Der Wirt­schafts­stand­ort Stei­er­mark

Der Wirtschaftsstandort Steiermark steht im internationalen Wettbewerb. Anforderungen der Gründer, Konzerne und Investoren müssen daher genau definiert werden.
Der Wirtschaftsstandort Steiermark steht im internationalen Wettbewerb

Die Stei­er­mark befindet sich als Standort für Unter­neh­mens­grün­dun­gen und Betriebs­an­sie­de­lun­gen in einem harten inter­na­tio­na­len Wett­be­werb. Umso wichtiger ist es, genau zu defi­nie­ren, welche Anfor­de­run­gen Fir­men­grün­der, Konzerne und Inves­to­ren an einen Wirt­schafts­stand­ort stellen.

Welche Assets kann der Standort Stei­er­mark vorweisen? Und in welchen Bereichen muss noch nach­ge­bes­sert werden?

Wirt­schafts­lan­des­rä­tin Barbara Eibinger-Miedl: Eines der größten Assets sind ganz eindeutig die bestens qua­li­fi­zier­ten Fach­kräf­te, die es in der Stei­er­mark gibt. Diese werden weltweit geschätzt. Dazu kommt das her­vor­ra­gend funk­tio­nie­ren­de Ökosystem aus Fach­hoch­schu­len, Uni­ver­si­tä­ten, For­schungs­in­sti­tu­tio­nen, Unter­neh­men und Politik. Ich halte das für die beiden Haupt­fak­to­ren, die für den Standort Stei­er­mark sprechen.
Nach­hol­be­darf haben wir bei der Infra­struk­tur, vor allem was den Glas­fa­ser­aus­bau angeht. Der hat zuletzt zwar Fahrt auf­ge­nom­men, aber es gibt noch viel zu tun. Bei der Infra­struk­tur wirkt leider immer noch nach, dass die Stei­er­mark lange nahe am Eisernen Vorhang lag und stief­müt­ter­lich behandelt wurde. Vieles wird sich aber bald ändern – zum Beispiel durch den Semmering- und den Kor­alm­tun­nel.
Bei der F&E‑Quote können wir seit Jahren unsere Top­po­si­ti­on erfolg­reich ver­tei­di­gen. Aktuell liegt sie bei 5,15 Prozent des Brut­to­re­gio­nal­pro­dukts. Das Schöne daran ist, dass drei Viertel der Mittel von den Firmen kommen. Wir sind, was F&E angeht, unter den absolut Besten der EU und das drückt unsere enorme Inno­va­ti­ons­kraft aus.

WKO-Stei­er­mark-Präsident Josef Herk: Für den Standort Stei­er­mark spricht eigent­lich alles! Unser Bun­des­land ist ein Biotop, in dem Wirt­schaft, Forschung, Kultur und Kunst funk­tio­nie­rend zusam­men­wir­ken. Und dieses Zusam­men­spiel ist etwas ganz Beson­de­res. Das sieht man auch bei den Berufs­wett­be­wer­ben, bei denen die stei­ri­schen Teams immer ganz vorne mit dabei sind. Ein wesent­li­cher Grund dafür ist die her­vor­ra­gen­de pra­xis­be­zo­ge­ne Aus­bil­dung in unseren Lehr­be­trie­ben. Dazu kommt, dass wir eine exzel­len­te IT-Land­schaft haben – von unseren klas­si­schen Stär­ke­fel­dern, die sich in unseren Clustern wider­spie­geln ganz abgesehen. Um diese Ver­net­zung zwischen inno­va­ti­ven Unter­neh­men unter­schied­li­cher Größe und hei­mi­scher Spit­zen­for­schung beneiden uns viele. Wir haben also eine gute Basis, auf der wir uns wei­ter­ent­wi­ckeln können und müssen.

Funk­tio­niert die Zusam­men­ar­beit zwischen Uni­ver­si­tä­ten, For­schungs­ein­rich­tun­gen und den Unter­neh­men? Gibt es immer noch Berüh­rungs­ängs­te und was kann man dagegen tun?

Eibinger-Miedl: Es war ein Lern­pro­zess nötig, um das bestehen­de koope­ra­ti­ve Klima zu schaffen. Die COMET-Programme haben hier viele Berüh­rungs­ängs­te abgebaut. Sie haben gezeigt, dass die Zusam­men­ar­beit zwischen Wis­sen­schaft und Wirt­schaft funk­tio­niert. Die guten Erfah­run­gen haben viele Firmen mit­ge­ris­sen, man braucht eben Vorbilder. Gewisse Ängste gibt es am ehesten noch bei den KMU, aber im Vergleich zu anderen Stand­or­ten sind wir weit voraus.

