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Die Zeit drängt

Die Corona-Pan­de­mie hat gezeigt, wie wichtig eine funk­tio­nie­ren­de inner­eu­ro­päi­sche Güter­lo­gis­tik-Infra­struk­tur ist. Warum hier keine Zeit ver­lo­ren werden darf, erklä­ren der neue Prä­si­dent der Industriellen­vereinigung Stei­er­mark, Stefan Sto­litz­ka, und Vize­prä­si­dent Franz Kai­ners­dor­fer.

Was glauben Sie, wird schnel­ler fertig sein, die Neue Sei­den­stra­ße oder die Bal­tisch-Adria­ti­sche Achse, zu der die Sem­me­ring-Strecke und die Kor­alm­bahn gehören?

Stefan Sto­litz­ka: Eben erst, am 8.9., ist der erste Güter­zug aus Öster­reich kommend in Xian ein­ge­fah­ren … In Ihrer Gesamt­heit hof­fent­lich beide Pro­jek­te in naher Zukunft. Die beiden ange­spro­che­nen Pro­jek­te sind für die Stei­er­mark von großer Bedeu­tung. Der Ausbau der Sem­me­ring-Strecke bis 2027 und der Kor­alm­bahn bis 2026 stellen die maß­ge­ben­den Abschnit­te im Rahmen des öster­rei­chi­schen Teils der Bal­tisch-Adria­ti­schen Achse dar, welche auf 1.700 Kilo­me­tern die Ostsee mit dem Mit­tel­meer und dem ober­ita­lie­ni­schen Wirt­schafts­raum ver­bin­det. Erst wenn die schnel­le­re und effi­zi­en­te durch­gän­gi­ge Fahrt möglich ist, können die wirt­schaft­li­chen Poten­zia­le voll genutzt werden. Rund 50 Mil­lio­nen Men­schen leben entlang dieser Achse, die bedeu­ten­de euro­päi­sche Kultur- und Wirt­schafts­räu­me ver­knüpft.

Gehört Öster­reich eher zu den Trei­bern oder Blo­ckie­rern der Länder auf der euro­päi­schen Nord-Süd-Achse, was die Bereit­stel­lung der Ver­kehrs­in­fra­struk­tur betrifft?

Sto­litz­ka: Es ist sehr zu begrü­ßen, dass aktu­el­le Bundes- und Lan­des­re­gie­rungs­pro­gram­me dem Ausbau der Schie­nen­in­fra­struk­tur und dem Nah­ver­kehr einen hohen Stel­len­wert bei­mes­sen. Für die Infra­struk­tur, ins­be­son­de­re für den wei­te­ren Ausbau der trans­eu­ro­päi­schen Ver­kehrs­net­ze, bedeu­tet dies nicht nur Weit­sicht, sondern auch das Com­mit­ment zu ent­spre­chen­den Inves­ti­tio­nen. Das Bewusst­sein für die Not­wen­dig­kei­ten moder­ner Infra­struk­tur­ach­sen sehen wir also jeden­falls als gegeben. Es handelt sich um Jahr­hun­dert­pro­jek­te, die inten­si­ve Vor­ar­beits­pha­sen benö­ti­gen. Bis zur Fer­tig­stel­lung ver­strei­chen noch viele weitere Jahre. Für uns als Indus­trie ist Plan­bar­keit ein wesent­li­cher Punkt. Wir bauen also darauf, dass es gerade bei der Pyhrn-Schober-Achse aber auch beim damit ver­bun­de­nen Ausbau der Strecke Graz–Bruck rasch in die kon­kre­te Umset­zung der Pla­nungs­pha­se geht, um Fer­tig­stel­lungs­zie­le auch wirk­lich ein­hal­ten oder idea­ler­wei­se sogar unter­bie­ten zu können.

Der neue Bos­ruck­tun­nel der Pyhrn-Schober-Achse soll 2040 kommen. Bis dahin sollen 90 Prozent aller schwe­ren Lkw autonom und mög­li­cher­wei­se güns­ti­ger fahren, schätzt das Fraun­ho­fer Insti­tut für System- und Inno­va­ti­ons­for­schung. Wird man die Bahn dann noch brau­chen?

Franz Kai­ners­dor­fer: Wir spre­chen hier nicht von einem Ent­we­der-oder, sondern einer Ver­schrän­kung jeweils für sich effi­zi­en­te­rer Ange­bo­te. Es wird durch das auto­no­me Fahren zu einer ver­stärk­ten Kom­bi­na­ti­on von Trans­por­ten auf der Schiene und auto­no­men Lkw-Flotten kommen, wie es in anderen Ländern – bei­spiels­wei­se in den USA – bereits üblich ist. Dort sammeln jetzt schon Lkws Güter regio­nal ein und bringen diese zu Con­tai­ner­hubs. Am Ziel­punkt ange­kom­men, erfolgt die Ver­tei­lung wie­der­um aus den regio­na­len Con­tai­ner­hubs in der Ziel­re­gi­on ident dem Ein­sam­meln. Eine Pyhrn-Schober-Achse kann daher durch auto­no­me Lkw-Flotten nicht ersetzt, sondern ergänzt werden, denn gerade im alpinen Bereich mit win­ter­li­chen Fahr­ver­hält­nis­sen steht die auto­no­me Fahr­tech­no­lo­gie auch zukünf­tig vor enormen Her­aus­for­de­run­gen, hinzu kommt der stei­gen­de Bedarf an Beför­de­rungs­men­gen auf ohne­dies über­las­te­ten Stra­ßen­net­zen. Die Zukunft wird in der Kom­bi­na­ti­on liegen, es gilt in diesem Zusam­men­hang auch den Aspekt der Öko­lo­gie anzu­spre­chen. Schie­nen­in­fra­struk­tur stellt „die kli­ma­scho­nen­de Mög­lich­keit der Güter­be­för­de­rung“ dar, dazu muss das Angebot jedoch noch effi­zi­en­ter, attrak­ti­ver, aber auch kos­ten­mä­ßig ver­gleich­ba­rer werden, die Pyhrn-Schober Achse stellt dabei einen wei­te­ren, immens wich­ti­gen Schritt dar.

