war enorm – plötzlich waren die Grenzen zu. Die 24-Stunden-Betreuung Tausender Stei­re­rin­nen und Steirer drohte sich in nichts auf­zu­lö­sen.

Bogner-Strauß: Uns war sofort klar, dass die Grenz­sper­ren uns vor große Her­aus­for­de­run­gen stellen würden. Doch wir haben umgehend Maßnahmen ergriffen, etwa eine Unter­stüt­zungs­prä­mie von 500 Euro für jene Betreu­ungs­per­so­nen ausgelobt, die bereit waren, ihren Turnus zu ver­län­gern. Die meisten haben das auch tat­säch­lich getan. Gemeinsam mit der Fach­grup­pe in der Wirt­schafts­kam­mer haben wir  extrem schnell reagiert. Gleich­zei­tig haben wir bereits Vor­keh­run­gen getroffen, um trotz der schwie­ri­gen Lage einen möglichst rei­bungs­lo­sen Betreue­rin­nen­wech­sel gewähr­leis­ten zu können. Die Wirt­schafts­kam­mer stellt sicher, dass Betreue­rin­nen in die Stei­er­mark kommen. Das Land Stei­er­mark sorgt dafür, dass sie getestet werden, damit sie dann auch möglichst rasch zu den von ihnen betreuten Menschen gelangen. Auch für den Bereich der Pflege haben wir im Gesund­heits­res­sort rasch und umfassend reagiert. Wir haben eine Test­prio­ri­sie­rung geschaf­fen, Ver­le­gungs­plä­ne definiert, Aus­weich­quar­tie­re zur Verfügung gestellt, eine Pfle­ge­hot­line sowie eine E‑Mail-Adresse für Anfragen ein­ge­rich­tet und auf der Homepage des Landes alle wichtigen Infor­ma­tio­nen kom­mu­ni­ziert.

Andreas Herz: Das System der 24-Stunden-Betreuung hat sich sehr gut bewährt und das wird es auch weiterhin. Ich habe immer gesagt: Es wird zu keinem Pflege- und Betreu­ungs­not­stand kommen. Mir ist es ein Anliegen, mich bei der Frau Lan­des­rä­tin für die exzel­len­te Zusam­men­ar­beit zu bedanken. Es ist nicht selbst­ver­ständ­lich, dass man sofort einen Ansprech­part­ner findet und die Dinge dann auch so effizient umgesetzt werden können. Viele stellen sich das einfacher vor, als es ist. Es war sehr viel Arbeit im Hin­ter­grund nötig, damit die Dinge so funk­tio­nie­ren konnten, wie sie dann funk­tio­nier­ten. Dass wir die anrei­sen­den Betreue­rin­nen nach zwei Tagen aus der Qua­ran­tä­ne bringen, ist z. B. nur möglich, weil das Land Stei­er­mark auf per­sön­li­che Initia­ti­ve der Lan­des­rä­tin die Tests zur Verfügung stellt. Aber auch die Ver­mitt­lungs­agen­tu­ren leisten einen wesent­li­chen Beitrag, indem sie dafür sorgen, dass genügend Betreu­ungs­per­so­nen zu uns kommen.

Bogner-Strauß: Wir haben im Hin­ter­grund auch Res­sour­cen geschaf­fen, die eine qua­li­fi­zier­te Pflege bzw. Betreuung auch dann sicher­stel­len, wenn die 24-Stunden-Betreuung ausfällt.

Wurde in Bezug auf die Pfle­ge­hei­me schnell genug reagiert?

Bogner-Strauß: Es gab von Anfang an ganz klare Erlässe aus dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um, wann zu testen ist – auch in Anbe­tracht damals noch geringer Test­ka­pa­zi­tä­ten. Wir haben am Anfang um jeden Test gerungen und zuerst alle Heime getestet, in denen es Ver­dachts­fäl­le gab. Vom Bun­des­mi­nis­ter kam dann ein Aviso, alle Heime zu testen – mithilfe des Bundes. Aller­dings blieben die ver­spro­che­nen Tests und die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen aus. Ich bin überzeugt davon, dass wir wirklich alles in unserer Macht Stehende getan haben, um dort, wo es Infek­tio­nen, Herde, Cluster gegeben hat, so schnell wie möglich ein­zu­grei­fen, zu testen, Schutz­aus­rüs­tung zur Verfügung zu stellen etc. Und wir haben schon am 27. März eine eigene Hotline für die Pfle­ge­wohn­hei­me ein­ge­rich­tet, damit sie noch schneller zu Testungen kommen. Retro­spek­tiv zu erklären, wir hätten nicht alles Men­schen­mög­li­che getan, halte ich für absolut unbe­rech­tigt.

Hat sich das System der 24-Stunden-Betreuung als besonders pan­de­mie­re­sis­tent erwiesen?

Herz: In der 24-Stunden-Betreuung gibt es eine 1:1‑Situation. Da ist das Risiko eines Infek­ti­ons­ge­sche­hens natur­ge­mäß sehr gering. Man muss die Dinge aber auch ein wenig zurecht­rü­cken. Rund 5000 Personen werden in der Stei­er­mark rund um die Uhr betreut.