Herk: Aus diesem Grund haben wir Programme wie „Wirt­schaft trifft Wis­sen­schaft“ und „Science Fit“ ins Leben gerufen. Diese haben dazu bei­getra­gen, dass nicht nur Groß­be­trie­be, sondern auch KMU sich erfolg­reich mit den stei­ri­schen Hoch­schu­len und For­schungs­ein­rich­tun­gen vernetzen. Mit diesem aktiven Wis­sens­trans­fer schaffen wir Wert­schöp­fung für heimische Betriebe basierend auf Forschung und wis­sen­schaft­li­chem Know-how.

Kann der Standort Stei­er­mark für zusätz­li­che Industrie- und Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men überhaupt genügend Mit­ar­bei­ter zur Verfügung stellen? Die Anzahl der Man­gel­be­ru­fe hat sich im Vorjahr ver­dop­pelt, in der Stei­er­mark finden sich für 500 offene Lehr­stel­len keine Bewerber – können wir da das Steuer noch her­um­rei­ßen?

Herk: Es ist eine riesige Her­aus­for­de­rung. Ver­schärft wird die Situation durch die Alters­dy­na­mik – für einen Berufs­ein­stei­ger gehen zwei Menschen in Pension. Darum müssen wir jede Mög­lich­keit, die Menschen in den Arbeits­pro­zess zu bringen, ausnutzen. Dazu gehört, dass sich Leistung lohnen muss: Warum müssen Pen­sio­nis­ten, die zusätz­lich arbeiten wollen, so hohe Abgaben bezahlen? Oder das Thema Früh­pen­sio­nen: Von den 55- bis 64-Jährigen sind nur 54 Prozent in Beschäf­ti­gung, das ist im inter­na­tio­na­len Vergleich sehr wenig. Es braucht Anreize sowohl für Arbeit­ge­ber wie auch für Arbeit­neh­mer, um die Quote nach­hal­tig zu heben. Auch dass Über­stun­den steu­er­lich „bestraft“ werden, senkt die Moti­va­ti­on zur Mehr­leis­tung. Ein wichtiges Thema ist die Ver­rin­ge­rung der Teil­zeit­quo­te. Und schließ­lich: Ohne qua­li­fi­zier­te Zuwan­de­rung werden wir es nicht schaffen.

Eibinger-Miedl: Wir haben bei den Arbeits­kräf­ten noch viel Potenzial im eigenen Land. Sicher braucht es steu­er­li­che Anreize zu arbeiten, aber es braucht auch mehr Unter­neh­men, die ältere Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter ein­stel­len, die andere Bedürf­nis­se haben.
Außerdem benötigen wir ein Umdenken, was die Rolle der Frauen in der Arbeits­welt betrifft. Die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit. Wir müssen auch Lang­zeit­ar­beits­lo­se wieder in die Arbeits­welt inte­grie­ren, da ist in letzter Zeit ohnehin einiges getan worden. Wenn das eigene Potenzial nicht mehr reicht, müssen wir im Ausland rekru­tie­ren – inter­na­tio­na­le Unter­neh­men tun das ja schon lange.

Herk: Wir müssen bei der Bildung nach­schär­fen und die Jugend auf ihrer Bil­dungs­rei­se begleiten. Lebens­lan­ges Lernen wird unter dem Gesichts­punkt der Digi­ta­li­sie­rung noch wichtiger – dem tragen wir mit unserem neuen Center of Excel­lence Rechnung.

TU-Vize­rek­tor Horst Bischof: Wir stehen in einem globalen Wett­be­werb um Arbeits­kräf­te. Daher müssen wir ein span­nen­des Umfeld schaffen. An der TU haben wir vor zehn Jahren damit begonnen, Mas­ter­proram­me auf Englisch abzu­hal­ten, um Stu­die­ren­de aus dem Ausland anzu­zie­hen. Leider haben wir an der TU immer noch nur 25 Prozent Frauen. Das Thema Frauen in der Technik tut weh. Da müssen wir Poten­zia­le heben. Ständige Fort­bil­dung wird auch immer wichtiger.

Wie bringt man junge Leute dazu, sich für Technik zu inter­es­sie­ren?

Eibinger-Miedl: Wir müssen die Jugend für den MINT-Bereich begeis­tern. Der Science Garden ist eine her­vor­ra­gen­de Plattform dafür, aber auch das Talent­cen­ter, das sogar als weltweit bestes Projekt seiner Art aus­ge­zeich­net wurde.

Welche Branchen, die sich ansiedeln wollen, finden in der Stei­er­mark einen besonders guten Boden vor? Welche würden eine besonders wertvolle Ergänzung für die bestehen­de Unter­neh­mens­land­schaft sein?

