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Das Land des Eisens

Wenn Erdöl das Blut unserer moder­nen Welt ist, dann sind Eisen und Stahl ihre Knochen. Gerade die Stei­er­mark und ihre Indus­trie pro­fi­tie­ren in hohem Maß von der Tat­sa­che, dass Eisen im Land eine lange Tra­di­ti­on hat.

His­to­risch sind erste Eisen­berg­baue in der Stei­er­mark schon um 300 vor Chris­tus nach­weis­bar. Im römi­schen Impe­ri­um war das nori­sche Eisen – benannt nach der Provinz Noricum, auf deren Gebiet die Ober­stei­er­mark lag – für seine Qua­li­tät berühmt. Vor allem die Legio­nen wurden mit Waffen aus dem begehr­ten Metall aus­ge­stat­tet. Am Erzberg ist der Abbau 1171 erst­mals urkund­lich nach­ge­wie­sen. Eisen war ein bedeu­ten­der Wirt­schafts­fak­tor für die Region – noch zu Beginn des 16. Jahr­hun­derts kam rund ein Sechs­tel des gesam­ten euro­päi­schen Eisen­auf­kom­mens aus der Ober­stei­er­mark.

Während der indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on war die Tra­di­ti­on der Eisen­ge­win­nung und ‑ver­ar­bei­tung ein enormer Start­vor­teil. Dazu kamen die Wald­be­stän­de, die die Erzeu­gung von Holz­koh­le ermög­lich­ten, die für die Eisen­ver­hüt­tung und Wei­ter­ver­ar­bei­tung des Metalls benö­tigt wurde. Gemein­sam mit Mähren und Böhmen war die Stei­er­mark eines der drei ersten Kron­län­der der Mon­ar­chie, die im großen Stil indus­tria­li­siert wurden. Die meisten Stahl­in­dus­trie­un­ter­neh­men ent­stan­den in der Mur-Mürz-Furche. Unver­ges­sen sind die Ver­diens­te des „stei­ri­schen Prinzen“ Erz­her­zog Johann um die Indus­tria­li­sie­rung des Landes.

Neben dem Eisen­berg­bau und der Eisen­in­dus­trie ent­stan­den neue Berg­bau­be­trie­be, zum Bei­spiel für Magne­sit in der Veitsch oder Braun­koh­le in Fohns­dorf und Köflach. Pro­spe­rie­ren­de Unter­neh­men ent­wi­ckel­ten sich in der auf­stre­ben­den Papier- und Zell­stoff­in­dus­trie, der Zemen­ter­zeu­gung und in der Müh­len­in­dus­trie. Die Braue­rei­en in Graz und Göss wurden Groß­be­trie­be, dazu kam eine starke Tex­til­in­dus­trie.

Letz­te­re belie­fer­te nicht nur das Militär, sondern auch die stetig wach­sen­de Zivil­be­völ­ke­rung: Zwi­schen 1849 und 1914 nahm die Bevöl­ke­rung in der Stei­er­mark um 50 Prozent zu, vor allem wegen der Indus­tria­li­sie­rung und der durch sie ent­ste­hen­den Arbeits­plät­ze. Der Zerfall der Mon­ar­chie nach dem Ersten Welt­krieg stürzte die ober­stei­ri­sche Indus­trie in eine gewal­ti­ge Krise. Viele Absatz­märk­te waren weg­ge­bro­chen, die Hyper­in­fla­ti­on tat ein Übriges. Nach einer kurzen Sta­bi­li­sie­rung 1925 kam es vier Jahre später zur Welt­wirt­schafts­kri­se, die die Eisen­in­dus­trie beson­ders arg traf.

Mit dem Anschluss an Hit­ler­deutsch­land kam es zu einem trü­ge­ri­schen Auf­schwung. Die Natio­nal­so­zia­lis­ten stell­ten die ober­stei­ri­sche Indus­trie von Anfang an in den Dienst der Kriegs­vor­be­rei­tun­gen. Ein nicht unbe­trächt­li­cher Teil der Unter­neh­men ging unter poli­ti­schem Druck an deut­sche Kon­zer­ne – so zum Bei­spiel die Alpine-Montan, die Stei­ri­schen Guss­stahl­wer­ke oder die Veitscher Magne­sit.