Bogner-Strauß: Im Vergleich dazu gibt es in der Stei­er­mark etwa 14.000 Plätze in Pfle­ge­hei­men. Viele Tausend Menschen werden zudem mobil gepflegt.

Herz: Die über­wie­gen­de Zahl der Menschen wird in den Familien von Fami­li­en­mit­glie­dern betreut. Her­vor­zu­he­ben ist auch die Unter­schei­dung zwischen Pflege und Betreuung. Pflege ist ja eine von medi­zi­ni­schen Fach­kräf­ten zu erbrin­gen­de Gesund­heits­leis­tung, während Betreuung Unter­stüt­zung im Haushalt bedeutet, um Menschen, die den Alltag nicht mehr auf sich allein gestellt bewäl­ti­gen können, ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermög­li­chen. Wir werden auch in Zukunft das eine wie das andere brauchen: die Betreuung zu Hause, sta­tio­nä­re Pfle­ge­ein­rich­tun­gen sowie mobile Dienste. Man hat aber in der Krise gesehen, dass die insgesamt rund 60.000 in Öster­reich tätigen Betreu­ungs­per­so­nen eine sys­tem­re­le­van­te Berufs­grup­pe sind. Natürlich haben wir im Hin­ter­grund dafür gesorgt, dass es ein Auf­fang­netz gibt. Gott sei Dank haben wir es in hohem Maße nicht gebraucht – auch weil wir gemeinsam mit den Agenturen ver­füg­ba­res Potenzial eruiert und der Hotline gemeldet haben. Wir haben die Betreuung dorthin gebracht, wo sie benötigt wurde. Auch da haben wir gezeigt, wie man auf Lan­des­ebe­ne unkom­pli­ziert koope­rie­ren kann. In Zukunft wird man sich überlegen müssen, wie man wesent­li­che grenz­über­schrei­ten­de Dienste und Arbeits­leis­tun­gen – nicht nur in Betreuung und Pflege, sondern z. B. auch in Land­wirt­schaft oder Gas­tro­no­mie – auch im Kri­sen­fall sicher­stellt.

Wie kann das Leben mit und nach Corona aussehen?

Bogner-Strauß: Corona zieht nicht wie eine Gewit­ter­wol­ke vorbei. Selbst Exper­tin­nen und Experten sind sich da nicht ganz einig. Ich denke, wir können nur versuchen, das etwaige Infek­ti­ons­ge­sche­hen so genau wie möglich zu beob­ach­ten, die Lage täglich neu zu bewerten und überall dort ein­zu­grei­fen, wo es notwendig ist. Gemeinsam lernen wir immer besser mit dieser Situation zu leben und umzugehen. Wir tragen Masken, halten Abstand und versuchen unser Leben wieder in geregelte Abläufe zu bringen.

Herz: Die Krise hat uns von 0 auf 100 erwischt. Anfangs gab es weltweit Engpässe bei Tests und Aus­rüs­tung. Mitt­ler­wei­le sind diese Engpässe behoben. Selbst wenn wir mit Covid-19 wei­ter­le­ben müssen, bis es einen Impfstoff gibt, glaube ich, dass es insgesamt einfacher wird. Doch die Krise hat uns auch wieder einmal den hohen Wert von Gesund­heit vor Augen geführt. Die Öster­rei­che­rin­nen und Öster­rei­cher haben sta­tis­tisch gesehen einen geringen Vorrat an gesunden Lebens­jah­ren – nur 57. Da gibt es viel Potenzial nach oben. Doch Prä­ven­ti­on ist etwas, was die Menschen auch selbst in die Hand nehmen müssen: Wie gestalte ich mein Leben? Was tue ich für meine Gesund­heit? Dafür trägt jede bzw. jeder Einzelne Selbst- und Mit­ver­ant­wor­tung.

Info:
Juliane Bogner-Strauß:
Die gebürtige Süd­stei­re­rin, pro­mo­vier­te Mole­ku­lar­bio­lo­gin und Bio­che­mi­ke­rin, blickte bereits auf eine erfolg­rei­che Laufbahn als Wis­sen­schaf­te­rin und Uni­pro­fes­so­rin zurück, als sie 2017 VP-Bun­des­mi­nis­te­rin für Frauen, Familie und Jugend wurde. Seit Ende 2019 gehört sie als Lan­des­rä­tin für Bildung, Gesell­schaft, Gesund­heit und Pflege der stei­ri­schen Lan­des­re­gie­rung an.

Andreas Herz:
Der West­stei­rer ist Vize­prä­si­dent der Wirt­schafts­kam­mer Stei­er­mark und Obmann des öster­rei­chi­schen Fach­ver­ban­des und der stei­ri­schen Fach­grup­pe „Per­so­nen­be­ra­tung und Per­so­nen­be­treu­ung“. Der Resilienz-Experte, der vor Jahren lebens­be­droh­lich an Krebs erkrankte, die Krankheit jedoch besiegen konnte, zählt zu den gefrag­tes­ten Key-Note-Vor­tra­gen­den des deutsch­spra­chi­gen Raums.

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