Eibinger-Miedl: Die Stei­er­mark hat besondere Assets. Die Ansie­de­lun­gen der letzten Jahre waren vor allem im Bereich Mikro­elek­tro­nik. Silicon Austria Labs, dessen Head­quar­ter in Graz ist, strahlt längst über Öster­reich hinaus. Wir haben alle namhaften globalen Player am Standort und alle inves­tie­ren sie.

Investor Georg Zenker: Wir Inves­to­ren lieben die Stei­er­mark, es gibt kaum ein besseres Umfeld in Europa. Das beginnt mit den her­vor­ra­gen­den Schulen und Uni­ver­si­tä­ten. Was dort her­aus­kommt, ist fan­tas­tisch. Natürlich könnte die Aus­bil­dung noch inter­dis­zi­pli­nä­rer werden, man könnte Techniker und Betriebs­wir­te schon früh­zei­tig zusam­men­brin­gen, um anschlie­ßend noch erfolg­rei­cher zu sein.
Ein absoluter Pluspunkt ist das Zusam­men­spiel des Landes und seiner Wirt­schafts­för­de­rung SFG mit den Unter­neh­men. Das ist effi­zi­en­te und ziel­ge­rich­te­te Arbeit. Dort wird ver­stan­den, was Inves­to­ren brauchen.

Was muss einen Standort aus­zeich­nen, damit er für einen Investor oder eine Betriebs­an­sie­de­lung inter­es­sant ist?

Zenker: Gute Ideen und ein großes Potenzial an fähigen Gründern. Gründer brauchen die Mög­lich­keit, ihre Ideen auf dem Markt zu testen. Man sollte ihnen mehr Mentoren zur Seite stellen. Gerade für ältere Manager oder leitende Ange­stell­te wäre das eine inter­es­san­te Aufgabe, bei der sie ihre Erfahrung ein­brin­gen können. Ein Mentor kann neue Ideen ein­brin­gen. Es ist eine wahn­sin­ni­ge Ver­schwen­dung, nicht auf sie zurück­zu­grei­fen.
Wir müssen die Stei­er­mark noch mehr als Inkubator betrach­ten und bei diesem Thema die inter­na­tio­na­le Posi­tio­nie­rung ver­bes­sern. Dafür brauchen wir in den Unter­neh­men mehr inter­na­tio­na­le Mit­ar­bei­ter, das ver­hin­dert ein zu enges Denken, zu dem wir in Öster­reich manchmal neigen.

Bischof: Für Unter­neh­men ist es gerade in der Ska­lie­rungs­pha­se wichtig, inter­na­tio­na­le Ver­hält­nis­se anzu­schau­en. Der stei­ri­sche Markt ist ja o.k., aber für ein Einhorn viel zu klein.

Herk: Wir müssen den Grund­was­ser­spie­gel der Selbst­stän­dig­keit heben. Selbst­stän­dig­keit ist ein Mindset. Höflich aus­ge­drückt wäre das Bewusst­sein dafür stei­ge­rungs­fä­hig.

Bischof: Ich sehe da ein Umdenken bei den jungen Leuten. Zeitlich befris­te­te Projekte über eine eigene Firma abzu­wi­ckeln ist für sie durchaus eine Option. Wenn sie gut sind, bekommen sie danach ja wieder einen guten Job.

Eibinger-Miedl: Durch­läs­sig­keit ist im Sinne des Stand­or­tes. Was eminent wichtig für uns wäre, ist, dass wir als Stei­er­mark in der großen Breite sicht­ba­rer werden. Die heuer gegrün­de­te Stand­ort­agen­tur arbeitet daran. Wir verkaufen uns derzeit etwas einseitig, vor allem über die Tou­ris­mus­schie­ne.

Zenker: Der Tourismus ist auch wichtig für ein gutes Umfeld. Ein heißes Thema wird die Stei­er­mark nicht alleine lösen könnnen: Steu­er­li­che Anreize, es ist höchste Eisenbahn, Risi­ko­ka­pi­tal steu­er­lich abzugs­fä­hig zu machen.

Damit sie wirklich ins Verdienen kommen, müssen aus Start-ups früher oder später Scale-ups werden. Gibt es in der Stei­er­mark die dafür not­wen­di­ge Inves­to­ren­sze­ne?

Zenker: Für mich ist es eine spannende Frage, wie bringt man Top­ma­na­ger dazu, Start-ups zu coachen?

Eibinger-Miedl: Wir denken gerade darüber nach, wie wir Leit­be­trie­be mit Start-ups noch stärker zusam­men­brin­gen können. Das hätte ja für beide Seiten Vorteile.
Ein gelun­ge­nes Scale-up-Beispiel ist das Unter­neh­men SmaXtec, ein stei­ri­sches Start-up, das von der SFG und dem Sci­en­ce­park unter­stützt wurde.