Als im Früh­jahr 1945 der braune Spuk zu Ende war, hörten die Pro­ble­me für die ober­stei­ri­sche Indus­trie nicht auf: Zehn Wochen lang war die Stei­er­mark von Sowjet­trup­pen besetzt, was teil­wei­se tiefere Spuren hin­ter­ließ als die Bom­bar­die­run­gen der Indus­trie durch die Alli­ier­ten. Ganze Fabri­ken wurden in aller Eile demon­tiert und in die Sowjet­uni­on ver­frach­tet. Als die Briten Ende Juli die Kon­trol­le über die Stei­er­mark über­nah­men, stand die Indus­trie fak­tisch am Punkt null.

1946 und 1947 wurden große Teile der ober­stei­ri­schen Indus­trie­be­trie­be ver­staat­licht, die junge Repu­blik hatte aber kein Geld. Erst mit Hilfe des Euro­pean Reco­very Pro­grams, besser bekannt als Mar­shall­plan, gelang der Wie­der­auf­bau. Vom Abschluss des Staats­ver­tra­ges 1955 bis in die frühen 1980er-Jahre prägte die ver­staat­lich­te Eisen- und Stahl­in­dus­trie die Indus­trie­land­schaft. Poli­ti­scher Ein­fluss und hin­aus­ge­zö­ger­ter Struk­tur­wan­del führten jedoch in der Stahl­kri­se von 1985 zum Zusam­men­bruch der lange so stolzen Ver­staat­lich­ten.

Das ver­zwei­fel­te „Wir sind pleite, ver­ste­hen Sie doch, wir sind pleite“ von ÖIAG-Chef Hugo-Michael Sekyra vor erzürn­ten Arbei­tern der Voest ist legen­där. Die Ober­stei­er­mark wurde zur „Kri­sen­re­gi­on“, ein Trauma, das bis heute nicht völlig aus den Köpfen der Men­schen ver­schwun­den ist. 55.000 Mit­ar­bei­ter musste die Ver­staat­lich­te von 1980 bis 1992 abbauen, einen nicht gerin­gen Teil davon in der Stei­er­mark.

Als Rück­grat der stei­ri­schen Indus­trie erwie­sen sich in dieser schwie­ri­gen Phase die vielen mit­tel­stän­di­schen und meist von Fami­li­en geführ­ten Indus­trie­be­trie­be.
Die Beschäf­ti­gungs­la­ge blieb ins­ge­samt eini­ger­ma­ßen zufrie­den­stel­lend, vor allem im Raum Graz ent­stan­den neue Indus­trien mit inno­va­ti­ven Pro­duk­ten.

Die auf die Krise fol­gen­de Pri­va­ti­sie­rung der Ver­staat­lich­ten hat die Unter­neh­men und damit die Ober­stei­er­mark längst wieder auf Erfolgs­kurs gebracht. Das Bild vom Phönix aus der Asche ist nicht über­trie­ben. Heute ist die voest­al­pi­ne – die mitt­ler­wei­le auch Böhler über­nom­men hat – in vielen Berei­chen unan­ge­foch­te­ner Welt­markt­füh­rer, die Tech­no­lo­gie­füh­rer­schaft hat sie ohnehin.

Nach wie vor domi­niert Eisen die stei­ri­sche Indus­trie­land­schaft. Mit rund 29.000 Beschäf­tig­ten ist der Maschi­nen- und Fahr­zeug­bau der stärks­te Indus­trie­zweig im Bun­des­land. Auf Platz zwei folgt die Metall­erzeu­gung und ‑ver­ar­bei­tung, die rund 23.000 Men­schen Arbeit gibt. Aber auch der Bereich Holz und Papier ist im Wald­land Stei­er­mark mit fast 10.000 Mit­ar­bei­tern stark ver­tre­ten.

Spe­zi­al­stäh­le oder Hoch­leis­tungs­schie­nen und ‑weichen aus der Ober­stei­er­mark sind welt­weit gefragt, Bergbau- und Tun­nel­bohr­ma­schi­nen eben­falls. Die zahl­rei­chen stei­ri­schen Maschi­nen- und Anla­gen­bau­er machen inter­na­tio­nal gute Geschäf­te. Unter­neh­men wie GAW, Anton Paar –welt­weit wahr­schein­lich das einzige Unter­neh­men, das sowohl Coca-Cola wie auch den Erz­ri­va­len Pepsi belie­fert – oder Andritz AG und Chris­tof Indus­tries sind nur einige Bei­spie­le für die
bestens auf­ge­stell­te Branche.

Foto­credit: dieindustrie/Mathias Knieppeiss

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