Warum sind solche Bahn­ver­kehrs­ach­sen – dazu gehört auch die Pyhrn-Schober-Achse, die Deutsch­land über Tsche­chi­en mit Slo­we­ni­en ver­bin­det – für die stei­ri­sche Indus­trie so wichtig?

Kai­ners­dor­fer: Die Eisen­bahn­ach­se über die Pyhrn- und Scho­ber­stre­cke ist für das Bun­des­land Stei­er­mark die wich­tigs­te Ver­bin­dung in den ober­ös­ter­rei­chi­schen Zen­tral­raum und in wei­te­rer Folge in die bedeu­ten­den deut­schen Wirt­schafts­zen­tren sowie zu den nord­west­eu­ro­päi­schen Häfen. Doch gerade in diese Rich­tung ist die Anbin­dung der Stei­er­mark zu ihren wich­tigs­ten Export­märk­ten im Nord­wes­ten auf­grund ihrer geo­gra­fi­schen Lage und durch natür­li­che Bar­rie­ren benach­tei­ligt. Das Kern­ele­ment zur Ver­bes­se­rung der Anbin­dung ist der Bau eines neuen, mög­lichst flach tras­sier­ten Bos­ruck­ei­sen­bahn­tun­nels zwi­schen der Stei­er­mark und Ober­ös­ter­reich. Der bestehen­de ein­röh­ri­ge Tunnel ist 115 Jahre alt und ent­spricht nicht mehr den Anfor­de­run­gen zeit­ge­mä­ßer Logis­tik­we­ge. Auf­grund seiner Stei­gung von bis zu 21 Pro­mil­le stellt er eine Hürde für den schwe­ren Güter­ver­kehr dar. Dieser Umstand führt zu län­ge­ren Weg­zei­ten und erhöh­ten Trans­port­kos­ten.

Hat sich durch Corona in der Prio­ri­tät etwas geän­dert?

Kai­ners­dor­fer: Ja. Die Corona-Pan­de­mie hat noch mal ganz klar ver­deut­licht, wie wichtig eine funk­tio­nie­ren­de inner­eu­ro­päi­sche Güter­lo­gis­tik-Infra­struk­tur ist. Wir haben die Fer­tig­stel­lung des neuen Bos­ruck­tun­nels mit 2040 fest im Blick und hoffen, dass der Zeit­punkt viel­leicht sogar nach vorne rücken kann.

Lässt sich schon abschät­zen, ob Corona die stei­ri­sche Wirt­schafts­land­schaft nach­hal­tig ver­än­dern wird, wenn ja, inwie­fern?

Sto­litz­ka: Defi­ni­tiv ja. Derzeit fahren wir noch auf Sicht. Wie sich die kom­men­den Monate aus­ge­stal­ten und wohin der Weg geht, lässt sich frü­hes­tens Ende Oktober beur­tei­len. Fest steht, dass wir als Indus­trie von dieser Pan­de­mie nach­ge­la­gert getrof­fen wurden und sich das Ausmaß erst weisen wird. Spre­chen wir von der Art, wie wir arbei­ten, so kam es hier bereits zu einer Trans­for­ma­ti­on. Von einem Tag auf den anderen ist eine Viel­zahl der stei­ri­schen Indus­trie­mit­ar­bei­te­rin­nen und ‑mit­ar­bei­ter ins Home-Office gewech­selt, Pro­duk­tio­nen mussten Prä­ven­ti­ons­kon­zep­ten ange­passt werden und Kunden wurden über digi­ta­le Kanäle ser­viciert, um nur einige Bei­spie­le zu nennen. Wir haben einen wahren Digi­ta­li­sie­rungs­schub erlebt, der unter nor­ma­len Umstän­den wohl noch Jahre gedau­ert hätte. Welche Ver­än­de­run­gen von nach­hal­ti­ger Wirkung sind, wird sich bald zeigen.

Stefan Sto­litz­ka (Legero United) und Franz Kai­ners­dor­fer (Voest­al­pi­ne) bilden gemein­sam mit Nina Pildner-Stein­burg (GAW Tech­no­lo­gies) und Franz Mayr-Melnhof-Saurau (Mayr-Melnhof Holz Holding AG) das neue Prä­si­di­um der IV Stei­er­mark. Der vor­ma­li­ge Prä­si­dent Georg Knill wech­sel­te zur IV Öster­reich in das Amt des Prä­si­den­ten.

Foto­credit: Kanizaj

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