Zenker: Mit der SmaXtec haben wir ein Best-Practice-Beispiel, wie ein erfolg­rei­ches Scale-up funk­tio­niert. Gerade durch die Zusam­men­ar­beit von Wis­sen­schaft und Wirt­schaft ist nach der Seed-Phase am Sci­enc­park ein Unter­neh­men ent­stan­den, das für inter­na­tio­na­le Inves­to­ren inter­es­sant geworden ist. Mitt­ler­wei­le ist man neben der DACH-Region auch in UK, Irland und den USA erfolg­reich unterwegs.

Bischof: Die Inku­ba­to­ren brauchen auch Raum für eta­blier­te Unter­neh­men. Der Kontakt zu jungen Firmen wäre eine gegen­sei­ti­ge Befruch­tung. Wir können Netz­werk­pro­gram­me ent­wi­ckeln, wie wir wollen, die Kaf­fee­ma­schi­ne ist als Wis­sens­platt­form unschlag­bar.

Herk: Eine Mög­lich­keit für Junge durch­zu­star­ten sind nicht nur Start-ups. Viele Firmen haben Nach­fol­ge­pro­ble­me, vor allem im länd­li­chen Raum. Warum nicht auf Vor­han­de­nem aufbauen? Man muss zwei Welten verbinden: die Jungen, die gleich fliegen wollen, und eta­blier­te Firmen, die Nach­fol­ger suchen. Das bietet viele Chancen. Wir unter­stüt­zen bei der Nach­fol­ge­su­che mit Follow me und helfen mit dem Restart-up-Programm, frischen Wind in bestehen­de Unter­neh­men zu bringen.

Wie sieht die To-do-Liste für den Standort aus?

Eibinger-Miedl: Zwei Themen stehen ganz oben: die Fach­kräf­te­pro­ble­ma­tik und die Ener­gie­ver­sor­gung samt Ener­gie­prei­sen. Durch die aktuelle Situation verlieren die Firmen ihre Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Der Bund muss rasch in die Gänge kommen, aber auch die EU, was zum Beispiel das Merit-Order-Prinzip beim Strom betrifft.

Herk: Wir sind zum Teil leider nur Pas­sa­gie­re einer euro­pa­wei­ten Ent­wick­lung. Wenn wir nichts tun, laufen wir Gefahr, ganz Europa zu verlieren.

Bischof: Die Krise ist auch eine Chance, uns bei der erneu­er­ba­ren Energie als Vorreiter zu eta­blie­ren. Das muss stärker kom­mu­ni­ziert werden.

Zenker: Das aktuelle Drama hat seine Ursachen in vielen Ver­säum­nis­sen. Wir können gar nicht genug Geld für erneu­er­ba­re Energien ausgeben. Wenn wir wollen, ist es eine Chance für uns alle.

Auch gegen erneu­er­ba­re Energie gibt es Proteste. Was­ser­kraft­wer­ke und Windräder werden oft jahrelang durch Bür­ger­initia­ti­ven und immer neue Ein­sprü­che blockiert …

Eibinger-Miedl: Es gibt bereits Vor­schlä­ge, die Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fun­gen zu beschleu­ni­gen. Das wird für den nötigen Netz­aus­bau im Hinblick auf die Pho­to­vol­ta­ik wichtig sein.

Bischof: Es gibt Ener­gie­ge­mein­schaf­ten, da wäre gar kein Netz­aus­bau notwendig. Man sollte mehr Expe­ri­men­te zulassen.

Herk: Wir brauchen einen schnellen Umstieg und deshalb rasche Verfahren und eine Reduktion der Auf­la­gen­flut beim Ausbau erneu­er­ba­rer Energien. In Kri­sen­zei­ten muss man abwägen und Dinge umsetzen, nicht endlos auf jedes Bedenken eingehen.

Wie sieht die Zukunft des Stand­or­tes Stei­er­mark aus?

Eibinger-Miedl: Die Stei­er­mark steht auf einem soliden Fundament. Wir können mit Zuver­sicht in die Zukunft blicken.

Herk: Wir sind ein Unter­neh­mer­land, der ent­spre­chen­de Geist ist vorhanden. In Zusam­men­ar­beit mit Forschung und Politik werden wir das weiter ausbauen.

Bischof: Die Stei­er­mark ist ein exzel­len­ter Wis­sen­schafts­stand­ort, der sich har­mo­nisch in einem Ökosystem gemeinsam mit Wirt­schaft und Politik wei­ter­ent­wi­ckelt.

Zenker: Die Stei­er­mark bietet Inves­to­ren und dis­rup­ti­ven Unter­neh­men ein attrak­ti­ves Umfeld und wird zunehmend inter­na­tio­na­ler.

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